JHQ Rheindahlen. Blaffert & Wamhof
Das JHQ – ein Ort der Ungleichzeitigkeit
Das JHQ Rheindahlen ist eine militärische Anlage im Westen der nordrhein-westfälischen Stadt Mönchengladbach, die jahrzehntelang als eine der zentralen Niederlassung britischer Streitkräfte in Deutschland sowie der NATO in Europa diente.
VON ZKM REDAKTION
Errichtet wurde das Joint Headquarter (Gemeinsames Hauptquartier) zwischen 1952 und 1954 auf einem rund 460 Hektar großen Waldgebiet im Stadtbezirk Rheindahlen. In seiner Anlage und seinem Erscheinungsbild, durch den Standort und selbstverständlich durch seinen Zweck, ist der Militärkomplex in Rheindahlen ein Raum der Ungleichzeitigkeiten und Ambivalenzen. Die Fotografien von Nicole Blaffert und Franz Wamhof zeigen diese Besonderheiten durch eine beobachtenden Haltung. Sie fixieren den Ort in seiner Zeitlichkeit, wobei sie als Dokumente des Zeigens einen Zustand festhalten, der dem Blick des Betrachters eine Bühne bietet und die Gelegenheit, diesen aus der Zeit genommenen Ort zu beschreiten: Als „Abbilder“ liefern die Fotografien, als Serie betrachtet, eine Beschreibung des Ortes, zeigen signifikante Stellen sowie charakteristische Merkmale des Erscheinungsbildes von Architektur und Vegetation. Als Schilderungen erlauben sie dem Betrachter einen Rundgang und in diesem Sinne Zugang zum dem Areal.
Es sind menschenleere Orte, die zu sehen sind, Innenräume, Außenansichten, weite Blicke auf die Anlage, nur Vegetation oder auch Ausschnitte aus den gewählten Blicken der Fotografen auf das JHQ. Die Abwesenheit von Menschen oder von Aktivität, die Leere der Bilder belegen diese auch mit einer emotionalen Qualität, vermitteln die Atmosphäre eines Ortes, der in einer vergangenen Zeit entstand und der sich im Verschwinden befindet – im Verschwinden als zweckmäßige Einrichtung, als ein Ort der unzugänglichen militärischen Aktivität und auch des privaten Lebens, der nur noch teilweise genutzt wird, bis er in naher Zukunft eben nur noch eine Ansammlung funktionsloser Gebäude und Infrastrukturen sein wird – ein Ort, der seine Zeit überlebt hat.
Zur Geschichte
In extrem kurzer Zeit entstand bei Rheindahlen ein Militärkomplex, der neben militärisch-strategischen Aufgaben auch den Zweck erfüllen musste, einer Vielzahl von Menschen Unterkünfte und Versorgungsstrukturen für alle Bereiche des täglichen Lebens zur Verfügung zu stellen. Auf einer Fläche von rund 3 km Länge und 2 km Breite entstand so nicht nur eine autarke militärische Struktur, sondern auch eine britisch geprägte – und später multinationale – Kleinstadt mit Wohnhäusern, Kindergärten, Schulen, Kirchen, Geschäften und Freizeitanlagen für bis zu 10.000 Personen. Über die Jahre haben sich Zusammensetzung, Funktion und Größe der Stäbe und Truppenverbände, die im Rheindahlen Military Complex stationiert waren, immer wieder in Abhängigkeit von der politischen Lage geändert. Das Ende des Kalten Krieges bzw. die politischen Veränderungen in Europa Ende der 1980er- bzw. in den 1990er-Jahre spiegelten sich auch in der Truppenbelegung des JHQ wieder: 1993 löste die britische Armee das Hauptquartier der RAF Germany auf und stellte es außer Dienst. Im Zuge dieser Umstrukturierungen bzw. des generellen Truppenabbaus der vormals alliierten Streitkräfte in Deutschland, der für die britischen Armee bis 2020 abgeschlossen sein soll, ist das JHQ Rheindahlen von einem Gelände, das für über 10.000 Menschen geplant worden war und wo in späteren Jahren im Schnitt 6.000 Personen untergebracht waren, ein zunehmend verlassener Ort geworden. Im Jahr 2014 soll der Standort nun endgültig aufgelöst werden.
Das heutige architektonische sowie landschaftliche Erscheinungsbild des JHQ ist nach wie vor durch die Planungen und die Bebauung Anfang der 1950er-Jahre geprägt, denn seit ihrer Entstehung zwischen 1952 und 1954 wurden in der Militäranlage nur geringe bauliche oder flächenplanerische Veränderungen vorgenommen, die den Charakter der Anlage verändern würden. In der Aufbauphase standen die militärischen Zweckbauten und -infrastrukturen im Zentrum der Planung, jedoch mussten ebenfalls Unterkünfte und Versorgungseinrichtungen für die militärischen und zivilen Angestellten errichtet werden. In Bezug auf den Wohnungsbau, trafen hier – stets orientiert an den geltenden Bemessungsvorschriften der britischen Streitkräfte – englische und deutsche Standards und Vorstellungen in der Gestaltung persönlichen Wohnraums aufeinander. Doch nicht nur in diesem Belang sollte das JHQ eine autarke Einheit bilden, sondern auch die Strom-, Gas- und Wasserversorgung sollte ebenfalls unabhängig von lokalen Netzen erfolgen.
In der ersten Bauphase von 1952 bis 1954 entstanden 1.126 Wohnungen und Häuser für Verheiratete, 136 Flachbauten für Ledige sowie 19 Offiziers- und Unteroffiziersmessen. Heute umfasst das Areal 1.380 Wohneinheiten, die sich auf 14 Bautypen verteilen, die bis zu den 1960er-Jahren entstanden, sowie 48 Wohnungen in 8 Mehrfamilienhäusern, die 1965 erbaut wurden. Betrachtet man das Gelände heute, so scheinen sich die insgesamt rund 2.000 Gebäude, die von 145 Straßen und Wegen auf über 36 km Länge verbunden sind, in der Weite des mit vielen Grün- und Vegetationsflächen versehenen Areals zu verlieren – eine Weitläufigkeit, die nicht nur durch die Größe, sondern auch die Bauweise der Gebäude und der einzelnen funktionalen Zonen der Anlage bedingt ist.
Das allgemeine architektonische Erscheinungsbild wird durch die zweckmäßige und nüchterne Bauweise der 1950er-Jahre dominiert, dem aus heutiger Sicht in Zusammenspiel mit der üppigen und langsam das Gelände übernehmenden Vegetation sowie der nur noch partiellen Nutzung als Arbeits- und Wohnstätte die Patina der Nostalgie anhaftet. Die Umgebung des JHQ ist eine ländliche. Wenige Häuser oder größere Straßen liegen in seiner Nachbarschaft, und es scheint von einem Vegetationsgürtel aus Bäumen, Hecken und Feldern eingekreist, der nur mancherorts als Wald undurchdringlich scheint, aber dem Gelände stets einen Abstand zum Umland verleiht. Es wirkt dadurch wie ein in sich geschlossenes, von der Umwelt abgeschottetes Areal, obwohl die militärische Anlage stets auch zur Umgebung und deren Menschen hin in unterschiedlichem Maße geöffnet war: Selbstverständlich gab und gibt es Zugangskontrollen, aber stets waren die zivilen Beschäftigten oder die in der Umgebung wohnenden Truppenangehörigen ein Verbindungspunkt zum Umland. Auch fährt eine öffentliche Buslinie seit der Errichtung der Anlage das Gelände an und zahlreiche Wege und Straßen erlauben Fußgängern oder Radfahrern den nun mehr ungehinderten Zutritt.
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Auszug aus der Publikation "JHQ. Blaffert & Wamhof, hrsg. von Städtisches Museum Schloss Rheydt, Nicole Blaffert, Franz Wamhof und Martin Barnes von Fotohof (26. November 2012)".
Blaffert & Wamhof: JHQ Rheindahlen
Die Ausstellung "JHQ Rheindahlen. Blaffert & Wamhof" war vom 08. März bis 09. Juni in der ZKM_Medialounge zu sehen.