Giga-Hertz-Preis 2018
Sa, 24.11. – So, 25.11.2018
Seit 2007 vergeben ZKM und SWR EXPERIMENTALSTUDIO den Giga-Hertz-Preis für elektronische Musik. Auch 2018 werden die Preisträger:innen im Rahmen eines zweitägigen Festivals mit Konzerten, Performances und Preisverleihung gefeiert.
Der Giga-Hertz-Hauptpreis für elektronische Musik geht im Jahr 2018 an das 1986 gegründete Computernetzwerk-Ensemble »The Hub«. Die Mitglieder zählen zu den Pionieren in den Bereichen Netzwerkkunst, Live-Coding und Laptopensembles. Stets dem Prinzip verschrieben, kollaborative Werke zu schaffen, entwickelten sie eigene Hard- und Software für musikalische Performances und schufen so ihren charakteristischen Klang. Ein zentraler Mikrocomputer – »The Hub« – verband die individuellen Systeme und ermöglichte den Austausch der Beteiligten über den aktuellen Performancestand, indem die Aktivitäten gespeichert und zur Weiterbearbeitung zur Verfügung gestellt wurden.
Die Produktionspreise gehen 2018 an den Komponisten Óscar Escudero und das Künstler:innenduo GRAYCODE, jiiiiin (Taebok Cho, Jinhee Jung).
Einen Sonderpreis im Bereich künstliche Intelligenz wird Martino Sarolli verliehen und David Bird erhält eine lobende Erwähnung. Die ausgezeichneten Werke werden im Rahmen der Preisverleihung am 24. November aufgeführt. Im Anschluss wird zudem ein Empfang stattfinden, bei dem David Bird live-elektronisch performen wird. Am Sonntag, 25. November, laden wir Sie herzlich zum Vortrag der Hauptpreisträger »The Hub« mit anschließendem Gespräch und zum Konzert mit neu produzierten Werken der Produktionspreisträger:innen voriger Jahre in den Kubus ein.
Der Giga-Hertz-Preis ist dem weltberühmten Physiker Heinrich Hertz (1857–1894) gewidmet; er lehrte Ende des 19. Jahrhunderts an der Karlsruher Technischen Universität (heute Karlsruher Institut für Technologie) und entdeckte dort die elektromagnetischen Wellen. Zielsetzung des Preises ist es, die elektronische Musik zu fördern und Impulse durch neue klangliche und kompositorische Möglichkeiten zu geben.
Retrospektive Gedanken zum Giga-Hertz-Preis
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von Peter Weibel
G. W. Leibniz verdanken wir die Einsicht, dass »Musik […] eine verborgene arithmetische Übung des seines Zählens unbewussten Geistes« (1712) ist. Mit anderen Worten: music is a mirror of the mind. Leibniz spielt damit auf die bekannte pythagoreische Musiktheorie an, die besagt, dass Zahlenproportionen und die entsprechenden Schwingungen die physikalischen Grundlagen der Musik bilden. Wenn Leibniz dabei zugleich auf den menschlichen Geist, der die arithmetische Übung in Musik verwandelt, hinweist, so klingt damit gewissermaßen auch eine Vorwegnahme von Hermann von Helmholtz’ Forschungen (Die Lehre von den Tonempfindungen als physiologische Grundlage für die Theorie der Musik, 1863) an.
Indem in der Gegenwart zudem die Funktion der Zeitformen als Ausdrucksform der Musik in Beziehung zu den elektrischen Aktivitäten des Gehirns gesetzt wurde, konnten die physiologischen Grundlagen um die Kenntnisse von Neurophysiologie und Neuro- bzw. Kognitionswissenschaften entscheidend erweitert werden. Der transdisziplinäre Verbund von Musik-, Computer- und Hirnforschung bildet ein zentrales Fundament für aktuelle Explorationen in das Universum des Klangs, wobei insbesondere seit dem Auftauchen des Computers die universale Trias von „Music, Mathematics, and Mind“ zum Gegenstand neuer Theorien und Praktiken avancierte. Von dem vortrefflichen Entwicklungsspektrum neuer computerbasierter Kompositionsmethoden und Instrumente, die den Klang befreiten und neue Soundhorizonte eröffneten, zeugen die beeindruckenden künstlerischen und wissenschaftliche Leistungen von Marvin Minsky bis Manfred Clynes ebenso wie die von Maryanne Amacher bis Ryoji Ikeda.
In ähnlicher Weise bildet die nun bereits seit mehr als einer Dekade sich kontinuierlich fortschreibende Reihe der Giga-Hertz-Preisträger generationsübergreifend, genreüberschreitend und beinahe enzyklopädisch den Kosmos des elektronischen Klangs ab. Die Werke der Hauptpreisträgerinnen und Hauptpreisträger seit 2007 – Jonathan Harvey, Trevor Wishart, Jean-Claude Risset, Gottfried Michael Koenig, Pierre Boulez, Emmanuel Nunes und Pauline Oliveros, John Chowning und Francis Dhomont, Pierre Henry, Brian Eno, Curtis Roads, Laurie Anderson und The Hub – dokumentieren die Entwicklung von einer auf Ringmodulatoren, Synthesizern und Frequency Shiftern basierten Musik hin zu den auf netz-, neuronal- und molekularbasierten Musikperformances. Durch den Einsatz neuer Software, Hardware und ausgeklügelter Schnittstellen, wodurch der sogenannte »Sentic Cycle« (von Manfred Clynes) eine Fortsetzung erfährt, kann Musik mittels haptischer Displays und einer innerhalb von Magnetfeldern kontrollierten Steuerung erzeugt werden.
Dass die akusmatische Musik, die im Zentrum des Giga-Hertz-Preises zu Ehren von Heinrich Hertz steht, der zwischen 1886 und 1888 in Karlsruhe die Existenz der elektromagnetischen Wellen bewies, längst weltweite Ausstrahlung genießt, verdeutlicht die lange Liste von Produktions-, Förder- und Spezialpreisen auf eindrückliche Weise. Die Lobpreisung, dass sich das ZKM zu einer Metropole der akusmatischen Musik entwickelt hat, manifestiert sich in der Kontinuität des Giga-Hertz-Preises und der wie stets exzellenten diesjährigen Preisträgerinnen und Preisträger.
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von Detlef Heusinger
1913 postuliert Max Weber in einem Traktat über die Grundbegriffe der Soziologie die »Entzauberung der Welt«, bedingt durch die kapitalistische Struktur der Gesellschaft und die damit einhergehende Technisierung wie Rationalisierung dessen, was vormals als Wunder galt. Wenige Jahre später erfand Lew Termen das nach ihm benannte Theremin, das (lange) einzige Musikinstrument, welches berührungslos gespielt wird und dabei elektronisch generierte Töne erzeugt. Dass ausgerechnet dieses Zauberinstrument die bis heute währende »Geburtsstunde« der elektronischen Musik einläutet, der gemeinhin die pure Rationalisierung unterstellt wird, ist ein schöner Antagonismus der Musikgeschichte. Als John Cage, gerade einmal 18 Jahre alt, 1939 Berlin besuchte, wohnte er einem Phonographen-Konzert von Paul Hindemith und Ernst Toch bei, welches zuvor auf der Bühne aufgenommene Klänge wie auch eine gesprochene Musik aus phonetischen Silben wiedergab. Davon inspiriert, schrieb er nicht nur „Imaginary Landscape No 1“ für gedämpftes Klavier, Zymbal und Plattenspieler mit variabler Geschwindigkeit, sondern auch ein Manifest mit folgender Hypothese: „Ich glaube, dass der Einsatz von Lärm und Geräuschen beim Musikmachen weitergehen und zunehmen wird bis wir zu einer Musik kommen, die von elektrischen Instrumenten erzeugt wird, welche jeden nur denkbaren und hörbaren Klang zur musikalischen Verwendung bereithalten.“ Den Lärm in der Musik wie in der Welt überhaupt haben wir längst erreicht, den aber der Musik innewohnenden Zauber wieder zu finden oder zu bewahren wie das bislang Unerhörte zu (er-)finden, dafür möge der Giga-Hertz-Preis noch lange fördernd wirken.
Vorwort
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von Ludger Brümmer
Die elfte Verleihung des Giga-Hertz-Preises zeichnet sich durch zwei Besonderheiten aus. Zum einen wird mit The Hub ein Ensemble geehrt, welches sich durch eine eher außermusikalische Eigenschaft hervorhebt: Es arbeitet mit Vernetzungen und war die erste Band, welche bereits vor 31 Jahren, also 1987 eine telematische Performance durchführte. Des Weiteren haben wir zum ersten Mal »Artificial Intelligence« als ein optionales Thema für die Einreichungen gestellt angeboten. Netzwerk und AI – letztere ebenfalls durch Netze, präziser durch neuronale Netze repräsentiert – bilden auch die zukünftigen Forschungsschwerpunkte des Hertz-Labors, das aus einem Zusammenschluss des ZKM | Institut für Musik und Akustik mit dem ZKM | Institut für Bildmedien entstanden ist. Diese Thematik steht exemplarisch für viele gegenwärtige Themen in der Kunst: Sie sind nicht an ein spezifisches Genre gebunden. Während Harmonielehre und Farbenlehre deutlich auf klingende bzw. leuchtende Wahrnehmungen abzielen, kann sich künstliche Intelligenz sowohl musikalisch als auch visuell artikulieren. Ebenso lässt sich Vernetzung als Kommunikationsstrategie auf viele Bereiche der Kunst, Technologie oder Gesellschaft applizieren. Diese Meta-Aspekte technologisch agierender Kunst zu erforschen, sie weiterzuentwickeln und anzuwenden, wird nicht nur die Aufgabe des Hertz-Labors sein, sondern auch in die Themenfelder des Giga-Hertz-Preises einfließen.
Sonderpreis Künstliche Intelligenz 2018 | Martino Sarolli (Italien)
für »Lapidario_E01« (2018), für Live-Elektronik und Fixed Media (for live electronics and fixed media), Dauer: 8‘
Der Sonderpreis für eine KI-bezogene Arbeit geht an Martino Sarolli für seine Arbeit »Lapidario_E01«. Dies ist die erste Hälfte eines Distichons über das mineralische Leben, konzipiert als mehrkanaliges Stück für die Live-Elektronik. Sarolli verwendet modernste machine-learning Technologien, um ein komplexes Klangmaterial unter Live-Kontrolle neu zu synthetisieren. »Lapidario_E01«, zum Thema Siliziumkristalle - die Grundlage der Computertechnologie - besteht aus einem Menschen, jedoch verbindet es das Beste aus beiden Welten. Es ist elegant, organisch und kraftvoll.
– Autor: Palle Dahlstedt
Programm
Samstag, 24. November 2018
19:00 Uhr Medientheater |
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anschließend Kubus |
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Sonntag, 25. November 2018
16:00 Uhr Kubus | Vortrag der Giga-Hertz-Hauptpreisträger 2018 »The Hub« mit anschließendem Gespräch | |
18:00 Uhr Kubus | mit Präsentation der durch die Produktionspreise entstanden Werke von Elvira Garifzyanova und Daniel Zea (2016) sowie Maurilio Cacciatore (2017) |
Flyer
Flyer
- ghp_poka_2018_dinlang.pdf (1.69 MB)
Programmheft
Programmheft
- ghp_ph_2018.pdf (10.14 MB)
Projektteam
Ludger Brümmer (Künstlerische Leitung)
Dorte Becker, Sophie Caecilia Hesse (Projektleitung, Programmheft)
Benjamin Miller, Anton Kossjanenko (Tonmeister)
David Luchow (Tontechnik)
Anton Kossjanenko (Tonaufnahmen)
Hans Gass, Manuel Weber, Hartmut Bruckner (Licht-, Veranstaltungstechnik)
Christian Berkes, Marco Kempf Manuel Urrutia (Helfer Licht-, Veranstaltungstechnik)
Jury
Ludger Brümmer (Komponist, Leiter des ZKM | Hertz-Labor)
Christiane Riedel (Geschäftsführende Vorständin des ZKM | Karlsruhe)
Alexandra Cardenas (Komponistin, Improvisateurin, Programmiererin)
Detlef Heusinger (künstlerischer Leiter des SWR Experimentalstudio)
Palle Dahlstedt (Komponist, Professor für »Art & Technology« an der Aalborg Universität)
Björn Gottstein (Musikwissenschaftler, künstlerischer Leiter der Donaueschinger Musiktage)