Matters of Evidence
Gegen nationalistische Narrative
Sa, 28.06.2025 14:00 – 16:00 Uhr CEST
Das Ausstellungs- und Netzwerkprojekt »Matters of Evidence« verhandelt in der kommenden Podiumsdiskussion »Gegen nationalistische Narrative« die Arbeit von Künstler:innen, Aktivist:innen und Wissenschaftler:innen, die Widerstand gegen nationalistische Umschreibungen von Geschichte leisten, einem zentralen Funktionsprinzip rechtsextremer Politiken. »Matters of Evidence« ist ein fortlaufendes Projekt im Rahmen von »Fellow Travellers« und untersucht in transdisziplinärer Perspektive evidenzbasierte Verfahren der Wahrheitsfindung und Strategien der Gegendarstellung, um hegemoniale Narrative zu durchbrechen.
»Matters of Evidence: Gegen nationalistische Narrative« stellt insgesamt drei Projekte vor, die materielle Zeugen aufrufen, um verklärte Ursprungsnarrative zu entlarven, zeitgenössische Verschleierungen rechtsextremer Einflussnahme zu durchbrechen und von verdrängten oder verschwiegenen historischen Ereignissen zu berichten. Die Konstruktion und Aufrechterhaltung nationalistischer Narrative infrage zu stellen ist von politischer Dringlichkeit: Geschichtsschreibung – und deren Umschreibung – bildet das ideologische Fundament der aktuell aufflammenden Nationalismen.
Mit »The Chasm Records« untersucht der in Budapest lebende Künstler Szabolcs KissPál im Rahmen seines umfassenden Projekts »From Fake Mountains to Faith (Hungarian Trilogy)« die ideologischen Hintergründe der ungarischen Hinwendung zum Autoritarismus und einer „illiberalen Demokratie“. Am Beispiel Ungarns als Fallstudie für ein globaleres Phänomen untersucht das Projekt, wie revisionistischer Nationalismus, irredentistischer Symbolismus und mythische Narrative systematisch im zeitgenössischen politischen Diskurs eingesetzt werden. Durch eine Methode der Fiktionalisierung dekonstruiert KissPál nationalistische Mythologien von innen heraus und zeigt auf, wie sie fabriziert, aufrechterhalten und in Alltag und staatliche Institutionen eingebettet werden.
Der in Berlin lebende Künstler Fritz Laszlo Weber unternimmt einen imaginären Spaziergang durch die Halitstraße in Kassel – eine Straße die zugleich ein Ort, eine Forderung und eine Geschichte ist. Auf diesem Spaziergang entfalten sich die Schichten des NSU-Komplexes: eines neonazistischen Terrornetzwerks, das bis 2011 zahlreiche Attentate und Morde verübte, und zu deren Opfern Halit Yozgat zählt, der in seinem Internetcafé auf eben dieser Straße in Kassel erschossen wurde. In »Echoes down Halitstraße« erzählt Weber von einem jahrzehntelangen Kampf der Angehörigen und Aktivist:innen um aufzuzeigen, wie staatliche Institutionen und die Medien – anstatt für Gerechtigkeit zu sorgen – Misstrauen schüren und die Angehörigen der Opfer kriminalisieren. Seit der NSU sich 2011 öffentlich zu den Taten bekannt hat, kämpft Halits Familie dafür, die Straße, in der er lebte und starb, nach Halit zu benennen – eine Forderung, die immer noch nicht erfüllt wurde, und so zum Zeichen für den nicht anerkannten institutionellen Rassismus und die ungelösten Fragen rund um den NSU-Komplex wird.
In »The Detritus of the Shtetl« untersuchen die Kulturhistorikerin Magdalena Waligórska und die Künstlerin Dominika Macocha die Überreste der jüdischen Sachkultur in Biłgoraj, einem früheren Schtetl im Südosten Polens, um nachzuvollziehen, wie alltägliche Haushaltsgegenstände von der wiederholten Auslöschung jüdischen Lebens zeugen. In Osteuropa wurde die jüdische Kultur über Jahrzehnte hinweg systematisch vernachlässigt, zerstört und „überschrieben“ – zunächst durch das Naziregime, dann durch die sowjetischen und (post)sozialistischen Autoritäten. Aber die Vernichtung jüdischer Lebensräume fand auch auf breiter Bevölkerungsebene statt und war eine Fortsetzung der (symbolischen) Gewalt gegen marginalisierte ethnische Gruppen. Durch die Rekonstruktion der Genealogien alltäglicher Gegenstände werden diese Fragmente jüdischen Lebens als materielle Zeugnisse einer post-genozidalen Gesellschaftsordnung herangezogen: Zeugnisse der Unterdrückung und Amnesie, aber auch der Domestizierung und Anpassung.
»Matters of Evidence« wurde von Kurator Kuba Szreder (Akademie der Bildenden Künste, Warschau) und der Künstlerin und Architektin Natalia Romik (Warschau) in Zusammenarbeit mit dem ZKM | Karlsruhe konzipiert.
Team
Kuratorisches Konzept: Kuba Szreder (Kurator, Akademie der Bildenden Künste Warschau, Warschau)
Künstlerisches Konzept: Natalia Romik (Künstlerin & Architektin, Warschau)
Steering Committee: Alistair Hudson, Daniel Pies, Natalia Romik, Kuba Szreder