COLORVAC
Labor zum Erhalt von CRT-Monitoren
Die Videokunst zählt zu den wichtigsten Kunstformen des 20. Jahrhunderts. Wegweisend für den experimentellen Umgang mit dem Medium Fernsehen war Nam June Paiks Exposition of Music – Electronic Television im März 1963 in der Galerie Parnass in Wuppertal, in der Paik zwölf technisch modifizierte Fernsehgeräte präsentierte. Als 1967 mit dem Sony Portapak (DV 2400) die erste tragbare Videoausrüstung auf den Markt kam, begannen Künstler:innen weltweit mit Video zu experimentieren. Für die Präsentation ihrer Werke kamen Röhrenfernseher (CRT-Monitore) zum Einsatz – Geräte, die bis heute eine unverzichtbare Rolle spielen. Sie sind ein integraler Bestandteil von Videoinstallationen und unerlässlich für die Präsentation historischer Videos.
Der Röhrenfernseher ist das ikonische Gerät des 20. Jahrhunderts, das Alltagsleben, Kultur und Kunst seit den 1950er-Jahren prägte.
Mit der Einführung der LED-Technologie endete 2010 jedoch die Produktion von Fernsehgeräten mit Kathodenstrahlröhren. Weder Geräte noch Ersatzteile werden seither noch hergestellt. Öffentliche und private Sammlungen sehen sich daher der Gefahr ausgesetzt, kunsthistorisch bedeutsame und wertvolle Werke der Videokunst zu verlieren. Die Situation wird durch den drohenden Verlust an Fachwissen verschärft, da die letzte Generation von Fernsehtechnikern, die im Umgang mit CRT-Monitoren ausgebildet wurde, bald nicht mehr zur Verfügung steht.
Wenn Videokunst für künftige Generationen bewahrt werden soll, müssen neue Verfahren entwickelt werden, um CRT-Monitore zu erhalten. Ohne eine solche Lösung wird ein Großteil der Arbeiten bereits in 20 bis 30 Jahren nicht mehr ausstellungsfähig sein.
Das ZKM baut daher eine Kooperation mit der COLORVAC auf. Das Unternehmen wurde 2017 in Leverkusen von Christian Draheim gegründet und ist die einzige Werkstatt weltweit, die sich dem Erhalt der CRT-Technologie widmet. Draheim bringt langjährige Erfahrungen aus der Produktion von industriellen Monitoren mit. Bereits in jungen Jahren unterstützte er seinen Vater in dessen Fernsehtechnik-Werkstatt. Heute arbeitet Draheim bei COLORVAC – zusammen mit seiner Frau Claudia und seinem Sohn Florian – für Sammlungen und Museen weltweit am Erhalt der Videokunst.
Im Jahr 2021 hat die Familie Draheim ihre Werkstatt nach Karlsruhe ans ZKM verlegt, um gemeinsam mit dem Team des ZKM die notwendige Forschungsarbeit zu leisten und die Weitergabe von Fachwissen zum Erhalt der CRT-Technologie zu sichern.
Zum Verlust der CRT-Technologie
CRT-Fernseher und -Monitore wurden über mehr als 80 Jahre hinweg, von 1934 bis etwa 2015, weltweit industriell produziert und zählen zu den prägenden Technologien des 20. Jahrhunderts. Im Jahr 2005 erreichten die Verkäufe von Röhrenfernsehern ihren Höhepunkt mit rund 130 Millionen verkauften Geräten weltweit. 2006 erfolgte der Wechsel von der Kathodenstrahltechnik zu LCD (Liquid Crystal Display), das später durch organische Leuchtdioden (LED und OLED) abgelöst wurde. Im Jahr 2008, als die Anzahl der verkauften LCD-Panels zum ersten Mal die CRTs weltweit überstieg, schloss Sony seine letzten Produktionsstätten. Um 2014 verschwanden dann auch starke Märkte wie Indien. Die Produktionsanlagen, darunter für Glas, Keramik, Vakuumtechnik und Elektronik, wurden demontiert, und die verbliebenen Warenbestände entsorgt. Die kommerzielle Produktion von CRT-Monitoren wird nicht wieder aufgenommen werden. Als Folge des Endes der Fertigung schwindet auch das Fachwissen zu Bauteilen und Funktionen von CRT-Röhren.
CRT Lab für Forschung und Wissenstransfer
Ziel der Partnerschaft zwischen COLORVAC und ZKM ist der Aufbau eines CRT Labs für Restaurierung und zur Erforschung von Verfahren zum Erhalt von CRT-Monitoren sowie die Entwicklung eines Aus- und Weiterbildungsprogramms. Es gibt bislang nur wenige Studien- und Ausbildungsprogramme für Restaurator:innen, die sich auf elektronische Künste spezialisieren. Erschwerend kommt hinzu, dass aufgrund der Vielschichtigkeit der elektronischen Medien in diesen Programmen meist nur ein oberflächlicher Einblick in die Problematik des CRT-Erhalts gegeben werden kann. Forschungsprogramme, die sich auf den langfristigen Erhalt von CRT-Monitoren ausrichten, fehlen bislang gänzlich. Mit dem CRT Lab entsteht ein Forschungs- und Weiterbildungszentrum, das in Kooperation mit anderen Kunst- und Forschungseinrichtungen sowie individuellen Restaurator:innen weltweit agieren wird.
Beim Erhalt von CRT-Monitoren setzen Restaurator:innen bisher auf den Austausch defekter Komponenten durch historische Ersatzteile. Das CRT Lab wird Apparaturen und Verfahren entwickeln bzw. weiterentwickeln, die einen langfristigen Erhalt von CRT-Monitoren unabhängig von historischen Ersatzteilen ermöglichen, da diese langfristig nicht verfügbar sein werden. Dafür müssen die industriellen Herstellungsverfahren von CRT-Monitoren auf die Möglichkeiten einer „Manufaktur“ übertragen werden. Die Apparaturen müssen so gebaut und Arbeitsschritte so definiert werden, dass sie auch für künftige Generationen nachvollziehbar sind.
Die Forschung fokussiert sich auf zwei technische Elemente: die Bildröhre sowie die elektronische Steuerung (Chassis).
Das Ziel der Nachhaltigkeit wird erreicht durch
- die Unabhängigkeit von historischen Bauteilen durch eigene Fertigung
- die Verwendung einfacher, universell und langfristig verfügbarer technischer Komponenten
- die Vereinfachung der Verfahren, um die Anwendung auch künftigen Generationen zu ermöglichen
Internationale Netzwerke
Nicht nur Museen und Sammler, sondern auch hochspezialisierte Firmen wie CTL Electronics (New York) oder bek & frohnert (New York) waren bereits in den vergangenen Jahren auf die Expertise von Christian Draheim von COLORVAC angewiesen. Das ZKM unterstützt seinerseits seit vielen Jahren andere Institutionen bei der Restaurierung elektronischer und digitaler Kunstwerke. Durch das CRT Lab wird es möglich, dieses Tätigkeitsfeld systematisch zu entwickeln und die Restaurierung von Videokunstinstallationen als Service anzubieten.
Bildröhren: Neufertigung von Komponenten
Wenn eine Bildröhre trübe wird oder nicht mehr funktioniert, kann dies unterschiedliche Gründe haben: z. B. das Vakuum im Inneren der Röhre wurde durch freie Molekülteilchen beschädigt oder "verschmutzt", oder das Metall, das die Elektronen im Inneren des Systems erzeugt, kann nicht mehr genügend Elektronen emittieren.
Für das Reparieren einer Bildröhre ist es notwendig, den Glaskolben zu öffnen, die Elektronenkanonen zuverlässig aus alten Systemen zu entfernen und durch neue Kanonen (Kathoden) zu ersetzen und die Kolben wieder zu schließen. Dieses Verfahren wurde bereits vielfach erprobt. Notwendig sind dafür Vorrichtungen wie ein Hochvakuumpumpstand mit Temperofen (Heizhauben), Glasdrehmaschinen, Hochfrequenzgeneratoren, Hochvolt-Abfunkgeräte bis 70kV (Teslageneratoren), Glasverarbeitungswerkzeuge und -vorrichtungen, Vakuumgeräte sowie Messmittel und Prüfgeräte aus den Bereichen der Glastechnik, Elektronik und Vakuumtechnik.
Bisher wurden die defekten Kathoden durch baugleiche Ersatzteile ersetzt. Das Forschungsprojekt hat zum Ziel, Verfahren zu entwickeln, um Kathoden und Heizfäden selbst erneuern bzw. anfertigen zu können und so unabhängig von historischen Ersatzteilen zu werden. Die dafür notwendigen Komponenten sind universell und langfristig verfügbar. Auf diese Weise könnte man jede Art von Bildröhre erhalten.
Für die Anfertigung der Heizfäden und die Entfernung der alten Kathodenschicht sowie die Beschichtung der neuen Kathode bzw. den Neubau der Kathode müssen Apparaturen, die schon jetzt verwendet werden, angepasst und andere neu angeschafft werden.
Das CRT Lab wird für die Entwicklung der dafür notwendigen Vorrichtungen mit ehemaligen Mitarbeitern von CRT-Herstellern z. B. von Philips kooperieren sowie mit Hochschulen (Universität Tübingen).
Konstruktion eines universellen Chassis
Damit ein CRT-Monitor einen komplett neuen Lebenszyklus erhält, muss mit der Bildröhre auch das Elektronikboard (Chassis) erneuert werden. Ziel des Forschungsprojekts ist die Entwicklung von vier universellen Elektronikboards, um auch hier eine Unabhängigkeit von historischen Bauteilen zu erreichen. Sie können langfristig, unabhängig von der Industrie, mit relativ einfachen Mitteln angefertigt werden. Mit vier Modellen (drei Boards für Farbbildschirme, ein Board für monochrome Bildschirme) lassen sich die Mehrheit aller im Kunstbereich verwendeten Bildröhren erhalten.
Das Board wird aus universellen elektronischen Bauteilen bestehen, die schon seit Jahrzehnten verfügbar sind und bis heute eingesetzt werden. Die Schaltung kann das Labor selbst aus Halbleitern aufbauen. Vereinfacht werden kann dies durch den Aufkauf von noch lieferbaren integrierten Schaltkreisen aus der industriellen CRT-Produktion. Die Regel, dass die Bevorratung von Ersatzteilen keinen Sinn macht, gilt hier nicht, da die Schaltkreise aus Silizium bestehen, ein Stoff, der über mehrere hundert Jahre lagerfähig ist.
1. Restaurierung
Das CRT Lab wird in den ersten drei Jahren neben der eigentlichen Forschung weiter Aufträge für die Restaurierung von Videokunstwerken übernehmen, jedoch in reduziertem Maße. Aufgrund des drohenden Verlusts von Fachwissen, bedingt durch das Alter der noch lebenden Fernsehspezialisten, steht die Dokumentation dieser Fachkenntnisse und die Entwicklung der Verfahren in der Anfangsphase im Vordergrund.
2. Wissenstransfer
Das CRT-Labor leistet zwei wesentliche Beiträge zum Wissenstransfer: erstens durch die Dokumentation historischen Wissens und zweitens durch die Weitergabe dieses Wissens an die nächsten Generationen. Das rasche Engagement von öffentlichen Kunstinstitutionen für die Verstetigung und Weitergabe des Wissens zur CRT-Technik ist unverzichtbar, da mit der CRT-Industrie nicht nur die Fertigungsstätten, sondern auch Orte der Ausbildung und des Wissenstransfers verschwunden sind.
3. Dokumentation des technischen Wissens
Im Austausch mit den noch lebenden Experten der Fernsehtechnik wird das Fachwissen aus der industriellen Herstellung von CRT-Monitoren dokumentiert und in der Manufaktur praktisch erprobt. Im CRT Lab, das Teil einer Kunstinstitution ist, die auch als Museum agiert, wird dieses historische Wissen verstetigt. Langfristig ist geplant, in Kooperation mit internationalen Museen in USA und Korea, an weiteren Standorten für Bildröhren-Manufakturen aufzubauen und auf diese Weise, das Wissen für die Zukunft durch institutionelle Träger zusätzlich abzusichern.
4. Weiterbildung
Zur Verstetigung des Wissens ist es notwendig, systematisch kommende Generationen von Restaurator:innen im Umgang mit CRT-Monitoren weiterzubilden. Sobald die Verfahren für die Erneuerung der Bildröhren sowie die Herstellung von universellen Chassis erprobt sind, wird es ein systematisches Angebot von Workshops, berufsbegleitender Fortbildung und Praktika in Kooperation mit den Ausbildungsgängen der Hochschulen und Akademien geben.
Internationaler Bedarf und Kooperationen
Die Gründung des CRT Lab reagiert auf einen internationalen Bedarf von Institutionen, die über umfangreiche Bestände an Videoinstallationen verfügen. Zu den Museen und Kunstinstitutionen mit den größten Beständen weltweit zählen
Museen
- Daimler Art Collection, Stuttgart
- Deichtorhallen, Hamburg
- Centre Pompidou
- Friedrich Christian Flick Collection, Berlin
- Fondation Louis Vuitton, Paris
- Folkwang Museum, Essen
- Guggenheim Museum, Bilbao
- Kaiser Wilhelm Museum, Krefeld
- Kramlich Collection
- Kunstmuseum, St. Gallen
- Kunstmuseum Wolfsburg, Wolfsburg
- Kunstmuseum Düsseldorf
- Kunstsammlung NRW, Düsseldorf
- Leeum Samsung Museum of Art, Seoul
- Ludwig Forum, Aachen
- M+, Hongkong
- MoMA Smithsonian, San Francisco
- MNK Frankfurt
- MONA, Museum of Old and New Art, Hobart, Tasmania
- Münchner Stadtmuseum, München
- Museum Ludwig, Köln
- Museum M+, Hong Kong
- Nam June Paik Art Centre, Südkorea
- National Museum of Modern and Contemporary Art, Korea
- New York University, New York
- Sammlung Brandhorst, München
- Sammlung Harald Falckenberg, Hamburg
- Staatsgalerie, Stuttgart
- Stedelijk Museum, Amsterdam
- Stiftung Museum Kunstpalast
- Tate Modern, London
- Weltkulturerbe Völklinger Hütte, Völklingen
- Whitney Museum of American Art, New York
- ZKM | Zentrum für Kunst und Medien, Karlsruhe
Galerien
- Paul Pfeiffer Gallery, New York
Restauratoren
- Studio Redivivus, Den Haag
- Bek & Frohnert, New
Neues Labor für die Erhaltung von Videokunst
Große Teile unseres audiovisuellen Erbes sind heute akut vom Verschwinden bedroht. Für historische Abspielgeräte werden keine Ersatzteile mehr hergestellt. Gleichzeitig verfügen immer weniger Expert:innen über das nötige Fachwissen bei der Restaurierung. Colorvac, das führende Labor für die Erhaltung von CRT-Monitoren im Bereich der Videokunst, setzt dieser Entwicklung seit Jahren unermüdliches Engagement und herausragende Expertise entgegen. Anfang 2024 wurde ein neuer Standort in Kooperation mit dem ZKM | Karlsruhe eröffnet.
Die Labors von Colorvac sind weltweit die einzigen ihrer Art, die für die komplexen Aufgaben der Konservierung von Röhrenmonitoren, einem unverzichtbaren Bestandteil historischer Videokunst, ausgerüstet sind. „Die Erhaltung von Bildröhren ist heute eine Kunst für sich. Wir entwickeln dafür Verfahren, die auch für künftige Generationen anwendbar sein sollen. Dies ist ein wesentliches Ziel unserer Forschung“, so Leiter Christian Draheim.
Die Zusammenarbeit zwischen Colorvac und dem ZKM basiert auf dem gemeinsamen Engagement für Forschung und Weiterbildung im Bereich der Erhaltung von Videokunst. Zukünftige Projekte umfassen Forschungsarbeiten zur Entwicklung von Verfahren und Werkzeugen auf Manufakturebene. Damit begegnet Colorvac der Problematik, die sich aus dem Ende der Röhrenmonitorproduktion ergibt, das 2014 mit der Schließung der letzten Herstellerfabrik besiegelt wurde. Das Projekt ist für die Erhaltung von Videokunstinstallationen von entscheidender Bedeutung, da es in absehbarer Zeit nicht mehr möglich sein wird, historische Bildröhren und Ersatzteile zu beschaffen, die für die Erhaltung historischer Videokunst notwendig sind.
Um die Langlebigkeit von Videokunstwerken in öffentlichen und privaten Sammlungen zu unterstützen, planen Colorvac und das ZKM darüber hinaus die Entwicklung von Seminaren, die jungen Restaurator:innen das kaum noch verfügbare Fachwissen zur Erhaltung historischer Bildröhren vermitteln sollen. Die Kooperation ist ein wichtiger Schritt für die langfristige Erhaltung von Videoinstallationen.
Über Colorvac
Das Unternehmen Colorvac, 1962 von Peter Draheim gegründet und bis 2006 von ihm geführt, ist auf die Erneuerung von Röhrenmonitoren spezialisiert. Seit der Neugründung von Colorvac im Jahr 2015 durch Christian Draheim restauriert das Labor im Auftrag der größten Museen Videokunstinstallationen und entwickelt kontinuierlich neue Methoden zur Erhaltung von CRT-Monitoren.