Partizipation

© ZKM | Karlsruhe 2012, Foto: Felix Grünschloß

Seit dem Beginn des 20. Jahrhunderts nähern sich Repräsentation und Realität, Kunst und Leben zunehmend einander an: Materialien werden nicht mehr allein illusionistisch gemalt, sondern real in Kunstwerke integriert.

Die Kubisten montieren reales Papier, die Dadaisten reale Holzstücke in ihre Gemälde. Die Farbe, das altgediente Medium der Darstellung, wird in der konkreten Malerei zum realen Farbmaterial. Mit der kinetischen Kunst finden schließlich auch reale Bewegungen Eingang in die bildende Kunst. Ab den 1950er- und 1960er-Jahren wird der Prozess der Kunstproduktion selbst zum konstitutiven Bestandteil von Kunstwerken.

Durch die Verbindung von darstellender und bildender Kunst im Rahmen von Performances, Aktionen und Happenings wird der Betrachter in den Entstehungsprozess von Kunst explizit miteinbezogen. Nachdem der Künstler seinen eigenen Körper oder den Körper seiner Modelle als Medium seiner Kunst eingesetzt hat, wurden schließlich auch die Körper der BetrachterInnen Teil des Kunstwerks. Duchamp hat schon 1957 den Beitrag des Betrachters zum kreativen Akt anerkannt: »Alles in allem wird der kreative Akt nicht vom Künstler allein vollzogen; der Zuschauer bringt das Werk in Kontakt mit der äußeren Welt, indem er dessen innere Qualifikationen entziffert und interpretiert und damit seinen Beitrag zum kreativen Akt hinzufügt.«[1] War der Betrachter bis dahin fast ausschließlich auf die kontemplative und kognitive Rezeption von Kunstwerken beschränkt, bietet sich ihm nun die Möglichkeit, sich in den Produktionsprozess einzubringen und die Kunstwerke im Rahmen mehr oder weniger festgelegter Vorgaben nach eigenem Wunsch (mit) zu gestalten. Voraussetzung ist, dass der Künstler sich auf seine Initiation beschränkt und dem Partizipierenden erlaubt, das finale Erscheinungsbild des jeweiligen materiellen oder ephemeren Kunstwerks zu verändern. Grundbedingung hierfür ist ein im Sinne von Umberto Eco »offenes Kunstwerk«, das den Rezipienten am Prozess seiner Bedeutungskonstitution teilhaben lässt. Durch die in diesem Kontext stattfindende Ausweitung des Autorenbegriffes kann eine Verlagerung des Produktionsprozesses weg vom Künstler und hin zum partizipierenden Betrachter festgestellt werden. Partizipation ist also Kommunikation und Interaktion. Die Expansion der Künste hat zur Inklusion des Betrachters in verschiedenen Handlungsformen der Publikumsbeteiligung geführt. Da heute bei vielen Protestbewegungen ein partizipatorischer Ansatz beobachtet werden kann, kann gesagt werden, dass die BürgerInnenbeteiligung die Idee der künstlerischen Partizipation zurück in die Sphäre des Politischen spiegelt.

Im 20. Jahrhundert hat die Avantgarde neben dem realen Objekt auch die reale Handlung als kunstfähig erachtet. Nach 1945 haben Body Art, Fluxus und Happening die Aufführungskünste, die sie vor und mit dem Publikum ausübten, zum Teil der bildenden Kunst gemacht. Auch im Theater haben die partizipatorischen Tendenzen zum »Mitspieltheater« (Claus Bremer, 1963) geführt. In den gesellschaftspolitisch turbulenten und auf künstlerischem Gebiet zugleich höchst innovativen 1960er-Jahren entwickelte sich mit der Partizipation auch in der Kunst ein Demokratisierungsprozess, d. h. ein Modell für die »Mitspielgesellschaft«.

Die von der historischen Avantgarde geforderte Verbindung von Kunst und Leben wurde im 20. Jahrhundert innerhalb der partizipativen Kunstrichtungen zu einem nicht unbedeutenden Teil vorangetrieben und von Wolf Vostell 1961 erneut bekräftigt: »Kunst ist Leben – Leben ist Kunst.« Die als Aufforderung zu verstehende Parole wurde auch durch partizipative Strategien bei der von Joseph Beuys 1967 konzipierten »sozialen Plastik« aufgenommen, nach der die Kunst nicht zuletzt ein gesellschaftsveränderndes, -formendes und -bildendes Mittel darstellt. Partizipation sollte als kulturelle Teilhabe definiert werden; sie wirkt grenzauflösend zwischen Kunst und Leben.

Besonders die Medienkünste, von den Video- bis zu den Computerinstallationen, bedürfen der Interaktion, der Partizipation des Betrachters. Schon bei der Op-Art war die Bewegung des Betrachters vor dem Bild zur Erzeugung der visuellen Effekte notwendig. In der Medienkunst verwenden die Bewegungsdetektoren und die Kameras die Bilder des Betrachters, um das Kunstwerk in Gang zu setzen. Erst der Gebrauch durch den Betrachter erzeugt das Kunstwerk. Deswegen spricht man erstens vom Betrachter als Benutzer bzw. User und zweitens von den Medien als performativen Künsten. Die Handlung des Betrachters bzw. Benutzers ist die raison d’être des medialen Kunstwerks.

Kulturinstitutionen wie dem ZKM kommt die Aufgabe zu, dem positiven demokratisch-kulturellen Ansatz der Partizipation nachzukommen und ihre gesellschaftliche Bedeutung im Rahmen von künstlerischen Produktionen zu verteidigen. Das umfassende Spektrum interaktiver Medienkunst bietet hierzu vielfältige Möglichkeiten. Das ZKM ist als weltweit führendes Museum für interaktive Medienkunst insbesondere in die Entwicklung partizipativer Kunst involviert. Seit seiner Gründung im Jahr 1989 wurden hier zahlreiche Werke produziert, die einen partizipativen Ansatz haben und die den ehemals passiven Betrachter nun als aktiven und kreativen Benutzer fordern. Innerhalb der Programmlinie von Performativität und Partizipation wurden in den letzten Jahren zahlreiche Ausstellungen zu diesen Bereichen in den Museen des ZKM realisiert.

Literatur

  1. Marcel Duchamp, »The Creative Act«, in: Session on the Creative Act, Convention of the American Federation of Arts, Houston, Texas, April 1957

Autoren: Andreas Beitin, Peter Weibel

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