Ješa Denegri: Die Bedingungen und Umstände, die den ersten beiden Ausstellungen der Nove Tendencije in Zagreb [1961-1963] vorausgingen
Wie es zur Veranstaltung der ersten Neue Tendenzen-Ausstellung kam
Darüber, wie es zur Veranstaltung der ersten Ausstellung der Neuen Tendenzen kam, gibt es ein authentisches Zeugnis ihres Initiators Almir Mavignier, das aufgrund der in diesem Dokument erwähnten interessanten Vorkommnisse wert ist, hier in ausführlicher Länge zitiert zu werden:
"1960 befand ich mich in zagreb. der erste kontakt mit künstlern und kunstkritikern war aufregend durch den aufgeschlossenen geist einer erstaunlich gut informierten gruppe. [...]
[bei einem] podiumsgespräch in der zagreber kunstakademie [...] [stand] ein bericht über die biennale in venedig 1960 [zur Diskussion]. auf die an mich gerichtete frage, welche bisher noch ungekannte künstlerische richtung bei dieser biennale spürbar geworden wäre, antwortete ich[:] keine, und zwar aus dem einfachen grunde, weil durch die struktur der biennale (der damaligen) eine kunst präsentiert wurde, die durch kunsthandel oder offizielle ländervertretungen bereits bekannt war. um noch unbekannte richtungen aufzuspüren, müsste man in ateliers gehen und künstler kennenlernen, die mit neuen ideen und neuem material experimentieren – nach meiner überzeugung künstler wie morellet, gruppo n, castellani, mack, piene, wilding, gerst[n]er, pohl, adrian, zehringer u. a. –, die neue wege und eine neue künstlerische konzeption suchen. um diese überzeugung unter beweis zu stellen, habe ich eine ausstellung solcher künstler vorgeschlagen [...].
einige zeit später fingen tatsächlich die ersten vorbereitungen an. božo bek, der direktor der zagreber gradska galerie und der kunstkritiker matko meštrović waren unermüdlich, in regem briefwechsel entscheidende organisatorische punkte zu klären. [...]
die zugeschickten arbeiten waren im durchschnitt sehr gut. [...] außer bildern gab es eine neue art plastik, die doch keine traditionelle eigenschaft einer plastik besaß, sondern mehr den charakter eines objektes.
nach welcher reihenfolge die ausstellung gegliedert werden sollte, wurde mir sofort klar – die objekte nach de[n] noch gemalten bildern, das heißt: von der malerei zum objekt.
zur frage des titels, habe ich 'neue tendenzen' vorgeschlagen. diese bezeichnung kommt von der ausstellung 'stringenz – nuove tendenze tedesche', die 1959 in der galleria pagani [in mailand] stattgefunden hat.
die größte überraschung der 1. neue tendenz ausstellung war die verblüffende verwandtschaft der experimente der künstler verschiedenster länder, obwohl diese künstler wenig voneinander wußten oder oftmals sich überhaupt nicht kannten.
dieses phänomen hat uns in zagreb zum ersten mal die existenz einer internationalen bewegung bewusst gemacht, eine bewegung[,] wo kunst eine neue konzeption offenbart, die mit optischer untersuchung der fläche, der struktur und der objekte experimentiert.
das bewusstsein dieser neuen optischen dimension hat die organisatoren in zagreb und die künstler selbst gezwungen, die entwicklung dieser bewegung zu verfolgen, zu dokumentieren und zu informieren durch weitere 'neue tendenz ausstellungen', die dann auch außerhalb jugoslawiens stattgefunden haben."(1) [...]
Der Europäische Kontext der Anfänge der Neuen Tendenzen
Im Buch »Prospect Retrospect: Europa 1946–1976«(2) aus dem Jahr 1976, herausgegeben von Konrad Fischer und Hans Strelow, ist eine Chronik der bedeutendsten Entwicklungen der europäischen Kunstszene jener Jahre. Die Ausstellung Bewogen Beweging am Stedeljik Museum in Amsterdam, die anschließend im Moderna Museet in Stockholm gezeigt wurde, wird als eines der wichtigen Ereignisse des Jahres 1961 genannt, außerdem die Ausstellungen Le Nouveau Réalisme à Paris et à New York und À 40° au-dessus de Dada, beide in Paris, Zero in Düsseldorf sowie eine Reihe weiterer Ausstellungen, unter anderem von Mark Rothko, Jackson Pollock, Robert Rauschenberg, Arman, Christo und Jean Tinguely in verschiedenen europäischen Städten, von Piero Manzoni und Enrico Castellani in Rom – und die erste Ausstellung der Neuen Tendenzen in Zagreb. Die Mitglieder der Gruppe Zero, Heinz Mack, Otto Piene und Günther Uecker, wie auch Manzoni und Castellani, die sich zu jener Zeit um die Galerie/die Zeitschrift Azimuth&Azimut in Mailand versammelten, fanden sich später auf Mavigniers Teilnehmerliste der Zagreber Ausstellung wieder, zusammen mit Piero Dorazio, Gerhard von Graevenitz, Julio Le Parc, Joël Stein, François Morellet, mit der italienischen Gruppo N aus Padua und der Gruppo T aus Mailand, und schließlich den heimischen Künstlern Ivan Picelj und Julije Knifer. Schon aus dieser Namensliste lässt sich erkennen: Die erste Zagreber Ausstellung Neue Tendenzen versammelte zahlreiche Protagonisten eines Zweiges der frühen post-informellen Ausrichtung der abstrakten Kunst – der andere Zweig der aktuellen Kunst dieser Jahre war gegenständlich und wurde durch die britische und amerikanische Pop Art und den Pariser Nouveau Realisme vertreten. Zu einem Zeitpunkt entstanden, als sich das Informel als vorherrschender künstlerischer Ausdruck der frühen Nachkriegszeit erschöpfte, enthüllte die Kunst der späten 1950er- und der beginnenden 1960er-Jahre sowohl in der abstrakten als auch in der gegenständlichen Ausrichtung den Geist eines erwachenden Optimismus, der die junge Künstlergeneration erfasste, die sich in den gefestigten sozialen Verhältnissen eines erneuerten Europas formierte. In diesem Geiste äußerte sich einer der Teilnehmer der ersten Zagreber Ausstellung der Neuen Tendenzen, François Morellet, im Ausstellungskatalog – im eigenen Namen, sich aber unverkennbar auf das gesamte geistige Klima des historischen Augenblicks beziehend:
"Ich glaube, dass wir uns am Vorabend einer Revolution in den Künsten befinden, die genauso groß ist, wie die Revolution in den Wissenschaften. Ich finde, dass aus diesem Grund der Verstand und der Geist systematischer Forschung die Intuition und den individualistischen Ausdruck ersetzen müssen."(3)
Ereignisse im Rahmen der Neuen Tendenzen zwischen 1961 und 1963
Auf der ersten Zagreber Ausstellung war von der Gründung einer internationalen Kunstbewegung noch nicht die Rede. Es wurde jedoch vereinbart, in zwei Jahren eine weitere Ausstellung zu veranstalten; es wurde sozusagen eine Biennale unter der Trägerschaft der Galerie für zeitgenössische Kunst in Zagreb gegründet. Manfredo Massironi, Mitglied der Gruppo N aus Padua und einer der Teilnehmer der ersten Zagreber Ausstellung, beschrieb ihre Wirkung:
"Diese Ausstellung, deren Echo in den Kritiken von begrenzter Reichweite war, war für die Künstler selbst von herausragender Bedeutung, vor allem, da sie eine Gelegenheit zum Treffen vieler Künstler aus verschiedenen Gegenden Europas bot, die sich untereinander nicht kannten und sich von der auffälligen Ähnlichkeit ihrer Arbeiten überzeugen konnten. Obwohl sie sich nicht im Klaren darüber waren, was sie eigentlich miteinander verband, war das ein mit großem Enthusiasmus erfüllter Augenblick."(4)
Aus dieser Stimmung entstanden schnell zahlreiche Kontakte, Erfahrungen wurden ausgetauscht, Bekanntschaften und Freundschaften entwickelten sich, doch ebenso eine Atmosphäre der Konkurrenz: Wer würde auf der ideologischen und organisatorischen Ebene das Gegengewicht zu jener Initiative bilden, die zu diesem Zeitpunkt die Pariser Groupe de Recherche d'Art Visuel (GRAV) übernahm? GRAV veröffentlichte im Oktober 1961 das programmatische Dokument "Propositions générales", in dem sie im Hinblick auf die Neuen Tendenzen forderte:
"Das Publikum soll von den durch die traditionelle Ästhetik hervorgebrachten Hemmungen und Deformationen in der Beurteilung [von Kunst] befreit werden, indem eine neue Situation zwischen Künstler und Gesellschaft geschaffen wird. [...] Die Existenz von unbestimmten Phänomenen in der Struktur und der visuellen Realität des Werks muss festgestellt und davon ausgehend Möglichkeiten konzipiert werden, die ein neues Untersuchungsfeld eröffnen."(5)
In einem Schriftstück von dem GRAV-Mitglied Julio Le Parc mit dem Titel "À propos de art- spectacle, spectateur actif, instabilité et programmation dans l'art visuel" ist zu lesen:"
"Wir sehen uns einer neuen Situation gegenüber, deren Komplexität zum Nachdenken anregt. Ihre Evolution kann auch unklare Seiten aufweisen. Es geht nicht darum, eine Gewohnheit durch eine andere zu ersetzen. [...] Die Rolle des Werkes und die Rolle des Zuschauers haben sich verändert. Die aktive Partizipation an einem Werk ist vielleicht wichtiger als die passive Kontemplation und kann im Publikum dessen natürliche schöpferische Fähigkeiten entwickeln. [...]
Im Kreislauf von Konzeption- Realisation- Visualisierung- Perzeption kommt noch ein neues Stadium hinzu, das alles regiert: die 'Modifikation'. Diese Idee führt uns zum Begriff der Instabilität. Der Begriff der Instabilität in der visuellen Kunst entspricht der Bedingung der Instabilität der Realität. Wir bemühen uns, ihn in den Verwirklichungen [Werken] zu konkretisieren, die ihn in ihre Grundeigenschaften transkribieren: Wir konstatieren eine parallele Entwicklung in der Umkehrung der kontemplativen Situation des Zuschauers zugunsten seiner aktiven Beteiligung." (6)
Im Laufe des Jahres 1962 fanden intensive Begegnungen statt, deren Ziel nicht nur die Bestätigung der Zusammensetzung der Teilnehmer der zweiten, für das folgende Jahr vorgesehenen Zagreber Ausstellung der Neuen Tendenzen war, sondern auch die Formulierung greifbarer konzeptioneller und ideologischer Forderungen, auf deren Basis die Teilnehmerliste zusammengestellt werden sollte. Bei diesen Treffen übernahmen die einzelnen Mitglieder von GRAV, der Gruppo N aus Padua und der Kritiker Matko Meštrović, der die Organisatoren, die Zagreber Galerie für zeitgenössische Kunst vertrat, die aktivsten Rollen. Als im August 1963 schließlich die zweite Ausstellung der Neuen Tendenzen in Zagreb eröffnet wurde, zeigten sich deutliche Unterschiede zwischen der ersten und der zweiten Ausstellung, nicht nur personell, sondern auch programmatisch. In seinem Text "Appunti critici sugli apporti teorici all'interno della Nuova tendenza dal 1959 al 1964" wird Massironi über diese Ausstellung schreiben:
"Das wichtigste Ereignis dieses Jahres [1963] war zweifellos die zweite Ausstellung der Neuen Tendenzen. Sie war vor allem durch eine strenge Auswahl der Teilnehmer gekennzeichnet und durch eine mühsame Suche nach einem Gebiet wechselseitigen Verstehens, mit dem Ziel eine große und geeinigte internationale Bewegung zu schaffen."(7)
Die Formung einer in diesem Sinne "großen und geeinigten internationalen Bewegung" war das erklärte Ziel der aktivsten der Organisatoren der zweiten Zagreber Neue Tendenzen-Ausstellung, die nun durch eine deutlich verstärkte Teilnahme heimischer Künstler gekennzeichnet war: Neben Picelj und Knifer, die an der ersten Ausstellung teilgenommen hatten, waren nun auch Kristl, Richter und Srnec, ehemalige Mitglieder der Gruppe EXAT-51, sowie Vojin Bakic und Miroslav Šutej dabei. Doch parallel zu dieser Erweiterung, die auch viele internationale Teilnehmer mit einbezog, wurde die Liste potenzieller Mitglieder der neu gegründeten Bewegung verkleinert. Das entscheidende Kriterium war, ob die von den Künstlern verwendeten Verfahren in die Vorgaben der zweiten Zagreber Neue Tendenzen-Ausstellung passten oder nicht. Die Kriterien sind in den zitierten Schriftstücken der Mitglieder von GRAV nachzulesen. Die amerikanische Kunsthistorikerin und Kuratorin am Solomon R. Guggenheim Museum in New York, Valerie Hillings, weist in ihrem Essay "Concrete Territory: Geometric Art, Group Formation and Self-Definition"(8) darauf hin, dass nach der zweiten Zagreber Ausstellung Marc Adrian, Martha Boto, Carlos Cruz-Diez, Piero Dorazio, Garcia Miranda, Rudolf Kämmer, Julije Knifer, Heinz Mack, Herbert Oehm, Henk Peeters, Otto Piene, Aleksandar Srnec, Helge Sommerock, Miroslav Šutej und Günther Uecker aus den Neuen Tendenzen ausgeschlossen wurden. Das zitierte Dokument, das "Bulletin Nr. 1. Nouvelle Tendance - Recherche Continuelle" von August 1963 bestätigt, dass den Ambitionen zur Gründung einer "großen und geeinigten internationalen Bewegung" von Beginn an mit Schwierigkeiten und Krisen konfrontiert waren, schließlich sogar mit einer Spaltung innerhalb der Neuen Tendenzen: zwischen den Künstlern, die den Kriterien entsprachen und jenen, die zurückgewiesen wurden.
Das folgende Zitat, das dem Einführungstext von Matko Meštrović des Katalog der Neuen Tendenzen 2 entnommen wurde, verrät die angespannte Atmosphäre bei der Gründung der gleichnamigen Bewegung, in diesem Moment ihres ideologischen und organisatorischen Aufruhrs:
"Gefahren wie das Abschweifen oder fehlgeleitete Energien sind stets präsent; das Prisma der sozialen Gegensätze führt zu einer weiteren Spaltung und zur Abkehr von der einzig wirksamen Ausrichtung – der Durchdringung gesellschaftlicher Strukturen. Denn die historische Notwendigkeit der Kunst beruht gerade auf ihrem Vermögen, soziale Barrieren, erstarrte Geisteshaltungen, Routinen und alle Arten von Widerständen zu durchbrechen, die den unveränderten, nicht umstrukturierten Produktionsverhältnissen und ihrem Überbau entstammen. Die Kunst aber zerbricht an diesen Hindernissen oder prallt von ihnen ab; ihr Ringen ist vergebens und sie unterliegt letztendlich, wenn sie nur auf den Bereich der Imagination und Emotion beschränkt bleibt. Daher muss ihr der Durchbruch aus der Sphäre des Poetischen und rein Menschlichen gelingen, da man heute anders die menschliche Dimension nicht bereichern kann."(9)
Zwei Jahre später schreibt Meštrović im Text "Razlozi i mogućnosti povijesnog osvješćivanja" (Gründe und Möglichkeiten der historischen Bewusstwerdung), der im Katalog der dritten Zagreber Ausstellung, Neue Tendenz 3, 1965 veröffentlicht wurde, in einem beinahe dramatischen Ton, ohne die Krise der Bewegung zu verbergen: "Die Initiative, aus der die Konzeption und das Veranstaltungsprogramm der Ausstellung Neue Tendenz 3 hervorgingen, entstand in einem Moment, als sich die erste Krise jener Ideen bereits deutlich abzeichnete, die seinerzeit auf internationaler Ebene eine vollkommen neue Einstellung zur tradierten Kunstpraxis gefordert hatten."
"Von der Krise war hauptsächlich die Organisation betroffen, die ab einem bestimmten Zeitpunkt auf die Entstehung einer internationalen Bewegung, die von Bestand sein sollte, hinwirkte, doch es war sofort klar, dass die Ursachen dieser Krise nicht auf die Organisation selbst zurückzuführen sind. Die grundlegenden geistigen Werte, deren Tragweite im ersten Augenblick beinahe unbegrenzt zu sein schien und die mit ihrer historischen Projektion solche 'praktischen' Probleme bei weitem übertrafen, wurden jedoch plötzlich relativiert."
"Angesichts des Niedergangs des Informel schienen die Neuen Tendenzen anfangs in ihrem Wirken ausschließlich auf einer 'neuen Welt' aufzubauen, die sie verkündet und ihr eine neue Stimme verliehen hatten, obwohl nicht ganz klar war, welcher Strömung sie entsprangen. Damals ist von einer Kontaminierung der herrschenden Praxis und der Kriterien ihrer Verfechter kaum die Rede gewesen und auch rein existenzielle Fragen fanden keine Beachtung. Das war die Zeit der eigentlichen Ideengebung, als man - vor dem damals noch rosigen Horizont der weltweiten politischen Lage - die Hemmnisse nicht erkannte, die diese Ideen durchaus widerlegt hätten."
"Die Gefahr lag jedoch im bereits geschwächten und korruptionsanfälligen Wirken der im Grunde materiellen Kräfte verborgen, die die Welt beherrschten und sie in eine falsche Richtung lenkten, was man nicht vorhersehen konnte. Nach den Gesetzmäßigkeiten des Kapitals besteht oder wirkt jede Illusion, solange sie nicht käuflich ist oder das Kraftfeld des Kapitals die ideellen Bestrebungen nicht durcheinander bringt. Und dies geschah in einer Zeit und Gesellschaft, in der man solche Einflüsse nicht vermeiden konnte."
Als Meštrović diese aufrüttelnden Zeilen schrieb, wurde der Name Nove tendencije (Neue Tendenzen – in der Mehrzahl), unter dem die ersten beiden Ausstellungen stattfanden in Nova tendencija (Neue Tendenz – in der Einzahl) geändert, womit die Organisatoren der dritten Zagreber Ausstellung indirekt zugaben, dass die auf dieser Veranstaltung gezeigte Kunst nur eine "Tendenz" von vielen anderen in der damaligen zeitgenössischen Kunstszene darstellte und nicht mehr eine "große und einzigartige internationale Bewegung", die die Neuen Tendenzen gerade zwei Jahre zuvor noch zu werden schien. Deshalb darf man mit gutem Grund vermuten, dass die aufsteigende Bahn des als Neue Tendenzen bekannten Phänomens mit der zweiten Zagreber Ausstellung 1963 ihren Zenit erreichte und dass schon mit der dritten Ausstellung 1965 ihr allmählicher Abstieg begann, ohne dabei hier zu berücksichtigen, dass auch nach diesem Datum unter dem Titel Neue Tendenzen oder nur Tendenzen weiter wertvolle einzelne Kunstbeiträge präsentiert und zahlreiche neue künstlerische Probleme formuliert wurden.
Zwischen 1963 und 1965: vollständige Affirmation und Beginn des Endes der Neuen Tendenzen
Die zweite Ausstellung, die 1963 in Zagreb stattfand, war eine vollständige Affirmation und das Endstadium der organisatorischen, sprachlichen und ideologischen Profilierung der Neuen Tendenzen, die sichtbar machte, dass die Ausrichtung dieser Bewegung zu diesem Zeitpunkt deutlich aktivistisch, expansiv, in einzelnen theoretischen Standpunkten sogar extrem doktrinär war. Dies wird auch aus dem Inhalt der Schriftstücke von François Morellet und François Molnar »Pour un art abstrait progressif«, veröffentlicht in einem eigenen Sonderdruck anlässlich dieser Ausstellung, erkenntlich. Diese Ausstellung ist der Höhepunkt der Bewegung, der Gipfel ihrer Verwirklichung und ihres Selbstbewusstseins. Der Mehrheit in der Bewegung erschien es in diesem Moment, dass sie die Hauptziele erreicht hätten und alles Folgende nur eine weitere Ausarbeitung und Bestätigung des gewählten und sicheren Weges sein würde.
Gleichzeitig mit der zweiten Zagreber Neue Tendenzen-Ausstellung fand in San Marino zwischen Juni und Oktober 1963 die Biennale mit dem Titel »Oltre l'informale« statt, organisiert von Giulio Carlo Argan, Pierre Restany und Vincente Aguilera-Cernij, auf der die Teilnehmer der Zagreber Ausstellung - die Gruppe Zero, Gruppo N und Gruppo Uno - die Mehrzahl der Preise erhielten. Man musste nicht lange warten – dies war in der Nachkriegskunst unvermeidlich –, bis sich in kurzer Zeit das (neo)avantgardistische Phänomen im Zentrum der Aufmerksamkeit und des Interesses der Kritiker und der Organisatoren der großen internationalen Ausstellungen, Massenmedien und Märkte wiederfand. "Gestalt-Forschungen" (Ricerca gestaltica), dem Terminus folgend, den Argan in dieser der Zeit als Phänomen der Kunstgruppen und als Ideal der kollektiven Arbeit eingeführt hatte, wurden "Tagesthema". Es schien, als stünden dieser Kunst alle Türen offen. Mit der Ausstellung »Nouvelle Tendance« im April/Mai 1964 erreichte die Bewegung dann auch das erste Mal ein Museum: das Musée des Arts Decoratifs in Paris. Im Juni des gleichen Jahres hatten Alviani, Castellani und Mari auf der XXXII. Biennale in Venedig eigene Säle, Gruppo N und Gruppo T traten gemeinsam auf. Ihr Gefühl des Triumphes und die zufriedene Stimmung wurden jedoch durch den Durchbruch des amerikanischen Neo-Dada und der Pop Art (Robert Rauschenberg, Jasper Johns, Jim Dine, John Chamberlain, Claes Oldenburg) sowie der neuen abstrakten Kunst (Morris Louis, Kenneth Noland, Frank Stella), deren Förderung durch Medien und Markt alles bisher Erreichte der Mitglieder der Neuen Tendenzen weit in den Schatten stellte, gestört. Und nachdem er schon einmal dabei war, sich in die internationale künstlerischen Tätigkeiten einzumischen, ließ der amerikanische auch sie nicht außer Acht. Im Museum of Modern Art in New York organisierte William C. Seitz 1965 die Ausstellung »The Responsive Eye« als konfrontatives Auftreten der "optischen Kunst" (Op Art) gegenüber der schon etablierten Pop Art. In dieses Wettrennen modischer Slogans verwickelt, erlebten viele europäische Protagonisten der Neuen Tendenzen die New Yorker Ausstellung zu Recht als "Pyrrhussieg" oder als "Begräbniszeremonie erster Klasse", wie Massironi es ironisch beschrieb.(10) Vollständig der forschenden Absichten beraubt und von jeder ideologischen Aufladung entleert, die charakteristisch war für das europäische Erbe des historischen Konstruktivismus, auf den sich die Neuen Tendenzen beriefen, erhielt die optische Kunst in Amerika eine "retinale" und Kunst nichts mehr auf dem Weg zu ihrer weiteren Trivialisierung und Kommerzialisierung aufhalten.
Die Ausstellung »Neue Tendenz 3«, die 1965 in Zagreb stattfand, versuchte, sich dieser Erosion durch die Ausschreibung eines Themas, das der Ausstellung einen problemorientierten anstelle eines einfachen Überblickscharakters gab, zu widersetzen. Der Autor der Konzeption der dritten Zagreber Ausstellung war der italienische Künstler und Designer Enzo Mari. Die Ausschreibung bezog sich auf die Frage der "Verbreitung von Forschungsexemplaren", mit anderen Worten auf die Frage gesellschaftlicher Teilhabe an Erfahrung von Kunst und den Ergebnissen dieser Art von Forschung durch die Verbreitung vervielfältigter Werke, sowohl auf der Ebene der Künstler als auch der einer breiteren Öffentlichkeit. Die Ergebnisse schafften es aber nicht einmal, die Organisatoren der Ausstellung zufrieden zu stellen: Mari selber war bereit anzuerkennen, dass ein großer Teil des ausgestellten Materials überhaupt "keine Forschung darstellt, sondern die Nachahmung von Forschung oder sogar deren Kommerzialisierung."(11)
Mitte der 1960er Jahre lösten sich die Neuen Tendenzen völlig auf. Auf der einen Seite wuchs die Zahl der Neumitglieder rapide an, auf der anderen Seite sonderten sich einzelne Mitglieder ab und begannen, internationale Karrieren zu machen. Die Auszeichnung, die Julio Le Parc auf der XXXIII. Biennale in Venedig erhielt (er hatte unabhängig im Pavillon seiner Heimat Argentinien ausgestellt), war einer der unmittelbaren Gründe für die Trennung von GRAV, bei der er bis zu dem Zeitpunkt Mitglied war. Von diesem Moment an, nach dieser offiziellen Anerkennung des internationalen Kunstestablishments für einen der Pioniere der Neuen Tendenzen, konnte man nicht mehr von einem avantgardistischen Charakter jener künstlerischen Orientierung sprechen, die er vertrat. Für die Neuen Tendenzen galten von nun dieselben Beobachtungen, mit denen Massironi das Informel beschrieb:
"Die Avantgarde ist eine Avantgarde, wenn sie vorgeschlagen und nicht, wenn sie angenommen wird, wenn man sie nicht kaufen und nicht verkaufen kann […] Von dem Moment an, in dem sie absorbiert wird, ist sie keine Avantgarde mehr, sogar wenn sie sich von keinem einzigen ihrer Prinzipien lossagt."(12)
(1) Almir Mavignier, "neue tendenzen I – ein überraschender zufall", in: »Tendencije 4«, Kat. Galerije Suvremene Umjetnosti Zagreb, 1970, o. S.
(2) Kat. Städt. Kunsthalle Düsseldorf, Köln 1976.
(3) François Morellet, zitiert in: »Nove tendencije«, Kat. Galerija suvremene umjetností, Zagreb 1961, o. S.
(4) Manfredo Massironi, "Ricerche visuali", in: »Situazioni dell’arte contemporanea. Testi delle conferenze tenute alla Galleria Nazionale d’Arte Moderna di Roma«, Rom 1976, S. 56.
(5) GRAV, "Propositions générales du groupe de recherche d’art visuel", Paris 25.10.1961, zitiert nach: Manfredo Massironi, Manfredo Massironi, "Appunti critici sugli apporti teorici all‘interno della Nuova tendenza dal 1959 al 1964", in: »Nova tendencija 3«, Kat. Galerija Suvremene Umjetnosti, international edition, 1965, S. 27-36, S. 31.
(6) Julio Le Parc, "A propos de art-spectacle, spectateur actif, instabilité et programmation dans l’art visuel", Paris, September 1962, zitiert nach Massironi, "Appunti critici sugli apporti teorici all‘interno della Nuova tendenza dal 1959 al 1964", S. 33.
(7) Ebd.
(8) »Beyond Geometry. Experiments in form. 1940s–70s«, Kat. County Museum of Art in Los Angeles 2004, S. 49-69, hier S. 63.
(9) Matko Meštrović, ohne Titel, in: »Nove tendencije 2«, Kat. Galerija Suvremene Umjetnosti, Zagreb 1963, ohne Seitenzahl.
(10) Manfredo Massironi, "Ricerche visuali", S. 59.
(11) Enzo Mari, zitiert in: Matko Meštrović, Radoslav Putar, "18.08.1965 u brezovici, radni sastanak učesnika NT3", in: Kat. »Nova tendencija 3«, Kat. Galerija Suvremene Umjetnosti, Zagreb 1965, S. 161-165, hier S. 164.
(12) Massironi (1965), S. 28.