Portrait eines Mannes

18.09.2012

Jacob Birken zu »ARTandPRESS«

Aufklärung hinter Masken

VON JACOB BIRKEN

Keine Kulturtechnik verdeutlicht das Dilemma der Moderne so brisant wie die Presse. Alles fängt mit der gleichnamigen Technologie an: Auf Gutenbergs Erfindung wurden sowohl die Lutherbibel gedruckt wie die Ablassbriefe der katholischen Kirche, und die sich gegen diese wendenden Flugblätter. Der Druck eignet sich gleichermaßen zur Erhaltung des Systems und zu dessen Kritik; und wie die Technologie ist auch die Presse als soziale Institution nicht per se ein Mittel der Aufklärung – sie ermöglicht Aufklärung aber in zuvor nicht bekanntem Maße. Daher löst das Massenmedium Unbehagen hervor; sei es auch nur, weil sein Anspruch auf Aufklärung sich nicht quasi automatisch daraus ergibt, dass den Menschen die entsprechenden technischen Mittel zur Verfügung stehen und der Wille, sie zu nutzen.

In der Mythologie des 20ten Jahrhunderts finden wir zwei Figuren, die gerade dieses Dilemma verbildlichen – Clark Kent und Peter Parker, die »zivilen« Alter Egos der Comichelden Superman und Spiderman, die in ihrem Alltag zumindest zeitweise für die Tagespresse arbeiten. Dass beide sich ausgerechnet diese Identität ausgesucht haben, mag unterschiedliche Gründe haben – für den außerirdischen Superman ist der Reporter Kent eine harmlose Maske, während Parker als Photograph für den Daily Bugle ganz pragmatisch der Negativpresse über seine Taten als Spiderman entgegenwirken will. Zudem ist es für die Erzählung wichtig, die Superhelden in der Gesellschaft zu verankern, für deren Erhalt sie schließlich kämpfen. Dass deren bürgerliche Berufe keineswegs ihre „Berufung“ sind, können wir durchaus als kleine Modernenkritik lesen: Würden die gesellschaftlichen Institutionen wie die Presse ihren aufklärerischen Anspruch einlösen, wäre Heldentum nicht notwendig.

Moderne Kulturtechniken führen also nicht garantiert in die moderne Utopie einer friedlichen, freiheitlichen Gesellschaft, und so stehen wir schnell vor der Frage, ob hier also nicht Techniken vonnöten sind, die jenseits bürgerlicher Normen liegen. Das muss nicht gleich die Überwindung der Schwerkraft sein; so wird auch der investigative Journalismus, wenn er Unrecht, Lügen und Ausbeutung ans Licht bringen will, dazu zu Methoden greifen, die in einer »perfekten Welt« nicht nötig wären. »Helden« des Journalismus wie Günter Wallraff müssen sich der Täuschung bedienen, um ihrerseits hinter die Fassaden sehen zu können. Der kritische Journalist und der Superheld werden so zu maskierten Nicht-Bürgern, die vorübergehend aus der Gesellschaft austreten, um ihr beistehen zu können. Doch ab welchem Moment macht dieser »Austritt« aus einem Helden nicht vielleicht doch einen Schurken? Die größte Errungenschaft der Moderne ist, dass sie ihre Methoden auf sich selbst anwenden kann. Über Wallraff stand letztens in der Tagespresse, dass er sich selbst der Ausbeutung seiner Mitarbeiter verdächtigt gemacht hat – ob dies stimmt, sei dahingestellt, aber Wallraff muss sich dieser Anklage stellen: Die Aufklärung darf nicht vor den Aufklärenden halt machen.

Portrait eines Mannes
© Jacob Birken

Über den Autor

Jacob Birken (*1978) arbeitet am Forschungsprojekt »Images of Disasters« der Universität Heidelberg, schreibt und macht Ausstellungen. 2011 war er Co-Kurator von »The Global Contemporary« am ZKM | Karlsruhe.

Kategorie: Gesellschaft