Ulrike Rosenbach

OR-phelia

1988
© VG BIld-Kunst, Bonn 2014; Foto © ZKM | Zentrum für Kunst und Medien Karlsruhe, Foto: Franz J. Wamhof
Artist/s
Ulrike Rosenbach
Künstler:in / Künstlergruppe
Ulrike Rosenbach
Titel
OR-phelia
Jahr
1988
Auflage / Seriennummer
3
Exemplarnummer
2
Kategorie
Installation
Video
Format
Videoinstallation
Material / Technik
3-Kanal-Video-, 2-Kanal-Audioinstallation ; 3 Monitore, 3 Laserdiscs, 3 Laserdiscplayer, Stahlrahmen, Glasplatte
Maße / Dauer
66 x 66 x 146 cm
Sammlung
ZKM | Zentrum für Kunst und Medien Karlsruhe
Beschreibung
Drei Monitore sind mit den Bildschirmen nach oben in einem sargartigen stählernen Gehäuse auf niedrigen Füßen eingebettet. Mit dem Kopf beginnend, setzt sich das Videobild eines auf der Seite liegenden weißen Frauenkörpers zusammen. Die Frauengestalt mit geschlossenen Augen dreht sich wie eine schlafende Träumerin von einer Seite auf die andere, kommt auf Bauch und Rücken zu liegen, verschränkt die Hände über dem Kopf, löst sie wieder und lässt die Arme nach unten gleiten. Umgeben und immer wieder teilweise bedeckt wird die Gestalt von einer Fläche, die in gelblichen, blauen und violetten Ionen aufscheint und von schmalen und breiten Adern wie Blutströmen durchpulst wird. Diese Lebensadern scheinen durch die schattenhafte Gestalt hindurchzufließen und sie gleichzeitig wie durch eine Nabelschnur mit der Umgebung in einem lebensspendenden Austausch zu halten. Begleitet werden die Bilder von einer Melodie, leisem Grillenzirpen und Wasserplätschern. Mit dem oberen Monitor beginnend, erlischt ein Bild nach dem anderen, die einzelnen Körperteile scheinen wie abgetrennte Glieder in letzten Zuckungen bewegt, und bevor das Mittelbild verschwindet, ist noch der Bewegungsimpuls der sich erhebenden Frauengestalt wahrzunehmen.
Der Titel ruft im Zusammenspiel mit den visuellen und akustischen Eindrücken die Assoziation einer Frau im Wasser hervor. In »OR-Phelia« verschmelzen drei Gestalten mythischen oder literarischen Ursprungs, in denen das Wasser eine Rolle spielt: Orpheus, Ophelia und Undine. Die Aufnahme von Themen aus Mythos, Dichtung und Kunstgeschichte sowie deren Übersetzung in eine neue Bildsprache sind im Werk von Ulrike Rosenbach nichts Außergewöhnliches. Wasserfrauen- Phantasien in Literatur und Kunst sind von der Antike bis zur Moderne meist männlichen Ursprungs. In ihnen wird ein zweideutiges Frauenbild entworfen, das sowohl von Angst als auch von Begehren geprägt ist.[1] Durch die Wahl dieser drei Figuren stellt Rosenbach die von ihr immer wieder aufgenommene Frage nach der so oft postulierten Geschlechterdifferenz neu.
Das Wassermotiv gehört zu dem mythischen Orpheus, auf den nur die ersten beiden Titelbuchstaben hinweisen. Nachdem Orpheus von zornigen Mänaden zerrissen worden war, wurde sein mitsamt der Leier weggespültes Haupt in Lesbos zum Ursprung der äolischen Lyrik. Am Ausgang des 19. Jahrhunderts wurde Orpheus zum Symbol für den Künstler. Rosenbach, die immer wieder verschiedene Identifikationsfiguren sucht,[2] befragt über die Einführung dieser Gestalt ihre Identität als Künstlerin.
Orpheus, dessen Gesang besänftigend auf Mensch und Tier einwirkte, wurde durch seine friedvollen Eigenschaften sogar mit Christus oder Buddha verglichen. Damit läuft er patriarchalischen Männlichkeitsentwürfen zuwider. [3] Geschlechtsspezifischen Projektionen zu entsprechen scheint hingegen die im Wahnsinn ertrinkende Ophelia aus Shakespeares >Hamlet<,[4] deren Leichnam auch von einem Fluss mitgenommen wird: Wahnsinn wurde lange Zeit dem weiblichen Geschlecht zugeordnet.[5] Die unerfüllte Liebessehnsucht verbindet Orpheus, Ophelia und Wasserfrauen wie Melusine und Undine.
Indem die drei Gestalten verschiedenen Geschlechts und unterschiedlicher literarischer Herkunft in Rosenbachs Installation auf assoziativer und sprachlicher Ebene miteinander verschmelzen, demonstriert die Künstlerin ihre Hoffnung auf die Überwindung postulierter oder bestehender Gegensätze und bringt zugleich die Integrität ihrer künstlerischen Persönlichkeit jenseits überkommener Rollenzuweisungen zum Ausdruck. Daher thematisiert sie in ihren Arbeiten androgyne Gestalten wie »OR-Phelia« oder Engel.[6] »OR-Phelia« veranschaulicht die Aufhebung von Gegensätzen wie Wasser und Feuer, Fließen und Verharren, Licht und Dunkel. Die Frauengestalt, die vom Strom getragen und umfangen zu werden scheint, gemahnt an die romantische Klage um die Trennung von Mensch und Natur, ein Thema, das von der Künstlerin gerne aufgegriffen wird. Im Bild des außerhalb des schattenhaften Körpers pulsierenden Blutkreislaufs scheinen Innen und Außen, Körper und Geist, Hypnos und Thanatos austauschbar und miteinander versöhnt zu werden. Gleichzeitig erinnert der Titel mit dem trennenden Bindestrich daran, dass eine endgültige Überwindung der Gegensätze eine Wunschvorstellung bleiben muss, die auch im Medium der Kunst nicht eingelöst werden kann. Zwar verkörpert die Künstlerin »OR-Phelia« selbst und deutet damit auf eine anzustrebende Einheit von Kunst und Leben hin. Sie desillusioniert und >ent-täuscht< den Betrachter und die Betrachterin aber, indem sie sich am Ende der Sequenz erhebt und damit die angenommene Rolle verlässt. Damit bleibt der Hinweis auf die Differenz zwischen Kunst und Leben, Wunsch und Realität bestehen.
Erstveröffentlichung: Heinrich Klotz (Hg.), »Kunst der Gegenwart«, Prestel, München, 1997.
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[1] Irmgard Roebling, in: Irmgard Roebling (Hrsg.), Sehnsucht und Sirene. Vierzehn Abhandlungen zu Wasserphantasien, Pfaffenweiler 1992, S. 1
[2] Stephan von Wiese, >Die Einheit von Mensch und Nature, in: Ulrike Rosenbach, Arbeiten der 80er Jahre: Video, Installation, Performance, Fotografie, Ausst. Kat.
Stadtgalerie Saarbrücken 1990, o.S.
[3] Vgl. dazu Peter Gorsen, »Ulrike Rosenbach<, in: documenta VIII, Ausst. Kat. Kassel 1987, S. 208
[4] Vgl. Gorsen (Anm.3); vgl. Erika Rödiger-Diruf, »OR- PHELIA - Ein Transformationsstück<, 1988, in: Ulrike Rosenbach (Anm. 2), o.S.
[5] Vgl. Gorsen (Anm. 3), S. 208
[6] Vgl. Gorsen (Anm. 3), S. 208, und von Wiese (Anm. 2.), o.S.

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