Interview mit Hannes Seidl und Daniel Kötter
Der Komponist Hannes Seidl und der Regisseur und Videokünstler Daniel Kötter arbeiten seit mehreren Jahren als Künstlerduo an der Realisierung außergewöhnlicher Musiktheaterproduktionen.
VON TILL KNIOLA
Arbeiten wie Freizeitspektakel (2010) oder Treppe (2011) sind facettenreiche Projekte, die irgendwo zwischen Installation, Musiktheater und Performance stehen. Auch die aktuellste Zusammenarbeit „Fernorchester“ entzieht sich den Genrezuweisungen. Es entstand als Auftragsarbeit von HELLERAU – Europäisches Zentrum der Künste Dresden und wurde dort im Oktober beim TonLagen Festival uraufgeführt.
In den Studios des ZKM | Institut für Musik und Akustik arbeiteten die Künstler an der Synchronisation des mehrkanaligen Tonmaterials mit dem Bildmaterial für „Fernorchester“, eine intensive und zeitraubende Tätigkeit. Das Stück ist eine Auseinandersetzung mit den Bedingungen für die Entstehung von Musik und entwickelt seine eigene Gestalt aus seinem eigenen Entstehungsprozess heraus.
Hannes Seidl: "Der Prozess ist das Stück. Seit Januar 2012 haben wir fünf Musiker des Ensemble Mosaik intensiv begleitet und uns alle sechs Wochen zu neuen Sessions getroffen. Es begann mit Interviews mit den einzelnen Instrumentalisten, in denen sie vor der Kamera zu ihrer Art des Musikübens, zur Situation der Einstudierung von Musik überhaupt, befragt wurden. Darüber hinaus wurden die Musiker gebeten, ihren „Arbeitsplatz“ – also ein Notenpult, einen Stuhl und ihr Instrument – aufzubauen. Den Mitschnitt dieses Aufbaus habe ich dann transkribiert und diese Noten sechs Wochen später den Musikern präsentiert. Der Probenprozess dieser Noten wurde dann wieder gefilmt, was wieder transkribiert wurde und so zu neuen Noten führte undsoweiter. Das Feedback der Musiker aus diesen Probenarbeiten floss ebenso in die Weiterentwicklung der Musik ein."
Diese Bewegung und Ausfächerung wird auch für die Inszenierung des Stückes umgesetzt. Aus Stille und Interviewfragmenten auf einem einzelnen Monitor entwickelt sich nach und nach das Gesamtstück und wird immer dichter und komplexer. Über gut eine Stunde hinweg entfaltet sich „Fernorchester“ – von der quasi-dokumentarischen Installation hin zu einer Kammer-Installation mit Live-Instrumentalisten, die in einem Environment aus mehrkanaligen Audioeinspielungen mit zwanzig Bildschirmen agieren.
In den Zwischenschritten der Entfaltung des Stückes zoomt Daniel Kötters Kamera immer weiter aus. Zu beginn sieht man lediglich die Oberkörper der Musiker, dann den ganzen Raum und schließlich das Haus, in dem geprobt wird von außen inclusiven einem angrenzenden Bolzplatz, auf dem Jugendliche trainieren.
Daniel Kötter: "Wir haben die Entwicklung von Klang und Raum bewusst gegenläufig gestaltet. Während die Kamera einen immer größeren Ausschnitt der räumlichen Situation erfasst wird die Komposition immer präziser, das Stück rückt sozusagen immer näher an seine entgültige Form heran. In der Komposition tauchen aber natürlich auch die Geräusche des Fußballplatzes auf, Gewitterkrach oder der Klang einer Kapelle von Guggenmusikern, die um die Baracke des Probenraums marschiert ist."
Das Stück „Fernorchester“ spielt also mit Fragen von Einflüssen und Bedingungen für das Entstehen von Musik und findet in seinem inneren Aufbau eine Entsprechung der Problemstellung für zeitgenössisches Musizieren. In diesem Zusammenspiel sieht Hannes Seidl die besondere Qualität von „Fernorchester“.
Hannes Seidl: "Wir fanden es spannend, uns mit der Beziehung der Bewegungsverläufe von Ton und Bild zu befassen. Auch die Zusammenhänge aufzubrechen und sich der Eigendynamik des Stückes hinzugeben. Dies passiert meiner Meinung nach zu selten, gerade auch in konzeptionellen Werken des aktuellen Musiktheaters. Mich hat die Frage geleitet: Wie kann ich mir für das Komponieren Regeln setzen und es trotzdem schaffen, diese dann aus der Entwicklung des Stückes selbst heraus quasi zu erweitern."
Über den Künstler
Hannes Seidl (*1977) studierte Komposition bei Nicolaus A. Huber, Th. Neuhaus und Beat Furrer. Seine Musik wurde international auf renommierten Festivals mit Ensembles wie den Neuen Vocalsolisten, Ensemble Modern, Klangforum Wien oder dem HR Sinfonieorchester aufgeführt. Seine elektronischen Arbeiten entstanden u. a. am IRCAM, im ZKM und im IEM. 2002 gründete er zusammen mit Maximilian Marcoll das Elektronikduo dis.playce mit dem er regelmäßig auftritt. Seit 2008 arbeitet er regelmäßig mit dem Videokünstler Daniel Kötter zusammen. Er ist Mitglied des Künstlerkollektivs stock11. Hannes Seidl lebt in Frankfurt a. M.
Über den Künstler
Daniel Kötter (*1975) ist ein Regisseur, Filmemacher und Videokünstler mit besonderem Interesse an Mehrkanal-Video-Installationen und alternativen Konzert-Formaten. Es geht ihm um das Verständnis der Rolle von Bildern, Institutionen und der künstlerischen Praxis im Allgemeinen. Ein Schwerpunkt liegt für ihn auf der Zusammenarbeit mit Komponisten und Choreographen (u.a. Hannes Seidl, Constanze Fischbeck). Seine Arbeiten wurden auf zahlreichen internationalen Film- und Videokunstfestivals, in Galerien, Theatern und Konzerthäusern in Europa, USA, Kanada, Mexiko und Nigeria gezeigt. Daniel Kötter lebt und arbeitet in Berlin.
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