Peter Weibel: Der Triumph der Wiederkehr



Das ZKM Karlsruhe, das digitale Bauhaus, zu Gast in der Bauhaus Universität Weimar, vom 21. August – 11. September 2005.
Eine Kooperation des ZKM mit dem Kunstfest Weimar »Pèlerinages« (Künstlerische Leitung Nike Wagner) und der Bauhaus- Universität Weimar (Rektor Gerd Zimmermann).

Das »digitale Bauhaus«, das Zentrum für Kunst und Medien in Karlsruhe, ist an den Ursprungsort seiner Idee, das Bauhaus in Weimar, die heutige Bauhaus-Universität in Weimar zurückgekehrt. Das ZKM Karlsruhe zeigt als Referenz an die revolutionären Ideen der weltberühmten Kunstakademie im Stammhaus des Bauhauses, dem von Henry van der Velde errichteten Gebäude, das seit 1996 auf der Weltkulturerbe-Liste der Unesco geführt wird. Ein historische Moment von signifikanter Bedeutung für das Schicksal der Moderne in Deutschland.

Das Bauhaus in Weimar und Dessau war von 1919 bis 1933 Deutschlands berühmteste Kunst-, Design- und Architekturschule der Klassischen Moderne. Als Alfred H. Barr, der Gründungsdirektor des MOMA New York, Ende der 1920er Jahre Europa bereiste, um die programmatischen Kriterien für ein Museum der Moderne zu suchen, fand er diese vor allem in drei Kunstrichtungen: im Konstruktivismus aus Osteuropa, im Bauhaus aus Mitteleuropa und in de Stijl aus Westeuropa. Allen drei Kunstrichtungen war gemeinsam, wie Walter Gropius im Bauhaus-Manifest 1918 formulierte, im maschinenbasierten industriellen Zeitalter eine Kunst zu schaffen, welche die Unterscheidung zwischen Künstler und Handwerker aufhob. Daraus resultierte eine universelle visuelle Sprache, die auf Gemälde, Skulpturen, Möbel, Gebäude und Medien wie Fotografie und Film gleichermaßen anwendbar war. Im Bauhaus waren Vertreter des Konstruktivismus, z.B. Moholy-Nagy, und Vertreter von de Stijl, z.B. van Doesburg, als Lehrende vertreten. Alle drei Kunstrichtungen, die Barr als die Säulen für die Gründung eines Museums moderner Kunst betrachtete, waren also im Bauhaus vertreten. Das Bauhaus ist also das Gründungsmanifest des MOMA. Die Abteilungen, die Barr für das MOMA aufbaute, von Malerei über Skulptur, Film, Fotografie zu Design und Architektur entsprachen dem Bauhaus-Manifest und den in ihm versammelten Kunstrichtungen. Man kann auch sagen, das Bauhaus ist die wichtigste Geburtsstätte der Moderne. Es gehört zur selbst verschuldeten Tragik der deutschen Kultur, dass gerade ihr größter Triumph als „entartet“ verdammt und vernichtet wurde.

Das ZKM | Zentrum für Kunst und Medien in Karlsruhe, hat im Jahre 1989 mit Absicht die Tradition des Bauhauses und der Folgeinstitution die Hochschule für Gestaltung in Ulm aufgenommen. Gründungsvorstand des ZKM und Gründungsrektor der Hochschule für Gestaltung Karlsruhe, Heinrich Klotz, hat daher vom ZKM als das »digitale Bauhaus« gesprochen in Anschluss an die Formulierung des Künstler und Medienhistorikers Jürgen Claus, der vom elektronischen Bauhaus, als einer Forderung der Zeit sprach.
Als ein »Museum aller Gattungen« von Gründungsdirektor Heinrich Klotz tituliert und von Peter Weibel als ein »Museum aller Medien« erweitert, ist das ZKM gleichzeitig ein Ort der Produktion wie der Forschung in den Bereichen der Bild- und Tontechnologien und damit mehr als nur ein Museum, das hauptsächlich die Sammlung und Präsentation von Kunstwerken betreibt, nämlich ein Zentrum.

Die Einladung von Nike Wagner, der Intendantin des Kunstfests Weimar, an das ZKM, basierend auf einer Anregung des Klangkünstler und Architekten Bernhard Leitner, das ZKM eine Ausstellung in Weimar zu gestalten, wurde daher begeistert aufgenommen. Die Ausstellung ist nämlich ein unglaublicher Akt der Wiederherstellung einer Kontinuität der Moderne, die mehr als ein halbes Jahrhundert unterbrochen worden war. Damit knüpft diese Ausstellung bewusst an die immer wieder unterbrochenen »Moderne«-Bewegungen auf dem historischen Boden Weimar an und stellen sich in die »Bauhaus«-Tradition dieses Ortes.

Das ZKM, als digitales Bauhaus des postindustriellen Zeitalters zu Gast im Bauhaus des industriellen Zeitalters, bedeutet eine triumphale Wiederkehr des Bauhauses selbst. Die Gedanken, Programme und künstlerische Ideen, die mit dem Namen Bauhaus verbunden sind, haben sich trotz der Verbote totalitärer Regimes durchgesetzt, sind trotz der ideologischen Tötungsversuche am Leben geblieben. Die Rückkehr der Geschichte an ihren Ursprungsort, die Wiederkehr der Moderne an ihren Geburtsort ist nicht nur ein Akt der Wiedergutmachung, nicht nur Wiederherstellung der Geschichte, sondern zeigt, dass die Zeit der Moderne nicht zu Ende ist, sondern weiter lebt, wenn auch in abgewandelter Form. Wenn in der Hauptsache die Mehrheit der Menschen vergangene Ereignisse ungeschehen machen möchte und daher die Prinzipien der Unkenntnis, des Vergessens und des Ungeschehen- bzw. Unkenntlichmachens dominieren, kann an diesem Beispiel gezeigt werden, dass ein Vertrauen in die Geschichte, in die Geschichtlichkeit, in die Geschichtsmächtigkeit von Ideen durchaus angebracht ist, dass die Zeit für Ideen nie zu Ende geht. Die Ausstellung »Meisterwerke der Klangkunst aus der Sammlung des ZKM Karlsruhe« ist also ein historischer Moment, der die Wiederkehr der Moderne besiegelt.

Die Auswahl, die das ZKM für das Weimarer Kunstfest aus der Sammlung des ZKM | Zentrum für Kunst und Medien in Karlsruhe getroffen hat, bezieht sich auf die grundlegenden Arbeiten, die von den Bauhaus-Pionieren für eine neue Gleichung zwischen Musik und Malerei, zwischen Ton und Tanz, Klang und Bühne getroffen wurden. Durch die Untersuchungen der Wechselwirkungen von Klang und Bild und die daraus resultierenden synästhetischen Gesamtkunstkonzeptionen des Bühnenbildes wie synästhetischen Entsprechungen zwischen Musik und Bild hat das Bauhaus die Grundlagen der Intermedia und Multimedia geschaffen, auf denen heute die modernsten Medienkunstwerke und auch populäre Unterhaltungsformen wie Musikvideos basieren. Daher hat sich das ZKM bei seiner Auswahl insbesondere auf Werke konzentriert, die den Klang als Medium der Kunst verwenden.

In den letzten Jahrzehnten hat sich die Klangkunst als eigenständige Kunstform entwickelt und eine immer größere Aufmerksamkeit durch die Museen und durch das Publikum erfahren, z.B. die Ausstellung »Sons et lumières« (Centre Pompidou, Paris, 2005). Auch das große Publikum erfreut sich immer mehr an den ungeahnten Möglichkeiten des Klanges in seinen räumlichen und visuellen Präsentationen bzw. Installationen. In jüngster Zeit ist die Klangkunst durch zukunftsorientierte Medien- und Computertechniken in eine neue Phase eingetreten. Digitale Technologien erlauben neue Verbindungen von Ton und Bild unter Einschluss des Betrachters. Interaktive Klangkunstwerke, die auf das Verhalten des Betrachters reagieren, bieten die Möglichkeit, Bildereignisse zu steuern. So werden Utopien der Synästhesie und der Synchronie vom Anfang des 20. Jahrhunderts, wie sie auch im Bauhaus geträumt wurden und wie sie die Musikvideos populär gemacht haben, am Anfang des 21. Jahrhunderts auf eine Weise wirklich und wahr, wie sie jedem Menschen demokratisch zugänglich sind. Das ZKM präsentiert als Gast in Weimar die neuesten und lebendigsten Entwicklungen dieser wachsenden Kunstform der Klanginstallation, um dem genius loci der Bauhaus-Universität zu huldigen und damit eine Heilung der Wunde der Moderne in Deutschland, die Rückführung und die Wiedereinführung, den re-entry der Moderne in die Moderne in Deutschland zu signalisieren.

[2005]