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Hintergrund

© Michael M. Roth, MicialMedia
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Bereits seit 1999 untersucht das ZKM in Ausstellungen wie net_condition, in Publikationen und seinen Instituten das sich verändernde Verhältnis, in dem Gesellschaft und Technik durch das Aufkommen des Internets stehen. Das Internet und die Gesellschaft prägen einander wechselseitig und bringen so neue Handlungsräume sozialer, wirtschaftlicher und künstlerischer Art hervor.

»Es entstehen Möglichkeiten, denen bisher kein Bedarf entsprach.«

Peter Weibel, Künstlerisch.-wissenschaftlicher Vorstand des ZKM | Karlsruhe


Im Oktober 2007 reagierte das ZKM mit der Ausstellung You_ser. Das Jahrhundert des Konsumenten als weltweit erste Kunstinstitution auf das Aufkommen des Web 2.0 mit all seinen Spielarten von Social Media bis hin zu Second Life. Dabei zeichnete sich die Entstehung eines neuen, »emancipated user« ab, der die bereits bekannte Interaktivität um eigene Produktivität erweitert. Das ZKM, das sich schon immer als performatives und partizipatives Museum verstand, sah sich nun in der Rolle eines perforierten Museums, dessen Mauern durchlässig werden für die Inhalte der BesucherInnen, der »emancipated user«, die sich wiederum mit den Inhalten, Plattformen und Werken der KünstlerInnen verbinden.

Dank Apps zum portablen Medienmuseum

Dieses performative, perforierte Museum erreichte durch die Apps, die wenige Monate später aufkamen, eine neue Dimension. Dank der Apps kann nun jeder Besitzer eines Smartphones eine Art portables Medienmuseum mit den neuesten Entwicklungen in der Tasche tragen. Hinzu kommt die Möglichkeit, ältere künstlerische Entwicklungen von einem Speichermedium oder Format in ein neues zu migrieren, also etwa Werke, die vormals auf einer interaktiven CD-ROM oder als Installation im Museum präsentiert worden waren, als App zu programmieren, um so dem expandierenden und sich professionalisierenden Mediengebrauch der UserInnen zu folgen.

Viele dieser Apps sind Visualisierungen musikalischer Kompositionen, befassen sich mit Klang: Brian Eno und Björk sind mit ihren Apps »Bloom« (2009) und »Biophilia« (2011) die namhaftesten Pioniere dieser neuen multimedialen Kunstformen, die Musik, visuelle Kunst, Videos, Games und Programmierung miteinander kombinieren. Sie machen die RezipientInnen – die UserInnen – zu AkteurInnen, zu MitgestalterInnen ihrer Werke. Viele Impulse, künstlerische Innovationen und Updates der App Art stammen aus der bildenden Kunst. Es werden Aspekte der Op-Art und der kinetischen Kunst sowie Entwicklungen aus der Video- und der interaktiven Medienkunst aufgenommen.

Kunst wird mobil

Dass sich die bildende Kunst mithilfe von Apps mobil macht, ist eine durchaus folgerichtige Entwicklung. War die Malerei zu Zeiten der Höhlenmalerei oder des mittelalterlichen Freskenbildes zunächst an einen Ort gebunden, so begann das Bild mit dem Tafelbild – auf Holz oder Leinwand –, mobil zu werden: Es konnte reisen, die Bildinformation konnte an anderen Orten anderen Personen gezeigt werden, es konnte verkauft und geraubt werden. Dies bedeutete die Produktion eines Bildes für verschiedene Orte. Mit der technischen Reproduzierbarkeit und den Massenmedien konnte ein Bild auch vervielfältigt, kopiert und in neue Kontexte gestellt werden, das heißt, die Produktion vieler Bilder für viele Orte war möglich. Das Bild wurde zur Massenware. Mittels Apps und Mobile Computing ist nicht nur die Produktion von Bildern an allen Orten für alle Orte möglich, sondern auch die Voraussetzung für eine direkte Verbindung zwischen ProduzentInnen und KonsumentInnen beziehungsweise UserInnen gegeben. Dies bedeutet eine Erweiterung der Kunst der Produktion hin zur Kunst der Distribution.

Die Multimedialität des neuen Mediums vereint die unterschiedlichen Gattungen: MusikerInnen arbeiten mit visuellen KünstlerInnen, bildende KünstlerInnen beziehen Musik und Akustik in ihre Werke mit ein. ProgrammiererInnen sind PartnerInnen der KünstlerInnen, Algorithmen werden zur künstlerischen Methode, sodass manchmal der ProgrammiererInnen-Slogan »Code is Poetry« anklingt.

Mit der Entwicklung der App-Technologie wird eine Tendenz sichtbar, die Peter Weibel wie folgt definiert: Die Technologie und Logik der Produktion, welche die Ära der industriellen Revolution im 19. und 20. Jahrhundert prägte, wurde im Titel von Frank Lloyd Wrights Vortrag »Maschinery, Materials, and Men« aus dem Jahr 1930 zusammengefasst. Im 19. und 20. Jahrhundert wurden Güter mithilfe von neuen Maschinen und Materialien massenhaft produziert. Die Massenproduktion hatte unter anderem die Gründungen von Werkbund und Bauhaus zur Folge. Gemäß Peter Weibel wird im 21. Jahrhundert eine neue Gleichung gelten: »Media, Mobile Data, and Men«. Dies bedeutet, dass im 21. Jahrhundert neben der Produktion eine neue Distribution von Daten durch Medien, konkret die sozialen Medien, entsteht. Diese Logik und Technologie der Distribution von Daten sind die Grundlage der Massenmedien – von den Printmedien bis hin zu Film und Fernsehen. Durch die Digitalisierung der Distribution erhalten die Massenmedien einen neuen Innovationsschub, der durch Personalisierung gekennzeichnet ist: Die Massenmedien werden zu persönlichen Medien. PC und Internet sind die Basis für eine individuelle Nutzung und Distribution von Daten mit Massenwirkung.

Die Kunst, die über Jahrtausende nur ein Einzelwerk für einen Ort produzierte, hat nun die Chance, nach den analogen Techniken der Multiplikation im digitalen Zeitalter zum ersten Mal selbst vom klassischen Paradigma der Produktion zum Paradigma der Distribution zu wechseln. Dies ist die Mission der App Art.

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