Sprich mit dem Tisch – der Medienkünstler Bernd Lintermann im Interview

Eine Landschaft, aufgebaut auf verschiedenen Kuben

Der Medienkünstler Bernd Lintermann gestaltet die interaktive Bühne für das »Amazonas-Musiktheater«. Über einen Tisch, der via Bild und Ton die Argumente derjenigen unterstützt, die an ihm Platz nehmen, die Arbeit am ZKM und seine Software »xfrog«, die via Algorithmen unzählige Gestaltungsmöglichkeiten eröffnet, spricht er im Interview.

Das Interview führte Verena Hütter im November 2009 für das Online-Magazin des Goetheinstituts »Amazonas. Musiktheater in drei Teilen«.
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Herr Lintermann, Sie sind seit Mitte der Neunzigerjahre als Medienkünstler aktiv. Welches Ihrer Projekte ist Ihnen besonders wichtig?

Die Software xfrog. Mit dieser Software habe ich mehrere Installationen entwickelt, unter anderem »SonoMorphis« und Sketches of Utopia. Beide Installationen sind derzeit im ZKM zu sehen. Xfrog ist eine Software, die ich sehr früh zu schreiben begonnen habe – 1995. Mit dieser Software können aus kleinen Modulen komplexe Objekte erzeugt werden. Hinter jedem Modul steckt ein Algorithmus, also ein kleines Programm, das ausgeführt wird, wenn es an die Reihe kommt. Ein Modul erzeugt entweder sichtbare Geometrie oder vervielfacht die Geometrie, die von anderen Modulen erzeugt wird. Dadurch können sehr komplexe Objekte entstehen. Die Algorithmen der Software bilden natürliche Strukturen nach. Dadurch entstehen Formen, die oftmals an Pflanzen erinnern.

Bei der Installation »SonoMorphis« werden die Module durch einen Zufallsgenerator geordnet. Der Benutzer kann durch Auswahl der Aktion „Mutation“ mehrere Variationen eines sichtbaren Objektes erzeugen. Diese werden in einer Leiste als kleine Previews angezeigt, aus denen der Benutzer eine auswählen kann. In der Preview kann er außerdem Zusatzkomponenten auswählen, die die Geometrie des dreidimensionalen Objektes beeinflussen. Der Benutzer bedient somit den Zufall über den evolutionären Mechanismus, über Mutation und Selektion.

Der Benutzer kann also Gott spielen?

Der Benutzer kann dank des evolutionären Mechanismus aus einer ungeheuer hohen Anzahl an Kombinationsmöglichkeiten auswählen. Diese entspricht in etwa der Anzahl der Atome, aus denen das Weltall besteht. Gleichzeitig ist es für den Benutzer sehr einfach, das Programm zu bedienen. Meine Entscheidung für den evolutionären Mechanismus war also eine rein praktische. Der Gedanke, dass der Benutzer Gott spielt, hat dabei keine Rolle gespielt.

»SonoMorphis« wurde 1997 bei der Eröffnung des ZKM mit einem einzigen Projektor zum ersten Mal gezeigt. 1998 hat Torsten Belschner den Ton dazu entwickelt. 2009 ist die Installation in der Jubiläumsausstellung des ZKM auf einem „Panorama-Screen“ zu sehen, einer halbkreisförmigen 180-Grad-Leinwand mit acht Metern Durchmesser. Entwickeln sich Ihre Arbeiten durch die sich rasch entwickelnden neuen Präsentationsmöglichkeiten weiter und sind niemals ganz abgeschlossen?

Meine Arbeiten gehen immer mit der Technik mit. Im Fall von »SonoMorphis« habe ich selbst die Technik weiter entwickelt. Die dreidimensionale Darstellung auf einem Panorama-Screen dient der Steigerung des sinnlichen Empfindens des Benutzers. Bevor er die Installation betritt, setzt er eine 3-D-Brille auf und sieht dadurch ein organisches, dreidimensionales Objekt, das um ihn herum schwirrt und das er verändern kann.

Bei einer Ausstellung im Rahmen der Klimakonferenz in Kopenhagen im Dezember 2009 wird einer ihrer „Panorama-Screens“ zur Anwendung kommen. Verkaufen Sie die Technologie? Oder stellen Sie sie Künstlern, die damit arbeiten wollen, kostenlos zur Verfügung?

Wir entwickeln am ZKM Technologien und stellen sie Künstlern kostenlos zur Verfügung. Da das Budget von Künstlern sehr oft beschränkt ist, müssen wir ihnen schon so weit alles zur Verfügung stellen, dass sie die Arbeit, die ihnen vorschwebt, mit vertretbarem finanziellen Aufwand realisieren können. Wir haben zweieinhalb Screens produziert, die wir Künstlern, die eine solche Projektionsumgebung für ihre Arbeit nutzen wollen, anbieten können.

Insofern Sie das Projekt des betreffenden Künstlers gut finden.

Es muss einen Auswahlmechanismus geben. Man kann nicht alles machen, man muss den Aufwand, den man betreibt, auch begründen können. Unter anderem spielen hier Relevanz und Qualität eine Rolle.

Wie sind Sie am „Amazonas-Musiktheater“ beteiligt?

Ich bin für die mediale Übertragung der Themen, die Peter Weibel für das Amazonas-Musiktheater entwickelt, zuständig, oder einfacher gesagt, für das Bild auf der Bühne. Die Bühne, die wir derzeit am Institut für Bildmedien des ZKM entwickeln, besteht aus einer Treppe, auf die dynamische Bilder projiziert werden. Auf dieser Treppe stehen die Sänger. Außerdem entwickeln wir einen interaktiven Konferenztisch. An diesem werden die Protagonisten der Oper über das Thema Amazonas diskutieren. Der Tisch verfügt über eine digitale Tischplatte, die als Multitouch-Screen funktioniert. Der interaktive Tisch erzeugt Bilder und Töne, welche die diskutierten Argumente grafisch verstärken und verdeutlichen.

Was hat Sie gereizt, an dem Projekt mitzuarbeiten?

In meiner Arbeit als Medienkünstler beschäftige ich mich mit Technologien. Die Bühne ist für mich noch ein Bereich, für den Technologien, vor allem digitale, noch nicht adäquat entwickelt und genutzt werden. Die Bühne hat ein riesiges Potenzial für den Einsatz von Technologien. Dadurch könnten sich völlig neue Inhalte und neue Nutzungen ergeben, die die Bühne selbst völlig verändern.