Yuko Hasegawa: New Sensorium
Exiting from the Failures of Modernization
© Foto: Yuichi Kodama
»New Sensorium – Exiting from Failures of Modernization« thematisiert die sensorischen Erfahrungsbereiche und Möglichkeiten der Menschen / der Existenz / des Universums, die sich in der Ära der Globalisierung und der digitalen Technologien neu herausgebildet haben, die aber, wie es der Untertitel suggeriert, auch Auswege oder Alternativen zu jenen Entwicklungen darstellen, die wir retrospektiv als Fehlschläge der Moderne begreifen können. Die Ausstellung präsentiert vor allem Künstlerinnen aus dem asiatischen oder arabischen Raum – also aus östlich von Europa, gleichwohl innerhalb des eurasischen Kontinents gelegenen Ländern –, den ich folgend als „asiatischer Raum" bezeichnen möchte. Diese Künstlerinnen nehmen verschiedene Perspektiven gegenüber dem westlichen Denken ein, bei dem das Subjekt im Zentrum steht, während sich die nicht-menschlichen Akteure außerhalb davon befinden. Das Überhandnehmen menschlicher Eingriffe, die die Moderne erforderlich macht, übt auf unsere Mitmenschen inzwischen weltweit Druck aus. Die westliche Weltanschauung, geprägt von der Subjekt-Objekt-Teilung beziehungsweise -Spaltung und durch den vorherrschenden Anthropozentrismus, hat zum Entstehen dieses Umfelds beigetragen. Die Vielzahl hybrider Formen dieser Orientierung, die die Modernisierung, verstanden als eine Ausweitung der durch die Moderne initiierten Prozesse, im Laufe der Zeit hervorgebracht hat, kann mit Bruno Latour bereits als Versagen des erkenntnistheoretisch-ontologischen Vorhabens der Zweiteilung von Natur und Gesellschaft interpretiert werden – zumindest in Hinsicht auf die funktionalen Versprechen.
Das ist der Ausgangspunkt, an dem wir ansetzen, von dem aus wir mit dieser Ausstellung zum »New Sensorium« [neuen Empfindungsvermögen] aktiv werden möchten. Die Ausstellung konzentriert sich dabei auf modernste Methoden, die Welt wahrzunehmen und tatsächlich zu empfinden, die im Wesentlichen vom Konzept der Entsubjektivierung charakterisiert werden sowie dadurch, Objekte als wirkende Kräfte – als Akteure – anzuerkennen. Von einer neuen Sichtweise angeregt, sprechen die hier gezeigten Arbeiten aktuelle Probleme an, zeigen neue Wege auf, um den Fehlschlägen der Moderne zu entkommen, und um alternative Möglichkeiten vorzuschlagen sowie die potenziell vorhandenen Elemente zu nutzen. Der „Sinn" im Wort „Sinnesapparat", dem „Sensorium" bezieht sich nicht nur auf die menschliche Sinnesempfindung und die Wahrnehmung, sondern auch auf das menschliche Urteilsvermögen oder auf das Bewusstsein. Das Empfinden ist ein Prozess, der eine Sensibilität erfordert, die den jeweiligen biologischen, politischen und ethischen Situationen anpasst werden muss, um entstehende Krisen adäquat zu erfassen und mit ihnen umgehen zu können. In diesem Sinn kann die Ausstellung als Versuch verstanden werden, die „Sensibilität" zu verstehen, die wir uns – als Subjekte, die in einer Medienökologie leben – angeeignet haben, während wir die Infosphäre sowie den tatsächlichen Raum durchmessen haben, und die unsere Existenz als empfindsame Maschinen radikal verändert hat.
Das ist der Ausgangspunkt, an dem wir ansetzen, von dem aus wir mit dieser Ausstellung zum »New Sensorium« [neuen Empfindungsvermögen] aktiv werden möchten. Die Ausstellung konzentriert sich dabei auf modernste Methoden, die Welt wahrzunehmen und tatsächlich zu empfinden, die im Wesentlichen vom Konzept der Entsubjektivierung charakterisiert werden sowie dadurch, Objekte als wirkende Kräfte – als Akteure – anzuerkennen. Von einer neuen Sichtweise angeregt, sprechen die hier gezeigten Arbeiten aktuelle Probleme an, zeigen neue Wege auf, um den Fehlschlägen der Moderne zu entkommen, und um alternative Möglichkeiten vorzuschlagen sowie die potenziell vorhandenen Elemente zu nutzen. Der „Sinn" im Wort „Sinnesapparat", dem „Sensorium" bezieht sich nicht nur auf die menschliche Sinnesempfindung und die Wahrnehmung, sondern auch auf das menschliche Urteilsvermögen oder auf das Bewusstsein. Das Empfinden ist ein Prozess, der eine Sensibilität erfordert, die den jeweiligen biologischen, politischen und ethischen Situationen anpasst werden muss, um entstehende Krisen adäquat zu erfassen und mit ihnen umgehen zu können. In diesem Sinn kann die Ausstellung als Versuch verstanden werden, die „Sensibilität" zu verstehen, die wir uns – als Subjekte, die in einer Medienökologie leben – angeeignet haben, während wir die Infosphäre sowie den tatsächlichen Raum durchmessen haben, und die unsere Existenz als empfindsame Maschinen radikal verändert hat.
Die Veränderungen in unserer datenbasierten und informationstechnischen Umwelt, ebenso wie die Entwicklungen und Durchdringungen der digitalen Technologien, ändern die Beziehungen zwischen Materie (dem Materiellen), Information und unserer eigenen Körperlichkeit. Der neue Materialismus und die Akteur-Netzwerk-Theorie wurden beide als Strategien gegen jene westlichen modernen Strömungen entwickelt, mit der das Menschliche vom Materiellen getrennt wurde. Diese Theorien haben den Anspruch, das Verhältnis des Menschen zu seiner Umgebung (wieder) auszubalancieren, indem sie menschlichen und nicht-menschlichen Größen denselben Wert beimessen.
Pantheismus, animistische Weltanschauungen und intuitives inkorporiertes Wissen sind westliche Konzepte, die sich im Zuge der Moderne herausgebildet haben. Sie haben sich auch in nicht-westlichen Ländern verbreitet, erfahren dort aber gerade eine Neubewertung. Die Triebwerke des Wissens, die in Einklang mit dem Körper arbeiten, durch eine Verbindung, die nicht komplett durch den Logos (bei dem der einzige Weg zum Verständnis zu gelangen über den Intellekt geht) gesteuert wird – werden im asiatischen Raum angewandt; sie tragen ihren Teil dazu bei, diese neue Problematik der globalen Neuordnung der epistemologisch-ontologischen Grundlagen (wieder) herzustellen. Hierzu möchte auch die Ausstellung beitragen.
Die Künstlerinnen dieser Ausstellung entdecken, verwenden und erfinden potenzielle Medien (intermediäre Kommunikationsmittel) oder Medialität in einem größeren, alles umfassenden Kontext, der auch Körperlichkeit, Emotionen und Beziehungen mit der Umwelt miteinbezieht. Der Begriff „Medialität" basiert hier nicht auf dem Konzept der „Vermittlung", wenn zwischen zwei kommunizierenden Personen ein Austausch stattfindet, oder auf „Interaktion", das heißt der Reaktion von Dingen aufeinander. Medialität soll eher unter den Voraussetzungen der Medienökologien diskutiert werden, verstanden als Zustand, bei dem alles miteinander in Verbindung steht, bei dem sich „Intra-Aktionen" (eine von Karen Barad eingeführte Neologie)[1] ereignen, die aus den Subjekten und Objekten heraus entstehen, die dieses Ökosystem einschließt.
So kann zum Beispiel der Fetisch, den ein so neuer Gebrauchsgegenstand wie das Smartphone darstellt, durchaus als eine Art zeitgenössische Manifestation des Animismus oder Neo-Animismus betrachtet werden. Alexander Zahlten betont, dass animistisches Denken dann entsteht, wenn die Beziehung zwischen Menschen und Objekten einen Wendepunkt erreicht, eine Schwelle des menschlichen Erkenntnis- und Wahrnehmungsvermögens, an der die bestehenden sensorischen Systeme, mit denen wir die Welt verstehen, neu konfiguriert werden. Jetzt sind wir vielleicht am Höhepunkt einer solchen Zeit angekommen.
Die Künstlerinnen dieser Ausstellung präsentieren Praktiken, bei denen Digitalität und Körperlichkeit beziehungsweise Emotionalität nicht dichotome Konzepte sind, sondern vielmehr miteinander verschmelzen, ineinander übergreifen und intra-agieren. Die Beteiligten untersuchen Materialitäten, basierend auf dem Konzept einer wirkungsvollen Medialität. Indem sie das tun und ihre Arbeiten somit keine „Repräsentationen" von Ideen und Informationen mehr sind, werden die Arbeiten selbst zum Objekt der Interpretation.
Der Zusammenhang von Wissen und Körper ist verbunden mit der Sensibilität, die über die Körperlichkeit oder Verkörperung sowie Materialisierung von Information hinausgeht. Die hier ausstellende Generation von asiatischen Künstlerinnen kann als Beispiel für einen höchst einzigartigen und innovativen Prozess gelten, der mehr ist als, sagen wir, der Entwurf für eine anspruchsvolle Infografik: Sie haben die Fähigkeit, alle Sinne zu aktivieren, um Daten und Information zu verstehen, zu interpretieren und ihnen eine Form (Materialität) zu geben. Die „ganzheitliche Gesamtheit" ihrer Methoden, die nicht nur auf das Physische, sondern auch auf das Materielle angewandt wird, reflektiert die Prinzipien der Kybernetik oder eine Idee von einheitlicher Kontrolle.
In dem Versuch, das Publikum auf eine neue emotionale Ebene oder erweiterte Sphäre der Erfahrung zu führen, verwenden einige der hier im ZKM | Karlsruhe ausgestellten Künstlerinnen Technologie und digitale Information organisch und mit Gefühl. Sie verstehen Design als etwas, das seine Wirkung auf Menschen auf der Bewusstseins- und der Gefühlsebene ausübt. Hier werden Affekt und Angebotscharakter aktiver angewendet als strategische Konzepte und in Kunst beziehungsweise in künstlerische Produkte verwandelt.
Einige Künstlerinnen untersuchen alternative sensorische Bereiche, indem sie die menschliche Perspektive entweder mit der von Robotern und Maschinen überschneiden (beispielsweise »Menstruation Machine« von Sputniko! und ihrem "Lunar-Girl"-Charakter in Form eines Cyborgs), oder mit der von Insekten und Tieren (Mirai Moriyamas Bewegungen spiegeln die von Insekten und anderen Tieren wider, die für Menschen völlig unpassend sind, Nile Koetting erschafft kleine kreaturen-ähnliche Organismen, die aus unterschiedlichen Teilen zusammengesetzt sind), oder genetische Informationen verwenden (Rohini Devashers Arbeiten erinnern an den Erschaffungsprozess von neuen Kreaturen durch den Einsatz von Gentechnik), um innovative Ansätze und Visionen zu entwickeln. Ausgehend von einer neuen Perspektive erobern die Künstlerinnen Umwelt, Objekte und Informationen zurück, um das Potenzial der Subjekt-Objekt-Beziehung, der Beziehung zwischen Mensch und Objekt, zu beleben oder überhaupt erst hervorzubringen. Basierend auf der Weltanschauung, dass wir keine eigenständigen Wesen sind, die vor jedem Austausch existieren, sondern Phänomene, die unter der Kontrolle der Umwelt und der Objekte stehen, entwickeln die Künstlerinnen ihre Projekte.
Die Künstlerinnen gehören zu den sogenannten „Digital Natives". Geboren in den späten 1980er-Jahren, sind sie nun, im Kontext der rapiden Hinwendung Asiens zum Kapitalismus und der zunehmenden Urbanisierung im Laufe der letzten zwanzig Jahre, in der instabilen, doch dynamischen Situation, das vormoderne oder traditionelle kulturelle Gedächtnis mit dem „Zeitgenössischen" zu verbinden und auch wieder voneinander zu lösen. Um in dieser Umbruchsituation nicht ihren Verstand zu verlieren, nutzen sie digitale Medien als Hilfsmittel, mit welchen sie sich neue Umwelten schaffen. Sie operieren im digitalen Raum, der als Plattform dafür dient, gemeinschaftlich Überlebensmethoden für politische, soziale und ökonomische Krisen zu entwerfen. Durch einen solchen Prozess können Empfindungsvermögen, Sensibilität, Wahrnehmung und Erkenntnis im Kontext der Medienökologien und in einem Umfeld, das den tatsächlichen Raum umfasst und beeinflusst, eine produktive, kritische und poetische Macht entwickeln.
Aspekte der Welt und unserer Umwelt haben sich drastisch geändert, und so die Art, wie wir Dinge wahrnehmen, komplizierter gemacht.
Der Geschwindigkeitsunterschied zwischen den Vermittlern unserer Wahrnehmung, also unseren Körpern, und den digitalen Medien führt oft zu einer Sinnestäuschung und erzeugt Irritationen in unserem Bewusstsein, ruft somit Furcht und Verwirrung hervor. Die Künstlerinnen hier nehmen jedoch Objekte und Informationen, bringen sie in unterschiedliche Beziehungen zueinander und beobachten diese aus einer neuen Perspektive, um gewisse Zustände festzuhalten, nicht ohne auftretende Störgeräusche und Verzögerungen stets miteinzubeziehen anstatt sie zu ignorieren. Durch ihre Methoden werden die Eigenarten von Materialien verbessert, werden den digitalen Informationen Formen gegeben und neue Ökosysteme entwickelt.
Unter den sechzehn mitwirkenden Künstlerinnen und Künstlergruppen in dieser Ausstellung erkennen wir daher vier Themenbereiche: Neue Medienökologien im Post-Internet-Zeitalter; Neue Formen von Medialität, Materialität und Erkenntnis in der Infosphäre; Objekte und alternative Zukünfte; Experimente mit organischen Stoffen.
»Paranoiapp« von Valia Fetisov, Nicolay Spesivtsev und Dzina Zhuk lädt die Besucherinnen ein, die „dunkle" Seite zu erleben – jene Ängste und Entfremdung, versteckt in dem unmittelbar mit unserem Leben verbundenen, multimedialen Ökosystem des Internets –; indem sie die verstörenden Fiktionen rekonstruieren, die durch Überwachungskameras und Ortungssysteme offenbart werden.
In seiner neuen Arbeit »Auspex« präsentiert Bruce Quek eine Art horoskopisches Lesen, indem er die Kondensstreifen von Flugzeugen mit Darstellungen von Wetterlagen kombiniert. Gewisse animistische Zeichen werden als Deutungen der Passagiere eines Flugzeugs geteilt, die in dem Moment fliegen und gemeinsam eine Art Gesellschaft oder „Nation" darstellen. Queks Arbeit zeigt gewaltige Datenmengen, beispielsweise die Anzahl an Menschen, die zu einem bestimmten Zeitpunkt gerade in der Luft sind, und die er als „sprudelnde" Nation bezeichnet; diese werden augenblicklich und andauernd durch neue Passagiere aktualisiert. Indem er die statistische Recherche taktvoll mit affektiven und emotionalen Elementen kombiniert, lässt Quek eine neue Ökologie entstehen.
Lin Ke lädt ständig Aufnahmen von Landschaften auf seinen Computer, die live aus der Natur gestreamt werden, um sein eigenes „Umfeld" für den Tag zu aktualisieren. Für die Ausstellungsbesucherinnen scheint sein Lebensraum im Wesentlichen aus seinem persönlichen Computerbildschirm zu bestehen. Dennoch werden Wetterphänomene, vom Donner bis zu tropischem Regen, nicht nur durch die Natur kontrolliert, sondern auch vom Computer. Durch die physische Präsenz des Künstlers entsteht ein neues Ökosystem, gefüllt mit neuer Sensibilität, die man nur schwer als künstlich bezeichnen kann.
Pantheismus, animistische Weltanschauungen und intuitives inkorporiertes Wissen sind westliche Konzepte, die sich im Zuge der Moderne herausgebildet haben. Sie haben sich auch in nicht-westlichen Ländern verbreitet, erfahren dort aber gerade eine Neubewertung. Die Triebwerke des Wissens, die in Einklang mit dem Körper arbeiten, durch eine Verbindung, die nicht komplett durch den Logos (bei dem der einzige Weg zum Verständnis zu gelangen über den Intellekt geht) gesteuert wird – werden im asiatischen Raum angewandt; sie tragen ihren Teil dazu bei, diese neue Problematik der globalen Neuordnung der epistemologisch-ontologischen Grundlagen (wieder) herzustellen. Hierzu möchte auch die Ausstellung beitragen.
Die Künstlerinnen dieser Ausstellung entdecken, verwenden und erfinden potenzielle Medien (intermediäre Kommunikationsmittel) oder Medialität in einem größeren, alles umfassenden Kontext, der auch Körperlichkeit, Emotionen und Beziehungen mit der Umwelt miteinbezieht. Der Begriff „Medialität" basiert hier nicht auf dem Konzept der „Vermittlung", wenn zwischen zwei kommunizierenden Personen ein Austausch stattfindet, oder auf „Interaktion", das heißt der Reaktion von Dingen aufeinander. Medialität soll eher unter den Voraussetzungen der Medienökologien diskutiert werden, verstanden als Zustand, bei dem alles miteinander in Verbindung steht, bei dem sich „Intra-Aktionen" (eine von Karen Barad eingeführte Neologie)[1] ereignen, die aus den Subjekten und Objekten heraus entstehen, die dieses Ökosystem einschließt.
So kann zum Beispiel der Fetisch, den ein so neuer Gebrauchsgegenstand wie das Smartphone darstellt, durchaus als eine Art zeitgenössische Manifestation des Animismus oder Neo-Animismus betrachtet werden. Alexander Zahlten betont, dass animistisches Denken dann entsteht, wenn die Beziehung zwischen Menschen und Objekten einen Wendepunkt erreicht, eine Schwelle des menschlichen Erkenntnis- und Wahrnehmungsvermögens, an der die bestehenden sensorischen Systeme, mit denen wir die Welt verstehen, neu konfiguriert werden. Jetzt sind wir vielleicht am Höhepunkt einer solchen Zeit angekommen.
Die Künstlerinnen dieser Ausstellung präsentieren Praktiken, bei denen Digitalität und Körperlichkeit beziehungsweise Emotionalität nicht dichotome Konzepte sind, sondern vielmehr miteinander verschmelzen, ineinander übergreifen und intra-agieren. Die Beteiligten untersuchen Materialitäten, basierend auf dem Konzept einer wirkungsvollen Medialität. Indem sie das tun und ihre Arbeiten somit keine „Repräsentationen" von Ideen und Informationen mehr sind, werden die Arbeiten selbst zum Objekt der Interpretation.
Der Zusammenhang von Wissen und Körper ist verbunden mit der Sensibilität, die über die Körperlichkeit oder Verkörperung sowie Materialisierung von Information hinausgeht. Die hier ausstellende Generation von asiatischen Künstlerinnen kann als Beispiel für einen höchst einzigartigen und innovativen Prozess gelten, der mehr ist als, sagen wir, der Entwurf für eine anspruchsvolle Infografik: Sie haben die Fähigkeit, alle Sinne zu aktivieren, um Daten und Information zu verstehen, zu interpretieren und ihnen eine Form (Materialität) zu geben. Die „ganzheitliche Gesamtheit" ihrer Methoden, die nicht nur auf das Physische, sondern auch auf das Materielle angewandt wird, reflektiert die Prinzipien der Kybernetik oder eine Idee von einheitlicher Kontrolle.
In dem Versuch, das Publikum auf eine neue emotionale Ebene oder erweiterte Sphäre der Erfahrung zu führen, verwenden einige der hier im ZKM | Karlsruhe ausgestellten Künstlerinnen Technologie und digitale Information organisch und mit Gefühl. Sie verstehen Design als etwas, das seine Wirkung auf Menschen auf der Bewusstseins- und der Gefühlsebene ausübt. Hier werden Affekt und Angebotscharakter aktiver angewendet als strategische Konzepte und in Kunst beziehungsweise in künstlerische Produkte verwandelt.
Einige Künstlerinnen untersuchen alternative sensorische Bereiche, indem sie die menschliche Perspektive entweder mit der von Robotern und Maschinen überschneiden (beispielsweise »Menstruation Machine« von Sputniko! und ihrem "Lunar-Girl"-Charakter in Form eines Cyborgs), oder mit der von Insekten und Tieren (Mirai Moriyamas Bewegungen spiegeln die von Insekten und anderen Tieren wider, die für Menschen völlig unpassend sind, Nile Koetting erschafft kleine kreaturen-ähnliche Organismen, die aus unterschiedlichen Teilen zusammengesetzt sind), oder genetische Informationen verwenden (Rohini Devashers Arbeiten erinnern an den Erschaffungsprozess von neuen Kreaturen durch den Einsatz von Gentechnik), um innovative Ansätze und Visionen zu entwickeln. Ausgehend von einer neuen Perspektive erobern die Künstlerinnen Umwelt, Objekte und Informationen zurück, um das Potenzial der Subjekt-Objekt-Beziehung, der Beziehung zwischen Mensch und Objekt, zu beleben oder überhaupt erst hervorzubringen. Basierend auf der Weltanschauung, dass wir keine eigenständigen Wesen sind, die vor jedem Austausch existieren, sondern Phänomene, die unter der Kontrolle der Umwelt und der Objekte stehen, entwickeln die Künstlerinnen ihre Projekte.
Die Künstlerinnen gehören zu den sogenannten „Digital Natives". Geboren in den späten 1980er-Jahren, sind sie nun, im Kontext der rapiden Hinwendung Asiens zum Kapitalismus und der zunehmenden Urbanisierung im Laufe der letzten zwanzig Jahre, in der instabilen, doch dynamischen Situation, das vormoderne oder traditionelle kulturelle Gedächtnis mit dem „Zeitgenössischen" zu verbinden und auch wieder voneinander zu lösen. Um in dieser Umbruchsituation nicht ihren Verstand zu verlieren, nutzen sie digitale Medien als Hilfsmittel, mit welchen sie sich neue Umwelten schaffen. Sie operieren im digitalen Raum, der als Plattform dafür dient, gemeinschaftlich Überlebensmethoden für politische, soziale und ökonomische Krisen zu entwerfen. Durch einen solchen Prozess können Empfindungsvermögen, Sensibilität, Wahrnehmung und Erkenntnis im Kontext der Medienökologien und in einem Umfeld, das den tatsächlichen Raum umfasst und beeinflusst, eine produktive, kritische und poetische Macht entwickeln.
Aspekte der Welt und unserer Umwelt haben sich drastisch geändert, und so die Art, wie wir Dinge wahrnehmen, komplizierter gemacht.
Der Geschwindigkeitsunterschied zwischen den Vermittlern unserer Wahrnehmung, also unseren Körpern, und den digitalen Medien führt oft zu einer Sinnestäuschung und erzeugt Irritationen in unserem Bewusstsein, ruft somit Furcht und Verwirrung hervor. Die Künstlerinnen hier nehmen jedoch Objekte und Informationen, bringen sie in unterschiedliche Beziehungen zueinander und beobachten diese aus einer neuen Perspektive, um gewisse Zustände festzuhalten, nicht ohne auftretende Störgeräusche und Verzögerungen stets miteinzubeziehen anstatt sie zu ignorieren. Durch ihre Methoden werden die Eigenarten von Materialien verbessert, werden den digitalen Informationen Formen gegeben und neue Ökosysteme entwickelt.
Unter den sechzehn mitwirkenden Künstlerinnen und Künstlergruppen in dieser Ausstellung erkennen wir daher vier Themenbereiche: Neue Medienökologien im Post-Internet-Zeitalter; Neue Formen von Medialität, Materialität und Erkenntnis in der Infosphäre; Objekte und alternative Zukünfte; Experimente mit organischen Stoffen.
Neue Medienökologien im Post-Internet-Zeitalter
Der Prozess der Suche nach neuen „Umwelten", die sich aus den Beziehungen zwischen digitaler Information und Materialität ergeben, kann als „Empfinden" bezeichnet werden. Für Künstlerinnen, die sich mit diesem Prozess der Empfindung befassen, ist es das erklärte Ziel, ein lebensfähiges Ökosystem zu konstruieren und zu testen.»Paranoiapp« von Valia Fetisov, Nicolay Spesivtsev und Dzina Zhuk lädt die Besucherinnen ein, die „dunkle" Seite zu erleben – jene Ängste und Entfremdung, versteckt in dem unmittelbar mit unserem Leben verbundenen, multimedialen Ökosystem des Internets –; indem sie die verstörenden Fiktionen rekonstruieren, die durch Überwachungskameras und Ortungssysteme offenbart werden.
In seiner neuen Arbeit »Auspex« präsentiert Bruce Quek eine Art horoskopisches Lesen, indem er die Kondensstreifen von Flugzeugen mit Darstellungen von Wetterlagen kombiniert. Gewisse animistische Zeichen werden als Deutungen der Passagiere eines Flugzeugs geteilt, die in dem Moment fliegen und gemeinsam eine Art Gesellschaft oder „Nation" darstellen. Queks Arbeit zeigt gewaltige Datenmengen, beispielsweise die Anzahl an Menschen, die zu einem bestimmten Zeitpunkt gerade in der Luft sind, und die er als „sprudelnde" Nation bezeichnet; diese werden augenblicklich und andauernd durch neue Passagiere aktualisiert. Indem er die statistische Recherche taktvoll mit affektiven und emotionalen Elementen kombiniert, lässt Quek eine neue Ökologie entstehen.
Lin Ke lädt ständig Aufnahmen von Landschaften auf seinen Computer, die live aus der Natur gestreamt werden, um sein eigenes „Umfeld" für den Tag zu aktualisieren. Für die Ausstellungsbesucherinnen scheint sein Lebensraum im Wesentlichen aus seinem persönlichen Computerbildschirm zu bestehen. Dennoch werden Wetterphänomene, vom Donner bis zu tropischem Regen, nicht nur durch die Natur kontrolliert, sondern auch vom Computer. Durch die physische Präsenz des Künstlers entsteht ein neues Ökosystem, gefüllt mit neuer Sensibilität, die man nur schwer als künstlich bezeichnen kann.
Neue Formen der Medialität, Materialität und Erkenntnis in der Infosphäre
Digitalen Daten Materialität und physische Form zu verleihen, weckt Emotionen bei den Zuschauerinnen und hat einen aktiven Einfluss auf die Welt. In »Traders« hat Rhizomatiks Echtzeit-Bewegungen von Börsenkursen in eine aufwendige, visuelle Installation umgewandelt. In »chains«, einer neuen Arbeit für diese Ausstellung, werden Daito Manabe (Rhizomatiks Research), Yusuke Tomoto (Rhizomatiks Research) und 2bit Ishii (buffer Renaiss) sogenannte Blockchains visualisieren, also unerlaubt verteilte, auf dem Bitcoin-Protokoll basierende Datenbanken, und damit zugleich versuchen, auch die Überprüfung eines neuen Systems für dezentralisierten, freien Handel und kollektive Datengewinnung zu visualisieren.In Tara Keltons »Time Travel« wird die sich bewegende Landschaft, die durch ein Fenster in einem Zugabteil zu sehen ist, mit dem sich bewegenden Bild auf einem PC synchronisiert, der an der anderen Seite des Fensters steht. Als würde man die sich entfaltende Landschaft mit der Hand verfolgen, wird echter Raum digital „gescannt" und dadurch ein neues Gefühl von Materialität vermittelt.
Shiro Takatani transformiert die Materialität von digitalen Bildern ebenso, indem sie zweidimensionale Objekte in Linien übersetzt. Dieser Prozess ist vergleichbar mit der Umwandlung von Raum in Zeit.
Nile Koetting behandelt Körper und Material gleichermaßen als Subjekt seiner Performances. In »Hard in Organics« ist das Sujet ein Piezo-Filmstreifen als Lautsprecher. Texte eines Briefes sind darauf gedruckt, sodass sie ausgelesen und als Stimme abgespielt werden können, die den Text laut vorliest.
Kohei Nawa reflektiert über das sensorische Bewusstsein, das von digitalen Umfeldern erzeugt wird. Dabei nähert er sich jenem zugleich kritisch und versucht ihm zu widerstehen, indem er haptische (manifeste) Materialien verwendet, um dieses Bewusstsein zu visualisieren und ihm so kontrapunktisch Dynamik zu verleihen. Auf seine Serie mit Kristallperlen, die auf eine sinnliche Art und Weise unsere Wahrnehmung von Pixeln widerspiegelt, folgt seine neue Arbeit »Force«, in der metallische Ströme schwarzen Silikonöls wie Regen niedergehen und die Raumwahrnehmung irritieren, weil die Tropfen zwar der Schwerkraft folgen, dabei aber entgegen unserer Wahrnehmungsgewohnheit nicht von den Oberflächen abprallen. Derlei Anspielungen auf die politischen Themen des 20. Jahrhunderts wie Öl, ein einflussreicher Faktor in der Weltwirtschaft, oder der schwarze Regen, der nach dem Abwurf einer Atombombe fällt, oder Strichcodes, fließen in dieser unidentifizierbaren Materialität ineinander.
Objekte und alternative Zukünfte
Critical Design legen mit ihrer Arbeit nahe, dass funktionale Objekte, die man einer breiten Masse zugänglich macht, die Vorstellung alternativer Zukunftsversionen anregen können.Zu den Produkten, mit denen Sputniko! aus feministischer Perspektive auf das Konzept des neuen Materialismus reagiert, gehört eine Maschine, welche die Menstruation nachahmt sowie ein Mondfahrzeug, das entwickelt wurde, um Abdrücke von Stöckelschuhen auf der Oberfläche des Mondes zu hinterlassen. Dadurch dass in ihrer Arbeit der menschliche Körper in alltäglichen Kontexten mit Objekten kollidiert, werden bereits bestehende Systeme dekonstruiert und folglich alternative Konzepte vorgeschlagen.
Diesen Themenbereich stellt auch Tarek Atoui vor, der im Zusammenhang mit seiner architektonischen Recherche über den Raum Hilfsmittel für hörgeschädigte Menschen entwirft, um deren Sinne zu verbessern.
Experimente mit organischen Stoffen
Künstlerinnen wenden auch experimentelle Methoden an, um die inneren Funktionen von Organismen zu untersuchen und die verschiedenen Auswüchse der Evolution zu visualisieren.Rohini Devashers Arbeit kreiert fiktive, sich selbst entwickelnde Organismen, indem eine einzigartige Methodik mit dem Namen Video-Rückkopplung verwendet wird.
Magdi Mostafa benutzt den Effekt des "Übertragungsverlusts", ein Phänomen, das weitgehend unbemerkt auftritt. Er bedient Klanginstrumente in einer organischen Art und Weise, um uns so an die Abwesenheit von Zeit und Klang zu erinnern.
In seiner Performance »Upload a New Mind to the Body« installiert Tänzer und Schauspieler Mirai Moriyama ein neues „Betriebssystem" auf seinem Körper, indem er eine spezielle Substanz auf seine Haut aufträgt. Sobald diese Membrane trocknet, reißt sie und fällt ab, während Moriyamas intensive Bewegungen seine Haut verdrehen und erzittern lassen. Diese Ablösung der Membrane ist vergleichbar mit der Störung eines neuen Betriebssystems, das mit den Standardeinstellungen nicht übereinstimmt. Dieser Prozess der Eliminierung auf Moriyamas Haut verkörpert so auch den Verhandlungsprozess zwischen Evolution und Selektion, der viel komplexer ist als ein simpler Übergang.
Wie sieht dieses neue Bewusstsein aus, dass in unsere Körper hochgeladen wird?
Sorgfältig werden Ziegelmuster in Acrylfarbe auf scheinbar unbewusste Weise auf eine auf dem Boden ausgebreitete Leinwand aufgebracht. So ist Maria Taniguchis Methode in der Tat eine, bei der es um die Wahrnehmung einer umgebenden Vielzahl von Elementen, einschließlich digitaler Signale, Bewusstsein und Information, geht. Derselbe Empfindungsprozess ist auch in ihrer Videoarbeit »I See, It Feels« erkennbar, wo ein sich in verlagernden Farbtönen langsam veränderndes Stillleben untersucht wird. Ihre Aussage, dass das beobachtete Objekt dadurch, dass es beobachtet wird, zu fühlen beginnt, enthüllt Bereiche der Sensibilität, die zwischen traditionellen Konzepten der Erkenntnis und der Wahrnehmung angesiedelt sind.
Im Gegensatz dazu zeigen Guan Xiaos Arbeiten »Reading« und »Cognitve Shape«, wie sie eine endlose Vielfalt an Beziehungen zwischen Bedeutungen und Objekten entdeckt, die sich allein auf Information als primäres Umfeld stützen. Ihre kognitiven Experimente machen Raum für die Prozesslogik des kognitiven Selbst.
Das Werk »Dyeing Inayat Khan« von Raqs Media Collective ist eine Animation, die eine zweideutige Schwelle zwischen Leben und Tod, zwischen Mensch und Ding zeigt. Dies ist ein weiterer Aspekt des Sensoriums. Indem es diese neue, dritte Domäne des Sinns betritt, verleiht das neue Sensorium – ein Miteinander, wo sich weiterhin alle Akteure gegenseitig erkennen, sinnlich wahrnehmen und miteinander interagieren – der physischen Substanz der Information wie auch ihrem Kollektiv, der Ökologie, mehr Tiefe.
Im Gegensatz dazu zeigen Guan Xiaos Arbeiten »Reading« und »Cognitve Shape«, wie sie eine endlose Vielfalt an Beziehungen zwischen Bedeutungen und Objekten entdeckt, die sich allein auf Information als primäres Umfeld stützen. Ihre kognitiven Experimente machen Raum für die Prozesslogik des kognitiven Selbst.
Das Werk »Dyeing Inayat Khan« von Raqs Media Collective ist eine Animation, die eine zweideutige Schwelle zwischen Leben und Tod, zwischen Mensch und Ding zeigt. Dies ist ein weiterer Aspekt des Sensoriums. Indem es diese neue, dritte Domäne des Sinns betritt, verleiht das neue Sensorium – ein Miteinander, wo sich weiterhin alle Akteure gegenseitig erkennen, sinnlich wahrnehmen und miteinander interagieren – der physischen Substanz der Information wie auch ihrem Kollektiv, der Ökologie, mehr Tiefe.
Die Ausstellung »New Sensorium« schlägt nicht Utopia als eine Ideologie vor, sondern versucht, basierend auf unseren aktuellen Aushandlungsprozessen, utopische Methoden vorzustellen. Diese Methoden sind in der Realität verankert und resultieren aus der genauen Beobachtung und der feinfühligen Auswertung der Welt. Und diese Erkenntnis führt zu dem Bewusstsein, dass wir zu den wesentlichen Bestandteilen einer neuen Medienökologie gehören.
[1] Als Beispiel für diese Art der „Intra-Aktion" (eben nicht als Interaktion verstanden) zwischen den Rhythmen von Objekten, Algorithmen und Menschen kann die Apple Watch gelten – ein Phänomen, das aus dem Versuch hervorging, biologische und mechanische Rhythmen von Menschen und Objekten technisch zu überlagern, auch wenn diese Art der Kategorisierung in sich schon sehr an der Modernisierung orientiert ist.
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