Die Kunst der Kritik: Karikatur, Kabarett, Komik
Anlässlich des 300-jährigen Jubiläums der Stadt Karlsruhe plant das ZKM ein neues Kunstereignis an 300 Tagen, das sich zwei wichtigen Tendenzen des 21. Jahrhunderts, nämlich Globalisierung und Digitalisierung und deren Effekten auf die Kultur, widmet.
VON PETER WEIBEL
Diese beiden Strömungen rufen große Irritationen hervor, nur nicht in Deutschland. Darf es bzw. kann es sein, dass eine Stadt mit dem Namen Karlsruhe, also eine Stadt der Geruhsamkeit, den »quiet German«[1] aufweckt?
Für den jetzigen Zustand der Welt erfinden die Soziologen und Philosophen mindestens jeden Monat eine neue Formel oder einen neuen Titel, um ihre Beunruhigung, um nicht zu sagen, ihre Verzweiflung auszudrücken. Ob Risikogesellschaft (Ulrich Beck, 1986), ob überforderte Gesellschaft (Meinhard Miegel, Hybris. Die überforderte Gesellschaft, 2014), ob Müdigkeitsgesellschaft (Byung-Chul Han, 2010), ob Postdemokratie (Colin Crouch, Post-Democracy, 2004), ob defekte Demokratie (Wolfgang Merkel, 2003), oder Schock-Strategie (Naomi Klein, 2007), die Welt erscheint als eine Folge von Krisen, von der Klimakrise zur Finanzkrise, von der Demokratiekrise zur Menschenrechtskrise.
Apokalypse als Argument der Wissenschaft
Dennoch befinden sich die meisten Gesellschaften im Zustand der Verdrängung: Sie erstarren, sie bewegen sich nicht, sie verändern sich nicht, sie handeln nicht. Agonie und Handlungsunfähigkeit auf der einen Seite bedingen Gewalt und Terror auf der anderen Seite. Die einen beobachten den clash of civilizations (Samuel Huntington, 1993), wenn nicht gar den Untergang der Reichen (Jared Diamond, Kollaps. Warum Gesellschaften überleben oder untergehen, 2005) oder gleich ein Requiem für die Menschheit (Clive Hamilton, Requiem for a Species, 2010). Das Narrativ des Endes wendet sich vom Positiven (Francis Fukuyama, Ende der Geschichte, 1992) zum Negativen. Die Apokalypse, bisher ein Argument der Religion, wird nun ein Argument der Wissenschaft.
Die BRICS-Staaten steigen noch auf, aber nicht mehr so stark wie prophezeit, die OECD-Staaten steigen teilweise ab. Die Zukunft der Europäischen Union ist ungewiss und die USA destabilisiert weiterhin wirtschaftlich und militärisch wichtige Zonen. In diesen Zeiten der Krise und der Unruhe wird ein Rückzug bis zum Stillstand (quietness) propagiert, eine melancholische Stimmung, wie sie Fernando Pessoa in seinem berühmten Buch der Unruhe (2003) für Verlierernationen, Reiche einstiger Größe, bereits vorgeschrieben hat.
Kabarett und Komik als »die vierte Macht im Staat«?
Allerdings wissen wir auch aus der Geschichte, dass in Zeiten der Trauer der schwarze Humor als Therapie funktioniert. Ob in Form, »wer zuletzt lacht, lacht am besten« – der Witz ist nicht nur gekennzeichnet durch seine Beziehung zum Unbewussten (Sigmund Freud, Der Witz und seine Beziehung zum Unbewußten, 1905), sondern vor allem durch seine Beziehung zu gesellschaftlichen Spannungen, Widersprüchen und Brüchen. In dem historischen Augenblick, in dem die traditionellen kritischen und rationalen Instanzen und Institutionen der Gesellschaft nicht mehr im Stande sind, ihre Aufgaben adäquat zu erfüllen, treten andere an ihre Stelle und übernehmen deren Funktionen.
Die Presse galt als die vierte Macht im Staate, welche die Exekutive, Legislative und Judikative kritisch beobachtete und kommentierte. Wenn die Presse zu systemkonform wird, d. h. das manufacturing of consent (Edward S. Herman und Noam Chomsky, 1988) überhand nimmt, mit der die »Masse« auf die Ideologie der Eliten eingeschworen werden soll, dann treten Erosionen der öffentlichen Sphäre ein und auf, welche die Demokratie gefährden. Es entstehen nicht nur Politik-, sondern auch Presseverdrossenheit. Aber wie wir von der Geschichte lernen, gibt es immer auch Gegenkräfte. Heute sind das Gruppen von Bürgern und Künstlern, die neue Formen der Teilhabe am politischen Leben einfordern.
Neue Medien des Zorns
Das seismografische Buch zur Stunde könnte von Peter Sloterdijk sein, nämlich Zorn und Zeit (2006). Überall akkumuliert sich Unzufriedenheit mit dem Status quo der Welt. Davon sind alle Institutionen betroffen: die Politik, die Religionen, die Kunst, die Medien. Die Unzufriedenheit äußert sich auf öffentlichen Plätzen, neuen Zonen des Zorns. Scheinbar findet die Unzufriedenheit der Menge keinen anderen Ort zu Artikulation als die Agora, den öffentlichen Platz. Die Öffentlichkeit wie das Volk sie sich vorstellt, findet offensichtlich nicht im Parlament und der Presse, nicht mehr in der Politik und den Medien statt. Daher kehrt das Volk zur klassischen Öffentlichkeit, dem öffentlichen Platz, zurück. Der Bürger findet neue Medien des Zorns.
Zu den neuen Zorn-Medien zählt auch die klassische Karikatur. Sie erweckt offensichtlich den Zorn fanatischer Fundamentalisten. Die Ereignisse in Paris und Kopenhagen zeigen, dass die Zielscheibe des Zorns nicht die klassischen Zorn-Medien wie Kunst, Politik, Presse sind, sondern die fatalen und letalen Anschläge richten sich gezielt auf Karikaturisten. Der Anschlag auf Charlie Hebdo am 07.01.2015 in Paris galt nicht Le Monde oder Libération, nämlich Textmedien, sondern einem Bildmedium, einem äußerst kritischen Satiremagazin. Die Feinde der Wahrheit regen sich am meisten über diejenigen auf, die noch die Wahrheit zeigen. Offensichtlich wird in den Massenmedien zu viel geredet und zu wenig gesagt. Und das, was gesagt wird, ist nicht das, was man denkt. Daher ist es typisch für den Zustand unserer Zeit, dass gerade Komiker, Kabarettisten und Karikaturisten von Dänemark bis Paris zur Zielscheibe von Attacken und Bedrohungen werden.
Neue Verkünder der Wahrheit
Nachdem bereits 2010 der Karikaturist Kurt Westergaard im Visier stand, galt der Anschlag vom 14. Februar 2015 in Kopenhagen einer Veranstaltung mit dem Karikaturisten Lars Vilks. Die Macht der Bilder ist größer als das Wort. Das Schwert des Wortes verliert gegen die Bilder und deswegen richtet sich das reale Schwert gegen die Erzeuger dieser Bilder. Wir erleben, wie sich die Textmedien im Gefängnis ihres eigenen wordings einsperren. Die Menschen finden im Wald der Worte nicht mehr den Widerhall ihrer Gedanken. Deswegen suchen sie neue Orte der Wahrheit auf, suchen sie Zuflucht bei neuen Verkündern der Wahrheit, nämlich bei Komikern, Kabarettisten und Karikaturisten. Von John Stewarts Daily Show bis zur heute-show des ZDF können wir beobachten, dass Karikatur und andere Formen der künstlerischen Hyperbolik wie Kabarett und Satire zu neuen Medien der Wahrheit und Information werden, die bisherigen Informationsmedien wie dem Journalismus den Rang ablaufen.
Gelegentlich wird von Teilen des Volkes sogarder Vorwurf der »Lügenpresse« laut. So entsteht nicht nur eine Spannung zwischen Karikatur und religiösen Fundamentalisten, sondern auch ein Graben, wenn nicht sogar ein Schützengraben, zwischen Karikatur und Journalismus. Statt dass sich kritischer und investigativer Journalismus mit der hyperbolischen Kultur verbindet, kritisiert ein Großteil der Presse nicht die Wirklichkeit, welche die Komiker karikieren, sondern die Komiker. Doch schon immer traten die Karikaturisten besonders dann in Erscheinung, wenn radikale soziale Umwälzungen bevorstanden oder die Zustände in ihrer Tristesse und ihrer Finalität nicht länger haltbar waren. Siehe Honoré Daumier, Grandville, Gillray etc. Wenn die Welt besonders am Arsch ist, dann schlägt die Stunde der Karikaturisten, Kabarettisten und Komiker.[2]
Die Öffentlichkeit im Wandel
Offensichtlich schlägt nun wieder die Stunde der Karikaturisten, Kabarettisten und Komiker. Sie etablieren sich als neue Medien der Aufklärung und der Kritik. Sie sind die eigentlichen critical citizen.[3] Wir erleben, mit Habermas gesprochen (Strukturwandel der Öffentlichkeit, 1992), einen Wandel der Öffentlichkeit. Karikaturisten, Kabarettisten und Komiker übernehmen zum Teil die bisherigen Aufgaben und Funktionen der Presse. Sie leisten die Arbeit der Aufklärung mit der Presse, neben der Presse und gelegentlich gegen die Presse. Die Presse wird zum Teil nervös, weil sie merkt, dass sie in ihrer kritischen Analyse der Gegenwartskrisen und Missstände von den Kabarettisten an Wahrhaftigkeit und Erkenntnisschärfe übertroffen wird.
So hat zum Beispiel der Kabarettist Frank-Markus Barwasser (alias Erwin Pelzig) in der Ausgabe der Anstalt vom 13.11.2012 ein überzeugendes Schaubild gezeigt, das die personellen Verbindungen zwischen der Bank Goldman Sachs und hohen staatlichen Finanzposten weltweit präsentierte. Ein zweites Schaubild wurde von Pelzig in der Ausgabe am 25.06.2013 zum Thema Gustl Mollath vorgebracht, das erstmals die Verquickung und Verfilzung der am Fall Beteiligten adäquat aufzeigte. Ich persönlich habe von diesen Schaubildern mehr erfahren, als aus sog. »seriösen« Artikeln.
Im Namen des Humors wurde die Hegel’sche List der Vernunft verwirklicht, nämlich das Verbergen und Verdrängen, die Unterdrückung und die Fälschung realer Verhältnisse ans Licht zu bringen. Immer wieder erlebt man im öffentlichen Fernsehen, spät nachts in den Kabarettsendungen heute-show, Die Anstalt, Nuhr im Ersten, Extra 3, Quer usw. Momente, in denen der Zuseher über die dargebotenen Wahrheiten erschrickt, obwohl er lacht. Schon Henri Bergson hat in seinem Buch Le rire (1900) das Lachen als Erkenntnismedium gepriesen. Die Komik, die Karikatur, das Kabarett werden deswegen gerade von Fundamentalisten, die in ihrem jeweiligen Interesse die Realität besonders verzerren, extrem angefeindet.
Kunst und Markt
Zu den klassischen Medien der Wahrheit wie Philosophie, Kunst, Wissenschaft, Presse, kommen offensichtlich als neue Medien Kabarett, Komik, Karikatur. Ein Großteil der Kunst, der Teil, der in der Presse besprochen wird, die Marktkunst, zählt zu den Luxusgütern, zu Accessoires des Lifestyles. Darum nimmt es nicht wunder, dass die Herren der Haute Couture wie Louis Vuitton und François Pinault ihre eigenen Museen eröffnen, sei es in Paris oder Venedig, und sogar ihre eigenen Auktionshäuser besitzen (Christie’s gehört zu 100% zu Pinault’s Holding Artémis). Die Künstler werden zu Zulieferern der Luxusindustrie oder der Finanzwirtschaft.
Die Angriffe im Namen eines islamischen Fundamentalismus haben insofern bereits gesiegt, weil sie die öffentliche Sphäre vergiftet haben. Die Sicherheitsmaßnahmen nehmen zu, d. h. nicht nur auf Flughäfen, sondern auch beim Betreten von Restaurants, Kinos und Museen werden wir demnächst auf Waffenbesitz untersucht, wie schon in amerikanischen Schulen. Wir werden noch mehr zu Opfern, indem wir immer mehr in unserer Freiheit eingeschränkt werden.
Neue Formen der politischen Kritik
Im Amerika hat bisher in der Presse der Satz von Ben Bradlee, Herausgeber der Washington Post, gegolten: »We don’t print the truth. We print what people tell us. It’s up to the public to decide what’s true.« Als Folge der Terrorakte in Paris verkündete die New York Times »Tastes, standards and situations change, and in the end it is best for editors and societies at large to judge what is fit – or safe – to print.« [4] Im Namen der Sicherheit wird Zensur geübt. Aufklärung, Kritik, Wahrheit werden auf dem Altar der Sicherheit geopfert. Die alten Konflikte finsterer Zeiten brechen wieder auf. Die Karikatur, die Komik haben sich bereits entschieden, auf welcher Seite sie kämpfen. Die Presse ist noch relativ unentschieden.
In diesem Zusammenhang gilt ein Lob den öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten. Sie geben eine systemische Antwort auf die Transformationsprozesse der Öffentlichkeit. Im Sinne Luhmanns gestatten sie eine Ausdifferenzierung des Systems. Die Kabarett- und Komiksendungen mit politischer Kritik bilden eine Art Subsystem, in dem erlaubt wird, was im Hauptsystem verboten ist. Das Fernsehen ist der gelehrigste Schüler von Talleyrand. Sein System des wordings ist die perfekte Anverwandlung von Talleyrands Sprachtheorie, der 1807 in einer Abwandlung eines Ausspruchs von Voltaire sagte: »La parole a été donnée à l’homme pour déguiser sa pensée« [Die Sprache ist dem Menschen gegeben, um seine Gedanken zu verbergen.] Bei Voltaire heißt es: »Les hommes ne se servent de la pensée que pour autoriser leur injustices et n’emploient les paroles que pour déguiser leurs pensées.«
Subsystem des Nonkonformismus
Was die offiziellen Nachrichten verschweigen oder beschönigen bzw. durch das wording verdunkeln, wird durch die nachfolgenden Kabarett-Sendungen konterkartiert. Dort wird gesagt, was die Nachrichten verschweigen. Immerhin, das Fernsehen gestattet sich selbst im System des Konformismus ein eigenes Subsystem des Nonkonformismus.
Wegen dieses neuen Zustands der Öffentlichkeit und wegen dieser Verschiebungen, Verkehrungen und Transformationen von seriösen und nicht seriösen Formen der Kritik werden bei der GLOBALE nicht nur Philosophen, Theoretiker, Künstler, sondern auch Komiker, Kabarettisten und Karikaturisten auftreten.
[1] George Packer, in: The New Yorker, 01.12.2014.
[2] Raimund Rüttgen (Hg.), Die Karikatur zwischen Republik und Zensur: Bildsatire in Frankreich 1830 bis 1880, eine Sprache des Widerstands?, 1991, Oliver Watts, „Daumier and Replacing the King’s Body“, in: Anne Wagner, Richard K. Sherwin (Hg.), Law, Culture and Visual Culture, 2014, S. 421–444.
[3] Pippa Norris (ed.), Critical Citizens. Global Support for Democratic Government, 1999.
[4] New York Times, 18.01.2015.
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