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Ausstellung

Nanni Balestrini: Wer das hir liest braucht sich vor nichts mehr zu fürchten

Im Rahmen der Reihe »Poetische Expansionen«

Sa, 01.04. – So, 02.07.2017

© Nanni Balestrini
Ort
Lichthof 1+2
Kosten
Museumseintritt


Seit den 1950er-Jahren ist Nanni Balestrini (*1935, Mailand) eine der bedeutendsten Figuren der italienischen Kultur: als Dichter, Romanschriftsteller und Verlagslektor sowie als bildender Künstler. Das ZKM widmet Balestrini, der in Deutschland vor allem als Autor politscher Romane bekannt ist, erstmals eine Ausstellung, die einen umfassenden Einblick in sein visuell-poetisches Oeuvre gibt. Collagen und Cut-Ups aus Bildern, Texten und Filmsequenzen zeigen ein Lebenswerk, das sich gegen die »Trägheit der Sprache« wandte und damit gegen die Erstarrung des Denkens und Handelns. Sie zeigen jene möglichen Welten, die wir nicht wagen sowie jene, die wir übersehen haben. 

Nanni Balestrini ist einer der wichtigsten Vertreter der italienischen Nachkriegsavantgarde. In der Entstehung und Durchsetzung der literarischen Neoavantgarde nahm er als Künstler, Verlagslektor, Zeitschriftengründer und Organisator von Festivals eine Schlüsselrolle ein. Seine ersten Gedichte erschienen 1956 in »Documenti d’arte d’oggi«, der Zeitschrift des »Movimento Arte Concreta« (MAC) und der »Groupe Espace«. Als Lektor wurde Balestrini zunächst für die von Luciano Anceschi 1956 gegründete Literaturzeitschrift »Il verri« tätig, zu deren Autoren auch Umberto Eco und Alain Robbe-Grillet zählten. 1961 wechselte er ins Verlagshaus von Giangiacomo Feltrinelli. Im gleichen Jahr präsentierte er seine visuellen Collagen erstmals der Öffentlichkeit und trat als einer der Mitverfasser der literarischen Anthologie »I Novissimi« hervor. 1963 rief er mit einer Reihe von Autoren die »Gruppo 63« ins Leben. Inspiriert von Autoren wie Ezra Pound und T.S. Elliot grenzte sich dieser Kreis von Schriftstellern und Kritikern durch formale und inhaltliche Sprachexperimente gegen den italienischen Neorealismus ab. Einem größeren Publikum wurde Balestrini durch seinen Roman »Vogliamo tutto« [Wir wollen alles] (1971) bekannt, mit dem er den Kämpfen der italienischen Arbeiter ein literarisches Denkmal setzte.

1961 verlegte Balestrini seinen Lebensmittelpunkt von Mailand nach Rom. In Folge seines linken politischen Engagements ging er 1979 ins Exil nach Frankreich. Seit 1985 lebt und arbeitet er in Rom, Mailand und Paris. 

Nanni Balestrinis vielfältiges dichterisches und künstlerisches Werk basiert auf der Poetik der Collage, einem Verfahren, das sich der Brüche, Fragmente und Kombinatorik bedient. Dieses verbindende Prinzip zeigt sich in Balestrinis visuellen Collagen ebenso wie auch in seinen wegweisenden Experimenten mit computergenerierter Poesie. Bereits 1961 ließ Balestrini einen IBM-Computer durch kombinatorische Zufallsverfahren das Gedicht »Tape Mark« I generieren. Wenige Jahre später, 1966, formuliert Balestrini mit Tristano ein Projekt, das Literatur und Kunst von der einschränkenden Herrschaft der Typographie Gutenbergs befreien sollte: Jeder Buchkäufer erhält eine der 109027350432000 möglichen Versionen des kombinatorischen Liebesromans. Ein ähnliches Verfahren wandte Balestrini für den »längsten Film der Welt« »Tristanoil« an. Dies ist ein Film, der die destruktive Ausbeutung der natürlichen Ressourcen thematisiert und erstmals 2012 auf der documenta 13 gezeigt wurde.

Mit einer Auswahl aus dem Werk von Nanni Balestrini aus den Jahren 1960–2017 präsentiert das ZKM einen Künstler aller Gattungen, der durch die formalistischen Verfahren der Collage und Montage die dominierenden Erzählungen der Literatur, der Kunst, des Alltags, der Liebe, des Journalismus und der Politik auflöst. Balestrini zeigt abweichende Welten auf und öffnet den Blick für den Status quo als auch das Mögliche. 

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