Der Linksbewegte
Der Künstler und Autor Nanni Balestrini schuf mit »Die große Revolte« das wichtigste literarische Werk zu den linken Gegenbewegungen im Italien der 1970er Jahre.
VON STEPHANIE FEZER
Das ist kein leichtes Programm für einen literarischen Text. Der Autor, Aktivist und Künstler Nanni Balestrini – mit »Wer das hir liest braucht sich vor nichts mehr zu fürchten« zeigt das ZKM noch bis Anfang Juli einen Querschnitt durch sein beeindruckendes künstlerisches Werk – stellt sich in seinem 1989 erschienenen Roman »Der Verleger« der eigenen Ansage, die in Variationen und aus verschiedenen Blickwinkeln immer wieder im Text auftaucht.
Giangiacomo Feltrinelli, der berühmte Gründer des Verlagshauses Feltrinelli, der 1969 als Aktivist in den Untergrund ging und 1972 unter bis heute nicht völlig geklärten Umständen ums Leben kam, ist dieser Tote – der Verleger. Der »rebellische Sohn des reichen und mächtigen Mailand«, wie er einmal im Roman bezeichnet wird, war auch ein Freund Balestrinis. An seiner tragischen Geschichte versucht der Autor exemplarisch die Kämpfe und Widersprüche der linken Bewegungen im Italien der späten 1960er und 70er Jahre zu erklären.
Wendepunkt für die italienische Linke
Unter die dokumentarischen Absätze, die aus Polizeiprotokollen oder Zeitungsberichten stammen könnten, mischen sich in diesem satzzeichenlosen Roman bald die Stimmen vierer Protagonist/innen. 15 Jahre später versuchen sie, ein Drehbuch zu den Ereignissen zu schreiben. Ihre Erklärungsansätze zu Feltrinellis Tod, der als Wendepunkt für die italienische Linke verstanden wird, als zündender Funke für eine neue Generation des bewaffneten Widerstands, scheitern.
– Nanni Balestrini in »Der Verleger«
»Dieser Tod, die Geschichte dieses Todes müsste eine Geschichte werden die andere Geschichten erzählt.«
Das Dutzend Jahr nach 1969 nennt man in Italien auch »Die bleierne Zeit«, und anders als die deutsche Regisseurin Margarete von Trotta es in ihrem gleichnamigen Film meinte, bezieht das Blei sich auch auf Waffen. Aus den vielen linksaktivistischen Bewegungen und Gruppen – den kommunistischen, gewaltbereiten »Brigate Rosse«, Frauengruppen wie der »Lotta Femminista«, der studentischen, aus den FIAT-Streiks entstandenen Gruppe der »Lotta Continua« oder der radikalen »Potere Operaio«, zu deren Gründer nicht nur »Empire«-Mitautor Toni Negri gehörte, sondern auch Nanni Balestrini – schälte sich im Italien der 70er Jahre schließlich die Bewegung der »Autonomia« heraus.
»Die bleierne Zeit«
Die Mitglieder der »Autonomia« lehnten etablierte politische Strukturen und Institutionen ab. Ihr Dagegensein drückten sie in vielfältigen gegenkulturellen Praktiken aus: Hausbesetzungen, Supermarktplünderungen, Schwarzfahren, Stadtindianertum oder der Gründung von freien und alternativen Medien. Die Gegenbewegungen gipfelten schließlich in gewaltsamen Zusammenstößen der sogenannten 77er Generation mit der Staatsgewalt, in der Ermordung des konservativen Politikers Aldo Moro 1978 durch die »Brigate Rosse« und in der Inhaftierung Tausender linker Aktivisten.
Auch dem in verschiedenen Gruppierungen, Zeitschriften und Druckkollektiven engagiertem Nanni Balestrini wurde 1979 »Zugehörigkeit zu einer subversiven Vereinigung« vorgeworfen. Er entkam der Verhaftung, indem er auf Skiern über die Alpen nach Frankreich flüchtete. Erst nach fünf Jahren des Exils in Paris, nachdem die Ermittlungen gegen ihn eingestellt waren, kam er wieder in sein Heimatland zurück.
Die linken Bewegungen Italiens waren zu diesem Zeitpunkt praktisch zerschlagen. »[…] eine ganze politische Generation ist verschwunden«, beklagte Balestrini 1993 in einem Interview. Gerade die meist aus proletarischen Verhältnissen stammenden Jugendlichen, die die 77er Generation bildeten, traf es laut Balestrini hart:
– Nanni Balestrini
»Tausende landeten im Knast, wurden umgebracht oder blieben an der Nadel hängen. […] Spirituell, moralisch, geistig sind die 77er vernichtet worden.«
In seinen drei Romanen über die linksbewegte Zeit zwischen 1969 und 1977, die er 1999 zu der Trilogie »Die große Revolte« zusammenfasst, setzt der 1935 in Mailand geborene Balestrini diesen Bewegungen ein bewegendes poetisches Denkmal. Um die 77er geht es im mittleren Roman »Die Unsichtbaren«, der die Biographie eines jungen Linksautonomen erzählt, zugleich aber auch, wie eigentlich immer bei Balestrini, die Geschichte eines kollektiv gemeinten Ichs.
Schule, Hausbesetzerszene, Hochsicherheitstrakt
Es sind dichte, beklemmende Szenen, die ineinander verschränkt sind, aus der Schule, aus der Hausbesetzerszene, aus dem Hochsicherheitstrakt eines Gefängnisses. Es geht nicht gut aus. Der Roman wurde 1988 verfilmt und beim Filmfestival von Venedig mit einem »New Cinema Award« ausgezeichnet.
Balestrini versteht sich, sagt er selber, nicht als »politischer Autor«. Das wäre zu direkt und zu einfach. Seit er als Vertreter der Neoavanguardia in den frühen 1960er Jahren die kulturelle Bühne betrat, ist der Mailänder durch und durch politisiert. Dass dieses Engagement und Interesse in seine Kunst floss, war unvermeidbar.
Anders als sein 1997 mit dem Nobelpreis ausgezeichneter Kollege Dario Fo, der zusammen mit seinem Theaterkollektiv die sozio-politischen Themen der 1970er Jahre, also gerade die Anliegen der Operaisten und der Autonomia, in satirischen, der Commedia dell’Arte verwandten Theaterstücken verarbeitete, nähert sich Balestrini seinen Sujets meist wie ein Dokumentarist der Oral History.
Rachel Kushner, die gefeierte US-amerikanische Autorin des 2013 erschienenen Romans »Die Flammenwerfer«, der zum Großteil 1969 in Turin und Umland spielt, auf dem Landsitz einer dem Agnelli-Clan nicht unähnlichen Familie, schrieb 2016 im New Republic über ihn:
»Für Balestrini, der nicht nur ein Kämpfer und Theoretiker war, sondern auch Poet und Künstler, ein Schriftsteller durch und durch, wurde der Bericht eine einzigartige künstlerische Leistung und eine neue literarische Form, der berichtende Roman […].«
Besonders in seinem 1994 erschienenen Roman über die Ultrafans des AC Mailand, »I Furiosi. Die Wütenden.« wird das deutlich. Balestrini wertet nicht, er scheint das Material, die Erzählungen der Hooligans, in denen er Elemente der linken Gegenbewegungen findet, lediglich aufzuzeichnen und zu arrangieren.
Viel »Leidenschaft« und »kollektive Freude«
Vor allem in seiner Theaterfassung erhielt »I Furiosi« begeisterte Kritiken. Gespielt wurde das »Spektakel« in München, Stuttgart, Wien und im EM-Jahr 2016 endlich auch in Rom. Und was immer man über Ultras sagen kann, auch in Rom: Der Corriere dello Sport machte viel »Leidenschaft« und »kollektive Freude« in dem Stück aus.
Gefragt danach, ob er noch viel an die linksbewegte, kämpferische Ära Italiens denkt, sagte Balestrini kürzlich in einem Interview: »Diese Zeit hat uns nur ein einziges Gebot hinterlassen: dass wir die Welt verändern müssen, und dass dies möglich ist, nötig und dringend – auch, wenn es uns nicht gleich so gelingt, wie wir es gerne hätten.«
Über die Autorin
Stephanie Fezer lebt als freie Autorin und Redakteurin in Berlin. Sie studierte deutsche und englische Literaturwissenschaften in Freiburg, Köln und Berlin. 2015 erschien ihre Übersetzung des Romans »Torpor« von Chris Kraus im b_books Verlag.
Nanni Balestrini: Wer das hier liest braucht sich vor nichts mehr zu fürchten
Sa, 01.04.2017 – So, 02.07.2017
ZKM_Lichthof 1+2
Kosten: Museumseintritt
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Aktueller Hinweis
Michael Farin produziert im Auftrag des Bayerischen Rundfunks eine Hörspiel-Fassung von Balestrinis Roman »Der Verleger«. Die Erstausstrahlung ist am 3. November 2017. Mehr Infos
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