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Harald Falckenberg: Einführung zur Ausstellung Gianfranco Baruchello

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Einleitung von Harald Falckenberg zur Publikation »Baruchello: Certain Ideas«, die 2014 von Achille Bonito Oliva, Carla Subrizi, Dirk Luckow, Peter Weibel und Harald Falckenberg herausgegeben wurde und im Mailänder Verlag Electra erschien.
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Es war eine seiner subversiven und verrätselten »certe idee«, die Gianfranco Baruchello dazu veranlassten, der amerikanischen Regierung im Oktober 1966 in der heißen Phase der sich weltweit ausbreitenden Studentenrevolten einen ordnungsgemäß an „The Secretary of State for Defence. The Pentagon Washington 25, DC“ adressierten Vorschlag für ein »Multipurpose Object« zu machen. Auf dem Cover des Katalogs befindet sich eine Abbildung dieses merkwürdigen, für den Militäreinsatz viel zu eleganten Gerätes. Eine Art Handgranate oder stilisierte Vorrichtung zum Entsichern von Schnellfeuerwaffen, die den Soldaten als typische Hand- und Fingerübung entspannt und auf den Einsatz vorbereitet. Das Pentagon hat den Vorschlag geprüft und wie erwartet mit dem auf der Rückseite des Katalogs abgedruckten Schreiben vom November 1966 unter dem Ausdruck des Bedauerns abgelehnt.
 
Man tut gut daran, über diese von Baruchello so prominent vorangestellte Arbeit nachzudenken und als eine Art Leitmotiv im Sinn zu bewahren, wenn man sich an die Arbeit macht, die vorgelegte so facettenreich und gründlich dokumentierte Abhandlung zu studieren. Sie ist 2011 unter Federführung von Achille Bonito Olivia und Gianfranco Baruchellos Ehefrau, der Kunsthistorikerin Carla Subrizi, im Rahmen der Retrospektive »Certe Idee« in der Galleria Nazionale D'Arte Moderna, Rom, als Resümee der jahrzehntelangen Arbeit des 1924 geborenen Künstlers, Literaten, Philosophen, Psychologen, Wissenschaftlers, Architekten, Archivars und Betreibers des landwirtschaftlichen Projekts »Agricola Cornelia« entstanden. Mit mehr als 100 internationalen Einzelausstellungen und mehr als 300 Gruppenausstellungen hat Baruchello Zeitgeschichte geschrieben.
 
Wenn die Deichtorhallen Hamburg / Sammlung Falckenberg unter Dirk Luckow und das ZKM »Zentrum für Kunst und Medientechnologie«, Karlsruhe, unter Peter Weibel drei Jahre nach Rom eine umfassende Werkausstellung Baruchellos zeigen und die Publikation von 2011 in englischer Sprache neu auflegen, sehen sie sich der internationalen Bedeutung des Künstlers verpflichtet. Baruchello zählt zu den maßgeblichen Vertretern, die in den 60er/70er Jahren ausgehend von New York, aber auch in Italien, Frankreich, Deutschland und Österreich der bürgerlichen Kultur repräsentativer Kunst und dem kommerziellen Kunstbetrieb den Kampf ansagten und eine kritische, politisch und gesellschaftlich ausgerichtete Kunst forderten. Wenn Baruchello für die breite Kunstöffentlichkeit – nicht für die Spezialisten – weitgehend in Vergessenheit geraten ist, ist der Grund dafür schnell ausgemacht. Wie wenige andere Künstler hat er über 55 Jahre an seinem Œuvre festgehalten und war nicht bereit, sich den ausufernden Kunstströmungen ab Ende der 70er Jahre zu unterwerfen.
 
Zu Recht, wie wir meinen und mit dieser Publikation gerade heute belegen wollen. Längst herrschen auf dem Kunstmarkt Verhältnisse, die auf eine Refeudalisierung der Kunst unter neuen Herren deuten, und politisch nähern wir uns bedenklich einem neuen Kalten Krieg der Großmächte um die wirtschaftlichen Ressourcen dieser Welt. Die Deichtorhallen Hamburg / Sammlung Falckenberg und das ZKM, Karlsruhe, befassen sich seit einiger Zeit mit diesen Fragen. In einer Reihe von Gemeinschaftsausstellungen wie Paul Thek (2008), Bob Wilson (2010), Aby Warburg (Atlas, 2011, kuratiert von Georges Didi-Huberman) und William S. Burroughs (2013) haben sie sich mit kritischer Kunst und Kunsttheorie auseinandergesetzt. Vorangegangen waren retrospektiv angelegte  Ausstellungen in der Sammlung Falckenberg mit dem Werk des Wiener Aktionisten Otto Mühl (2005) und der Arbeiten von Peter Weibel (2006), der aus dem Kreis der Wiener Gruppe zu den Wiener Aktionisten gewechselt war.

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Auf Gianfranco Baruchello wurde ich zuerst bei der Vorbereitung der Ausstellung »Art and Politics. Erró, Fahlström, Köpcke, Lebel« von 2003 in meiner Sammlung aufmerksam. Die enge künstlerische Beziehung von Baruchello zu Erró und Öyvind Fahlström ist im Katalog der von Georg Bussmann und Armin Zweite kuratierten Ausstellung »Let’s mix all feelings together. Baruchello, Erró, Fahlström, Liebig« 1975 dokumentiert worden. Jean-Jacques Lebel und Peter Weibel waren 1966 in London Teilnehmer des berühmten »Destruction in Art Symposium« (DIAS). Baruchello wiederum nahm ab Anfang der 60er Jahre an Aktionen Lebels der »Libre Expression« in Paris teil. Beide beteiligten sich zusammen mit Erró und dem Psychoanalytiker Félix Guattari aktiv an der studentischen Mairevolte 1968. Unterstützung fanden sie bei Marcel Duchamp, der einen maßgeblichen Einfluss auf die Kunstentwicklung im New York der 60er Jahre hatte. Duchamp starb nach der Niederschlagung des Aufstands im Herbst 1968. Robert Lebel, Vater von Jean-Jacques, hatte 1959 die erste Ausgabe des legendären Buchs »Sur Marcel Duchamp« in Paris veröffentlicht. Baruchello lernte Duchamp im September 1962 in New York kennen. Es entstand eine enge persönliche und intellektuell geprägte Beziehung. Baruchello hat mehrere Essays über Duchamp verfasst.


 
Der künstlerische Durchbruch gelang ihm im Oktober 1962, als er  auf Empfehlung der Galeristin Ileana Sonnabend an Pierre Restanys Ausstellung in der New Yorker Sidney Janis Gallery teilnahm, die die Künstler der europäischen »Nouveaux Réalistes« – auch Fahlström war dabei – den aufstrebenden Protagonisten der amerikanischen Pop-Art-Szene wie Jim Dine, Robert Indiana, Roy Lichtenstein, Claes Oldenburg, James Rosenquist, Andy Warhol und Tom Wesselmann gegenüberstellte. Die Ausstellung gilt als Geburtsstunde der Pop Art.
 
Baruchellos Mutter war Volksschullehrerin und Mitarbeiterin des Magazins »School Rights“, der Vater Rechtsanwalt, Professor für Wirtschaft und industrielle Organisation und Manager der Unternehmervereinigung »General Fascist Confederation for the Italian Industry«. Nach der Scheidung der Eltern blieb Baruchello bei seinem Vater. Er studierte Jura und wurde Geschäftsführer einer Firma der Unternehmensgruppe des Vaters. Baruchello entschied 1959, sich von der Vergangenheit zu lösen und Künstler zu werden. Es gelang ihm nicht zuletzt durch die Unterstützung Duchamps, schnell in New York Fuß zu fassen und mit zahlreichen Künstlern der internationalen Szene Freundschaft zu schließen. Seine Abrechnung mit der faschistischen Vergangenheit vollzog er mit den Mitteln der Kunst, eher still und poetisch, subtil-rätselhaft und ohne politische Parolen und Manifeste. Diese Haltung hat es ihm ermöglicht, seine italienische Identität zu bewahren und die Wurzeln seiner Herkunft nicht zu desavouieren.
 
Es war nicht zuletzt dieses Bekenntnis, das sein maßgeblich in Italien fortgesetztes Werk trotz immerhin fünf Präsentationen auf den Biennalen von Venedig 1972, 1988, 1990, 2004 und 2013 international nie zur vollen Geltung kommen ließ. Mit Punk, Neo-Expressionismus, Transvanguardia, der Pictures Generation und der späteren Ausrichtung auf aggressiv vertretene politische Inhalte wie Gender, Post-Kolonialismus und Post-Fordismus hatte Baruchello nichts am Hut. Sein Metier mit Malerei, Fotografie, Film, Video, Installation und Performance ist die Mutlimedia-Kunst. 1967 formulierte der Kunsttheoretiker Marshall McLuhan das bis heute bestehende Motto: „The medium is the message.“
 
Die ersten Arbeiten ab 1959 befassten sich mit Objekten, Collagen und Decollagen unter Einbeziehung von »objets trouvés« und – meist – weißflächigen Malereien mit Linien, Buchstaben, Worten und Zahlen, ganz im Stil der Zeit. 1964 ging Baruchello dazu über, seine minutiös gemalten Objekte mit Zeichen und sprachlichen Elementen in der Form mehrerer Schichten auf Plexiglas über einer Aluminiumplatte anzufertigen, um räumliche Effekte zu erzielen. Diese sich überschneidenden und räumlichen Effekte führten im selben Jahr auch zur Idee seines ersten und vielleicht wichtigsten Films »Verifica Incerta« (uncertain verification), in dem er Clips überwiegend amerikanischer Filme nach dem Zufallsprinzip zusammenfügte. Der Film wurde 1965 im New Yorker Guggenheim Museum aufgeführt und danach immer wieder, zuletzt 2011 im Centre Pompidou, gezeigt.

 

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»A new journey began into imagination and reality, so immense that I wanted to encompass parallel language experiences such as cinema, television, photography, activities, installations, writing-collages, etc.«
 

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Auf »Verifica Incerta« geht der Titel »Certe Idee/Certain Ideas« des Buchs zurück. Es ist ein Wortspiel, das im Italienischen wie im Englischen gleichermaßen passt. »The impossible things are certain“, wie Baruchello es formuliert, und eben das interessiert ihn nicht als Künstler. Ihm geht es um die »uncertain things“, die gelegentlich und zufällig als Möglichkeit auftreten und verifiziert werden können: »Certain Ideas« sind also nicht sicher bestimmte, sondern ungewisse Dinge und Ideen, die der Künstler als eine Art Flaneur bei seiner Arbeit ausmacht. Ganz schön kompliziert, ebenso logisch wie rätselhaft.
 
Im weiteren Verlauf applizierte Baruchello seine Figuren, Objekte und Sprachelemente direkt auf mittel- und großformatige grundierte Aluminiumplatten. Dies sind die Arbeiten, die der breiten Öffentlichkeit bekannt geworden sind und bis heute für das Werk des Künstlers stehen. Auch sie sind im herkömmlichen Sinne nicht verständlich und haben unmittelbar nichts mit der Wirklichkeit zu tun. Personen, vielleicht besser Figuren, und Dinge werden in Elemente zerlegt, Zeichen und Zahlen stehen isoliert. Dazu Kurzzitate in verschiedenen Sprachen, Worte und einzelne Buchstaben. Der Künstler bietet ganz bewusst keine Erklärungen. Er bezieht sich auf psychologische Zusammenhänge und kognitive Erkenntnisse, die Elemente der Vergangenheit und der Realität in immer neuer Weise assoziativ zusammenführen und in Rastern und Strukturen zum Ausdruck bringen. Baruchello betont: »Die Bilder sind nie zufällig, sondern folgen mysteriösen Regeln der Anordnung, die ich nicht erklären kann.« Strategisch gesetzte Leerstellen im semantischen Gefüge lassen im Sinne eines Partizipationsmodells Raum für eigene Fantasien und Schlussfolgerungen des Betrachters. Auf Lösungen im herkömmlichen Sinne darf der Betrachter allerdings nicht hoffen. Er muss sich auf die so sorgsam verschlüsselte, labyrinthische Rätselwelt ohne Chance auf Decodierung einlassen.
 
»Paradise lost« könnte man meinen, wenn Baruchello die ruinösen Überreste der Dinge vergangener Zeiten und die Zerlegung der Sprache und Worte in Einzelteile als Zeichen des Niedergangs verbindlicher kultureller Symbole und Kommunikationssysteme begreift. „Lasst uns“, sagt Baruchello mit ironischem Unterton, „Geschichten und Märchen machen, um nicht zu vergessen, was sie uns vergessen machen wollen.“

 

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Lasst uns Geschichten und Märchen machen, um nicht zu vergessen, was sie uns vergessen machen wollen.

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Der Sprache und der Rede – den großen Verführern aller Zeiten – vertraut Baruchello überhaupt nicht, schon eher den Dingen: »Für mich liegt ein Element der Trauer in den Objekten und Sie wissen, dass ich bestimmte Gegenstände mehr liebe als Leute.« Das darf nicht als nostalgische Attitüde missverstanden werden. Baruchello ist Analytiker und Freigeist.
 
Er steht mit seinen Überzeugungen im Einklang mit einer ganzen Generation von Künstlern, die insbesondere nach den Katastrophen der beiden Weltkriege daran ging, die am Renaissance-Modell des Guten, Schönen und Wahren orientierten kulturellen Wertvorstellungen der herrschenden politischen und wirtschaftlichen Klassen systematisch zu unterlaufen. Die atonale Musik bricht mit den herkömmlichen Harmonie- und Rhythmusvorstellungen, die konkrete Poesie zerlegt die Sprache, Worte und die Reimtechnik in ihre Bestandteile, das Totaltheater, Performances und Happenings verstehen das Publikum als integralen Bestandteil freier Veranstaltungen. In der bildende Kunst stehen Dada, Surrealismus, Situationismus, Nouveau Réalisme und Fluxus für den Widerstand gegen das traditionelle Kunstverständnis. Allen voran Duchamp, der seine Ready-mades Anfang des 20. Jahrhunderts provokativ als Antikunst deklarierte. Von ihm gingen Anfang der 60er Jahre die entscheidenden Impulse für die Objektkunst der Minimal Art Donald Judds, Dan Flavins, John Chamberlains und der Pop Art – prototypisch die 1964 entstandene Brillo-Box Warhols – aus. Es waren Arbeiten, die mit herkömmlichen Mitteln der industriellen Massenproduktion angefertigt wurden. Es war Duchamp, der die Kunst von »high« auf »low« stellte. Schon bald wurde sie vom Kunstmarkt vereinnahmt. Heute werden die Objekte zu Millionenpreisen gehandelt.
 
Baruchello entzog sich dieser Entwicklung. Statt der herkömmlichen Leinwand verwendete er zwar mit Plexiglas und Aluminium industrielle Produkte, aber die darauf applizierten minimalistischen Malereien – Baruchello: „Wir befinden uns nicht mehr in Zeiten der Sixtinischen Kapellen“ – waren für den Markt kaum zugänglich. Gleiches gilt für seinen Mitstreiter Fahlström in der Sidney-Janis-Ausstellung 1962, der mit seinen knallharten antikapitalistischen Parolen kein Fall für das New Yorker Kunstestablishment war. Die von Baruchello praktizierte Isolierung und Auflösung der Sätze und Worte haben in der konkreten Poesie ihre Grundlage und wurden im Dada insbesondere von Kurt Schwitters umgesetzt. Radikal in den 40er/50er Jahren William S. Burroughs, der zu dem Schluss kam, dass sich das kapitalistische amerikanische Herrschaftssystem nur überwinden lässt, wenn man seine auf Ein- und Ausschluss konzipierten Kommuniktationssysteme unterläuft. »Language Is A Virus« ist sein berühmtes, in den 70er Jahren von den Poststrukturalisten, insbesondere Michel Foucault, aufgenommenes Diktum. Unabhängig davon formulierte der Theoretiker der Wiener Gruppe Oswald Wiener 1969 in seinem Roman Die Verbesserung von Mitteleuropa die These „Die Sprache hilft uns nicht aus dem Gefängnis, sie ist unser Gefängnis.“ Burroughs entwickelt auf Anregung seines Künstlerfreunds Brion Gysin Anfang der 60er Jahre in Paris die Cut-up-Methode. Ausgangspunkt ist das von Tristan Tzara 1920 verfasste surrealistische Traktat »Um ein dadaistisches Gedicht zu machen« als Ausdruck keiner Logik unterworfener Denk- und Darstellungsmuster. Burroughs zertrennt mit einem herkömmlichen Messer für die Herstellung von Passepartouts eigene Texte, Zeitungs- und Magazinvorlagen, Fotos, Filmstills und Tonbänder und setzt sie rastermäßig nach dem Zufallsprinzip zu Collagen zusammen. Dies alles sind Bezüge, die den zeitlichen und gesellschaftlichen Kontext des Werks von Baruchello und seine politische Position beschreiben. Die ganz eigene genuine künstlerische Leistung Baruchellos steht außer Frage. Wo andere laut und drastisch werden, bleibt er still. Baruchello leistet politischen Widerstand mit den Mitteln der Kunst und dem Eigensinn des Künstlers.
 
Er wünsche sich Bücher und Bilder, die den Geist und nicht das Auge provozieren. Dabei ist sich Baruchello im Klaren, dass seine Kunst dem typischen Rezipienten kaum vermittelbar ist.

 

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Wenn ich die Bilder einem Busfahrer zeige, werde ich vermutlich zu hören bekommen: ‚Davon verstehe ich überhaupt nichts.‘ Das ist traurig, aber nicht verwunderlich. Aber wenn ich sie einem Intellektuellen zeige, muss ich feststellen, dass dieser noch viel weniger erreichbar ist.

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Baruchello fährt ernüchter fort: »Die Bilder sind nur ein anderes, elitäres Stück Ware, dazu bestimmt, durch das bürgerliche Kommunikationssystem zu wandern und schließlich in den Händen eines reichen Kunden zu landen.« (1970, Katalog der Galleria Schwarz, Mailand)
 
Die Bemerkung Baruchellos steht im zeitlichen Zusammenhang mit der Niederschlagung der Pariser Mai-Revolte. Einige Wochen schien es so, als könnten Künstler und Studenten im Schulterschluss mit den Gewerkschaften neue Maßstäbe für eine offene und gerechtere Gesellschaft schaffen können. Aber es genügten zielführende Verhandlungen der französischen Regierung mit den Gewerkschaften, um den Aufstand innerhalb kürzester Zeit zum Einbruch zu bringen. Die Enttäuschung war groß. Der Hebel der Kunst in Machtfragen erwies sich als einfach zu kurz. Die späteren terroristischen Übergriffe der RAF und der Brigate Rosse fanden ohne die Künstler statt.
 
Gerade in Italien, aber nicht nur dort, nahmen Anfang der 1970er-Jahre die Auseinandersetzungen mit politischen Überzeugungstätern und kriminellen Organisationen bei gleichzeitigem massiven Einsatz der Ordnungskräfte gegen Verdächtige aller Art hysterische Formen an. Für Baruchello markierte diese politische Krise eine Zäsur. Sie fiel zusammen mit einer persönlichen Umorientierung und seinem Unmut über die Entwicklung des Kunstbetriebs. Baruchello war bereit, tabula rasa zu machen. 1973 zog er in ein Landhaus in der Via di Santa Cornelia an der Peripherie Roms und erwarb in der Folge zehn Hektar der umgebenden Latifundien, um dort Landwirtschaft zu betreiben. Das Projekt »Agricola Cornelia« war geboren.
 
Agricola Cornelia ist kein Aussteigermodell, sondern die konsequente Fortsetzung der künstlerischen Ideen Baruchellos mit anderen Mitteln. Seine Malereien versteht der Künstler als Hingabe zu den Dingen. Und den damit verbundenen historischen, kulturellen und psychologischen Implikationen. Viel Theorie. Mit Agricola Cornelia ist ein Feld eröffnet, das im wahren Sinne des Wortes down to earth führt und dem Künstler die Möglichkeit verschafft, jenseits der Diskurse und Eifersüchteleien der Art World etwas Eigenes zu schaffen. Baruchello betrieb Landwirtschaft, aber wurde nie Landwirt. Zu keinem Zeitpunkt hat er aufgehört, künstlerisch tätig zu sein. Das Werk »L’Altra Casa« von 1978/79, begleitet von einem Katalog, dessen Vorwort sein Freund, der Poststrukturalist Jean-François Lyotard, verfasste, ist ein signifikantes Beispiel. Mit »L’Altra Casa« unternahm Baruchello den Versuch, als eine Art Architekt Räume, Bäder, Gewächshäuser und die Position von zwölf Bienenstöcken zu entwerfen und damit in eine eigentlich den Frauen vorbehaltene Domäne einzubrechen.
 
»Agricola Cornelia« ist für Baruchello ein offener, nur durch Wolken und Licht begrenzter Raum, eine Art Bühne im Verständnis des »total theater« und der »total poetry«. Die Organisation entspricht diesem Ansatz und wird im besten künstlerischen Sinne spontan und nicht nach wirtschaftlichen Grundsätzen der Effizienz betrieben. Aber es klappt mit großem Engagement der Beteiligten alles bestens. Die Landwirtschaft ist längst aufgegeben, ebenso der Versuch, Gärten anzulegen. Die riesigen Grasflächen vor dem Haus befinden sich in einem mehr oder weniger gemähten Zustand. Es gibt Pfade zu einzelnen Außenskulpturen, verfallene Schuppen mit verrosteten Landwirtschaftsgeräten und spartanisch eingerichtete Nebenhäuser für Studenten und Gastkünstler. Das wenigstens ist der Situationsbericht des Autors nach zwei Besuchen. Es ist großartig, aber wird weit übertroffen vom Haupthaus. Dort hat Baruchello in Zusammenarbeit mit Carla Subrizi, ohne die alles nicht möglich geworden wäre, ein Archiv mit einer Unzahl von Büchern, historischen Zeitungsbelegen, Dokumenten aller Art und Arbeiten des Künstlers angelegt, das in seiner Qualität und der unprätentiösen Art des Zugangs einmalig ist.
 
»Agricola« Cornelia« ist 1998 mit wesentlichen Beständen der Kunstwerke Baruchellos in eine Stiftung überführt worden, die sich ohne öffentliche Mittel selbst finanziert. Sie ist jungen Künstlern und Wissenschaftlern gewidmet, die sich mit den wesentlichen Entwicklungen der politischen Kunst ab der 60er Jahre beschäftigen und die Grundlagen experimenteller Gegenwartskunst erforschen wollen.
 

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