Michael Wetzel: You don't see what you get

Jean Baudrillards photographischer Illusionismus

Dauer
47:00
Kategorie
Vortrag/Gespräch
Erstellungsdatum
16.07.2004
Beschreibung

Michael Wetzel, Bonn Universität

»Das Photo ist kein Bild in Echtzeit. Es bewahrt den Augenblick des Negativs, die Spannung des Negativs. Diese leichte Verschiebung ist es, die es dem Bild möglich macht, als solches zu existieren, als die von der realen Welt verschiedene Illusion.“ Mit dieser Einsicht ratifiziert Baudrillard Benjamins Entdeckung, dass eine andere Welt zur Kamera als zum Auge spricht. Zwischen den beiden Momenten der Aufnahme und der Entwicklung öffnet sich die entscheidende Differenz des Photographischen. Es ist kein Verlust, sondern eine Chance, der Zeitlichkeit des Bildwerdens teilhaftig zu werden. Aber in keinem Abzug, keiner Sichtbarkeit oder Visualisierung lässt sich diese Differenz tilgen. Auch den rein technisch produzierten Bildern wohnt immer diese Differenz inne, sei es als Differenz zwischen Denotation und Konnotation, Index und Icon, Reproduktion und Simulation oder zwischen Wirklichkeit und Illusion. Indem sich Baudrillard bei seiner photographischen Praxis der Vieldeutigkeit des Einbildens überlässt, erreicht er auf dem paradoxen Umweg über einen Verzicht auf Sehen die Einsicht in die Gabe der Lichtspur: ein Präsent der Präsenz, das man nie besitzen wird, noch dem eigenen Blick überantworten kann.

Michael Wetzel, geboren 1952, hat Philosophie, Literaturwissenschaft, Linguistik und Erziehungswissenschaft an den Universitäten Bochum und Düsseldorf studiert. Seit 2002 ist er Professor für Neuere deutsche Literaturwissenschaft und Filmwissenschaft an der Universität Bonn. Michael Wetzel hat bereits im In- und Ausland gelehrt. Seine Forschungsschwerpunkte liegen unter anderem in den Bereichen Literatur und Literaturverfilmung, der Geschichte des Autor- und Künstlerbegriffs und in der Untersuchung von Ton - Bild - Text als Gegenstände einer vergleichenden Medienwissenschaft. Außerdem ist Michael Wetzel als freier Autor für verschiedene Zeitungen tätig, daneben sind zuletzt folgende Bücher von ihm erschienen: »Ethik der Gabe. Denken nach Derrida«, Paris/Berlin 1993 [mit H.Wolf]; »Der Entzug der Bilder. Visuelle Realitäten«, München 1994 [mit H.Wolf]; »Die Wahrheit nach der Malerei«, München 1997; »Mignon. Die Kindsbraut als Phantasma der Goethezeit«, München 1999.

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