Giga-Hertz-Preis 2018: Preisverleihung
Giga-Hertz-Preis 2018 in roter Schrift auf grünem Hintergrund
Sa, 24.11.2018 19:00 Uhr CET

Der mit 10.000 Euro dotierte Giga-Hertz-Hauptpreis 2018 geht in diesem Jahr an John Bischoff, Chris Brown, Tim Perkis, Mark Trayle, Phil Stone und Scot Gresham-Lancaster, besser bekannt als »The Hub«.

Das 1986 gegründete US-amerikanische Netzwerkmusik-Ensemble ging aus der »League of Automatic Music Composers« hervor, die Ende der 1970er-Jahre das Potenzial des Computers als musikalisches Live-Instrument erforschten. »The Hub« zählen zu den Pionieren auf dem Feld der Netzwerkkunst, des Live-Codings und der Laptop-Ensembles. 

Giga-Hertz-Produktionspreis

Aus rund 150 internationalen Einreichungen nominierte die Jury außerdem zwei herausragende Werke: Das aus Jinhee Jung und Taebok Cho bestehende KünstlerInnenduo »Graycode, jiiiin« erhält für das audiovisuelle Werk »+3x10^8m/s, beyond the light velocity« für Fixed Media den mit 4.000 € dotierten Giga-Hertz-Produktionspreis. In ihrem Stück machen »Graycode, jiiiin« die Expansion des Universums klanglich erfahrbar. Der zweite Produktionspreis, ebenfalls verbunden mit einem Preisgeld von 4.000 €, geht an Óscar Escudero für seine Komposition »POV« (Point of View) für Saxofon und Fixed Media. Der Saxofonist trägt eine VR-Brille: Er ist Quelle und Empfänger seiner Handlungen, durch die VR-Brille erkundet er seine Handlungen aus unterschiedlichen »Points of View«.

Sonderpreis »Künstliche Intelligenz«

Erstmals wird auch ein Künstler mit dem Sonderpreis »Künstliche Intelligenz« (mit 2.000 € dotiert) ausgezeichnet: Martino Sarolli für sein Stück »Lapidario_01«. Sarolli sonifiziert durch den Einsatz neuronaler Netze Siliziumkristalle. Außerdem erhält David Bird für seine Komposition Decoder für Percussion und Live-Elektronik eine lobende Erwähnung (mit 1.000 € dotiert). Seine Komposition zeichne sich »durch ihre Simplizität in Bezug auf die technischen Mittel bzw. die Vermittlung der Mensch-Maschine-Beziehung« aus.

Preisverleihung und Musik

Neben dem feierlichen Preisverleihung erwartet Sie in diesem Jahr im Rahmen der Veranstaltung zusätzlich ein musikalisches Programm. Die ProduktionspreisträgerInnen GRAYCODE, jiiiin und Sonderpreisträger Martino Sarolli werden ihre prämierten Werke präsentieren. Ein zusätzliches Highlight bildet die Eröffnung der Preisverleihung durch das SWR Experimentalstudio, welches das im Rahmen des Giga-Hertz-Produktionspreises 2016 entstandene Werk von Huihui Cheng »Echo & Narcissus« uraufführen wird.

 

Programm

 

Huihui Cheng »Echo & Narcissus« 

für Sopran, Alto, Ensemble und Live-Elektronik

   
 

Ensemble Experimental:

  • Silke Evers, Sopran
  • Noa Frenkel, Alt 
  • Andrea Nagy, Klarinette
  • Daniela Shemer, Violoncello 
  • Olaf Tzschoppe, Percussion 
   
 

SWR Experimentalstudio: Live-Elektronische Realisation

  • Lukas Nowok, Klangregie
  • Thomas Hummel, Klangregie 
  • Detlef Heusinger, Dirigent
   
 

GRAYCODE, jiiiiin:  »+3x10^8m/s, beyond the light velocity«, Fixed Media

   

 

SprecherInnnen der Preisverleihung 

  • Petra Olschowski, Staatssekretärin
  • Peter Weibel, Künstlerisch-wissenschaftlicher Vorstand ZKM | Zentrum für Kunst und Medien
  • Ludger Brümmer, Leiter des ZKM | Hertz-Labor
  • Detlef Heusinger, künstlerischer Leiter des SWR Experimentalstudios
  • Palle Dahlstedt, Komponist und Professor für »Art & Technology« an der Aalborg Universität
  • Golo Föllmer, Autor und Privatdozent an der Universität Halle-Wittenberg

Moderation: Markus Brock

 

Hauptpreis für das Lebenswerk 2018

Ein ›Hub‹ ist ein kleines Gerät, das Computer zu einem lokalen Netzwerk verbindet. 1986 benannte sich eine Gruppe von sechs Musikern nach diesem unscheinbaren Stück Technik. Da war die Existenz des Internets nur Experten ein Begriff, und die Bedeutung, die es einmal bekommen würde, konnten nicht einmal jene absehen. Die sechs Musiker aus der San Francisco Bay Area witterten ein kreatives Potential in der Idee, ihre Musikinstrumente miteinander sprechen zu lassen.

John Bischoff, Chris Brown, Tim Perkis, Mark Trayle, Phil Stone und Scot Gresham-Lancaster nahmen Impulse aus ihrem Umfeld auf: das Selbstverständnis des Komponisten als einer, der seine Instrumente selbst baut, lehrte sie die Musik von Harry Partch und John Cage; das Verständnis von Elektronik nicht nur als Werkzeug, sondern als musikalischer Akteur, der Irritationen und ungesuchte Funde beschert, fanden sie bei David Tudor und Gordon Mumma; die Widerspenstigkeit ihrer Klänge und Strukturen ist Ausdruck einer anti-konsumistischen Gegenkultur.

The Hub war aber gar nicht der Anfang. Was The Hub mit den ersten regulären Desktop-Computern machte, hatte zuvor die League of Automatic Music Composers mit selbstgelöteten Platinen und rudimentären Vorläufern des PCs gemacht, etwa dem KIM-1 im Jahr 1976. Jim Horton infizierte Rich Gold und die späteren Hub-Mit-Gründer Tim Perkis und John Bischoff mit seiner Faszination für ein ›Silicon Orchestra‹, das ein Eigenleben entwickelt und mit dem Menschen in Verbindung tritt. Tische voller selbstgebauter und heikel verdrahteter Elektronik waren für die League nicht ihr Instrument, sondern der künstliche, nichtmenschliche Teil der ›Band‹. The Hub transformierte diesen größtenteils noch analogen Ansatz ins digitale Zeitalter.

Wie eingefahren eine Kunst ist, wieviel sie übersieht und wie viel größer ihr Universum eigentlich sein könnte, das erkennt man erst, wenn jemand kommt, der es von Grund auf anders denkt. The Hub tut das zum Beispiel mit einem Stück wie »Minister of Pitch«. Während in unserem Musikverständnis jeder Musiker ein bestimmtes Instrument, z.B. die Basslinie, die Hauptmelodie, das Schlagzeug spielt, ist bei diesem Stück jeder Musiker für einen Aspekt aller Instrumente zuständig: einer für die Klangfarben, einer für das Timing, und ein anderer, eben der »Minister of Pitch«, für die Tonhöhe. Dass solche Musik ungewöhnlich klingt, versteht sich von selbst.

Musik hat aber nicht nur eine ästhetische Dimension, sondern immer auch eine politische, gesellschaftliche. The Hub verwendet zwar Regeln, aber keine übergeordneten Partituren. Die Hierarchie zwischen den Musikern ist flach, oder Macht wird weitergereicht, wie in einer Demokratie. Der französische Ökonom und Philosoph Jacques Attali bescheinigt der Musik, diejenige Kunstform zu sein, die am schnellsten neue soziale und politische Modelle erproben kann, lange bevor sie aufwändig in der Gesellschaft implementiert werden.

The Hub tun dies, wenn sie Systeme bauen, die keine übergeordneten Kontrollstrukturen besitzen und in denen sich Macht verteilt — ganz entgegen der Tendenz der europäischen Kunstmusik, in der sich die Macht von Komponist und Dirigent über die Jahrhunderte immer mehr ausweitete. Was passiert in der Musik, wenn wir solche anderen Regeln einführen? Was geschieht, wenn wir das Netz immer enger an unseren Körper, unsere Wahrnehmung und unsere Gesellschaft ankoppeln? Die Musik von The Hub ist seit über 30 Jahren ein Testbed für derartige musikalische und gesellschaftliche Fragen.

– Autor: Golo Föllmer

Produktionspreisträger:innen 2018

für »point of view« (2017), für Sopransaxofon (+VR Glasses), Elektronik und Video (for soprano saxophone (+VR glasses), electronics and video), Dauer: 8‘30‘‘

für »+3x10^8m/s, beyond the light velocity« (2017-18), Fixed Media, Dauer: 7‘27‘‘  

Sonderpreis Künstliche Intelligenz 2018 | Martino Sarolli (Italien)

für »Lapidario_E01« (2018), für Live-Elektronik und Fixed Media (for live electronics and fixed media), Dauer: 8‘

Der Sonderpreis für eine KI-bezogene Arbeit geht an Martino Sarolli für seine Arbeit »Lapidario_E01«. Dies ist die erste Hälfte eines Distichons über das mineralische Leben, konzipiert als mehrkanaliges Stück für die Live-Elektronik. Sarolli verwendet modernste machine-learning Technologien, um ein komplexes Klangmaterial unter Live-Kontrolle neu zu synthetisieren. »Lapidario_E01«, zum Thema Siliziumkristalle - die Grundlage der Computertechnologie - besteht aus einem Menschen, jedoch verbindet es das Beste aus beiden Welten. Es ist elegant, organisch und kraftvoll.

– Autor: Palle Dahlstedt

Martino Sarolli

Giga-Hertz-Preis 2018 in roter Schrift auf grünem Hintergrund

Honorary Mention

für »Decoder« (2016), für MIDI-Drum-Pads, Projektionen und Elektronik (for MIDI drum pads, projections, and electronic sounds), Dauer: 12‘

Jury

Ludger Brümmer (Komponist, Leiter des ZKM | Hertz-Labor)
Christiane Riedel (Geschäftsführende Vorständin des ZKM | Karlsruhe)
Alexandra Cardenas (Komponistin, Improvisateurin, Programmiererin)
Detlef Heusinger (künstlerischer Leiter des SWR Experimentalstudio)
Palle Dahlstedt (Komponist, Professor für »Art & Technology« an der Aalborg Universität)
Björn Gottstein (Musikwissenschaftler, künstlerischer Leiter der Donaueschinger Musiktage)

Organisation / Institution
ZKM | Karlsruhe