Mark Amerika: Crapshoot
31.01.2015–03.01.2016
Von der Schrift zum Bild: »a non-place place where the bodies are published« steht in Kleinbuchstaben auf dem Screen des Tablets. Darüber verteilen sich weitere Textteile in Versalien, Satzfragmente, Wörter. Wischt man über die Seite, erscheint neuer Inhalt in veränderter Anordnung. Diese eigentümliche Organisation von Schrift durchkreuzt die gewohnte Vorstellung linearen Lesens, linearen Denkens. Sie ereignet sich in Form zufallsbasierter Kombinatorik in »Crapshoot« (2013–2014), so der Titel des Beitrags von Mark Amerika für AOYS.
Inspirationsquelle für das Werk ist ein literarischer Meilenstein des 19. Jahrhunderts: Stéphane Mallarmés »Un Coup de Dés Jamais N'Abolira Le Hasard« [Ein Würfelwurf wird den Zufall niemals beseitigen] aus dem Jahr 1897. Das Gedicht, ein typografisches wie literarisches Experiment weit vor den Avantgarden des 20. Jahrhunderts, entfaltet auf 20 Seiten ein für jene Zeit einzigartiges Layout in Wellenform von oben nach unten in wechselnden Zeichensätzen, Schriftschnitten und Punktgrößen.
Mark Amerika aktualisiert das Meisterwerk in Form einer neuen Textgestaltung für die Devices unserer Gegenwart. Textquellen sind neben dem über 100 Jahre alten Buch zugleich Elemente seiner Rezeption. Kritiker, Philosophen sowie autobiografisches Material, etwa die Reflexion der Rezeptionserfahrungen Amerikas selbst, fließen in den Datenpool, aus dem der Generator des »Crapshoots« gespeist wird. Außerdem kontextualisiert der 1960 geborene Künstler, der an der University of Colorado, Boulder, Kunst und Kunstgeschichte unterrichtet, Arbeiten zu Mallarmé von zeitgenössischen Denkern wie Quentin Meillassoux oder Jacques Rancière.
Der Titel »Crapshoot« ist vielfach kodiert. Den Kraftausdruck »Crap« bezieht Amerika auf den Müll, der im Web umhergeistert. Zusätzlich assoziiert er das Würfelspiel »Craps« (auch Seven-Eleven), das eine vereinfachte Variante des alt-englischen Spiels »Hazard« ist, in dessen Bezeichnung wiederum Mallarmés Gedichttitel mitschwingt.
Wesentlich ist die Rezeptionserfahrung des Users: Jedes Lesen erzeugt eine einmalige Konstellation der Textblöcke und -fragmente, was die Leseweise erheblich irritiert. Im performativen Lesakt der poetisierten Zufälligkeit wird er zum Produzenten und Spiegel der medialen Gegenwart.
Autor: Matthias Kampmann