Die »Kritische Zone« der Kabinentoiletten
Ein Beitrag von Hanna Jurisch
Das Unbequeme einer Toilettentür ist erst auszumachen, wenn sie bewegt wird.
Versetzen Sie sich in folgendes Szenario:
Eine öffentliche Kabinentoilette mit mobilen Sanitärtrennwänden, die Toilettentür schwingt nach innen, also zum Bereich der Toilettenschüssel auf. Das gerade in Winterkleidung, während gepäcklastiger Reisen oder mit kindlicher Begleitung schwierige Manöver hinein in die Kabine erscheint noch unmöglicher beim Verlassen ebendieser. Irgendein Ärmel oder Rucksackbändchen droht in das eigentlich frische aber mit Kontamination assoziierte Wasser einzudippen. Rückwärts breitbeinig oder seitlich neben der Schüssel eingeklemmt, versucht man der freiheitversprechenden Tür beim Aufschwingen Platz zu machen. Der gewonnene Komfort durch die Erleichterung auf der Schüssel ist nach dem Bewegungsparcour aus der Kabine schon wieder eingebüßt.
Die Abgrenzung, die man in öffentlicher Umgebung für das Verrichten privater Angelegenheiten wünscht, wird in jener Toilettentür manifest. Spätestens die Erfahrung, wenn die verschlossen geglaubte Tür plötzlich von fremder Hand geöffnet wird, macht die Rolle der Abschottung und das damit verbundene Wägen in Sicherheit bewusst. Die Kabine als Isolierraum ist im westlichen öffentlichen Alltag kaum wegzudenken – selbst in Kindergärten gibt es Minivarianten der Sanitärkabinen, nur mit dem Unterschied, dass ausgewachsene BesucherInnen durchaus in der Lage sind die Abgrenzung aufzulösen, mit einem Blick über die Tür.
Die Toilettenkabine ist eine Konstruktion. Sie ist sowohl architektonische Schwelle als auch Symbol der scheinbaren Isolation eines Äußeren vom inneren Privatbereich, auch wenn dieser nur für einige Minuten genutzt wird. Der Umgang mit dem Innenraum ist einzig auf das Erledigen persönlicher Bedürfnisse ausgelegt. Die auf A4 ausgedruckten Zettel, mit der Bitte den Ort so zu verlassen, wie man ihn aufzufinden wünscht, zeigen, dass diese persönliche Nutzung nicht immer auch dem Interesse der Allgemeinheit entspricht.
Jedoch, bis auf wenige visuelle Elemente bleibt die Kabine durchlässig und der Raum, in dem die Kabinen aufgestellt sind, bestimmt das Ambiente: Macht jemand das Licht im Raum aus, sind alle Sitzenden im Dunkeln. Geräusche und Gerüche finden ihren Weg in jede der einzelnen Kabine. Mancheine/r versucht eine künstliche auditive Grenze zu kreieren, durch zwischenzeitliches Betätigen der Wasserspülung. Spätestens aber mit dem Verlassen der Kabine und der Feststellung, dass jemand bereits vor der Kabinentür wartet um den eben genutzten Privatraum nun für sich in Anspruch zu nehmen, wird die Kabinenkonstruktion transparent.
Die Denkfigur der »Critical Zones« steht ein für eine neue Betrachtung des Raumes, der uns umgibt. Wir sind nicht nur abhängig von dem Ort, an dem wir leben, sondern von unzähligen Orten in einer »globalisierten« Warenwelt, die unsere gewohnte Versorgung und unseren Lebensstandard sicherstellen. Der Raum, den wir sehen und in dem wir leben, entspricht nicht dem Raum, den wir beeinflussen. Er geht weit darüber hinaus.
Nun verlangt das Verstehen der »Critical Zones« nicht unbedingt das Abschaffen aller sanitären Stellwände. Wohl aber führt es zu einer neuen Umsichtigkeit, die das Verbergen hinter Stellwänden auf Phänomene übertragen lässt, welche die alten Grenzen zwischen dem Sozialen, dem Politischen und der Natur überschreiten. »Critical Zones« macht Begrenzungen sichtbar, die die Wahrnehmung unseres Umfelds bestimmen und konstruierte Abgrenzungen von eigentlich verbundenen Räumen sind.
Das Unbequeme an Abgrenzungen ist erst auszumachen, wenn sie im Weg stehen.
Ein Beitrag von Hanna Jurisch.