Digitaler Salon
Florian Rötzer im Gespräch mit Nicola Gess
Fr, 09.04.2021 18:00 Uhr CEST
Seit einigen Jahren geht die Rede vom »postfaktischen Zeitalter« um. Damit ist gemeint, dass der politische Diskurs stärker als zuvor von Bauchgefühlen, Ressentiments und einer Irrelevanz der Unterscheidung von Wahrheit und Lüge geleitet zu sein scheint.
Auch geht die Sorge um, dass Menschen von Rechtspopulisten, Verschwörungstheoretikern und gegnerischen Staaten durch Beeinflussungskampagnen, Fake News und Desinformation über das Internet manipuliert werden. Im Zeitalter des Barock war die Faszination für die Täuschung und die Welt als Bühne unter anderem eine Folge des Buchdrucks. Ist die heutige Entwirklichung eine der Online-Medien, des Virtuellen?
Gast im digitalen Salon des ZKM ist Frau Prof. Dr. Nicola Gess, die Literaturwissenschaft an der Universität Basel lehrt und gerade ein Buch über »Halbwahrheiten. Zur Manipulation von Wirklichkeit«, erschienen im Verlag Matthes & Seitz, veröffentlicht hat. In ihm erläutert sie, dass Fake News, Verschwörungstheorien und populistische Propaganda häufig auf Halbwahrheiten zurückgreifen. Sie schlagen die Brücke von einem faktenbasierten Diskus zum Raum der Spekulation und Fiktion, und es geht ihnen letztlich nicht um Wahrheit oder Lüge, sondern um Kohärenz, Glaubwürdigkeit und Aufmerksamkeit. Ihre These ist, dass Faktenchecks an Vertretern von Halbwahrheiten deswegen abprallen, zuständig für ihre Entlarvung seien Fiktionstheorie und Narratologie, also Instrumente der Literaturwissenschaften.
Das Live-Gespräch findet in deutscher Sprache statt.
Der Digitale Salon
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Im 18. Jahrhundert trafen sich die Intellektuellen in den von Frauen veranstalteten Salons, um ihre Ideen vorzutragen, ihren Esprit aufscheinen zu lassen, sich mit anderen Intellektuellen ungeachtet der Schranken von Klasse und Geschlecht, auseinanderzusetzen und eine gelehrte Geselligkeit zu pflegen. Salons waren teilöffentliche Veranstaltungen in privaten Räumen, zu denen die auf der Bühne agierenden »Prominenten« – aus Literatur, Philosophie, Naturwissenschaften und Politik – mit den Zuschauer:innen eingeladen wurden. Ihre Fortsetzung fanden die Salons der Aufklärung im Format der TV-Talkshows, mit ihren von den medialen Aufmerksamkeitszwängen gehetzten Disputen.
Im Digitalen Salon wollen wir hingegen wieder eine ruhige Gesprächskultur pflegen, die sich Zeit lässt, kein bestimmtes Ziel verfolgt und mit dem jeweiligen Gast diskursiv flaniert. Zu den Themen zählen beispielsweise die Rolle und Selbstbeschreibung als Intellektuelle, die Gedanken, die an der Zeit sind, die Veränderung von Aufmerksamkeit und Öffentlichkeit durch die digitale Lebenswelt, politische Zukunftsvorstellungen und »Was zu tun ist«.