Nils Röller: Towards Cuzco 53

Ein E-Mail-Wechsel zwischen Kalk und Cuzco

Blick auf eine Hauswand und eine Mauer: Darauf das Gemälde eines grünen Blatts und des Wortes "Coca"
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Lieber Kerz,

weitere Worte sind:

Schoner
EheHyg.mittel
democracy must be sung (krückunten)

und dann

Russische Jade
Gottesfurcht (Weichsel)
Aquarelle auf Eternit
Bubertät
Waffensammelaktion
Bündnisfall
Wachbold
abenteuerlustig

und dann ..., ich habe noch Worte für weitere dreissig Briefe, aber ich merke, dass nun vor meinem Hotelfenster die Vorbereitungen für ein Konzert beginnen. Gerade checkt das „Projekt“ microstoria den Sound, mich zieht es nach draussen und ausserdem will Dich nicht länger quälen, da Du nichts mehr mit Worten anfangen kannst. Warum eigentlich nicht? Lass mich Euch, Dir und Deinen Gedanken an Pia und Mona aber noch, bevor ich mein Laptop ausstelle und mich dem musikalischen Geschehen nähere, schreiben, was das ganze auf sich hat. (etwa 150. 000 Worte, nichts Charmanteres, Phantasie mit tausend Perlen, Carbon-Nitrat). Für mich besitzen die Worte genügend Eigenklang, aber ich will dennoch versuchen, Dir eine Gebrauchsanweisung zu liefern (nun hören sie allerdings wieder auf zu proben und ich versuche mich zu konzentrieren). Zwar habe ich die beiden, Pia und Mona, gesehen, als Du sie in der Diskothek angesprochen hat, aber sie werden sich nicht an mich erinnern. (Ikea, Steueroase, Winkelgasse, Rechentafel aus Salamis, hinter den Palmen die blauen Eiskristalle, Spezialeinheit, erdbebensicheren). Würde es Dich nicht reizen, Deine Gedanken und Gefühle an sie mit diesen Worten zu schmücken, diese Wortreihe als Blumenkette, die Hormone rühren die Trommeln zum Tanz mit dem schwingenden Blüten auf der zweiten Haut von Kunst und Mode? ... Du wirst Ihnen vielleicht schon erzählt haben, dass ich in Peru bin und hier an der Gründung eines Medienakademie teilnehme und mit Worten arbeite (Sonnendeck, Odysseus). Apropos, habe gehört, dass einer von den Musikern aus Deutschland, der mit Niobe (www.tomlab.de) auftritt, ein Kanu hier nach oben transportieren lässt (contact: josuch@gmx.de). Er will auf dem Kanu Musik machen. Habe gerade den Gedanken, dass man auch mit den Gipfeln, die hier in die vier Windrichtungen ragen, Klänge erzeugen könnte... jetzt beginnt jemand zu proben, der trotz des warmen Wetters eine schwarze Ski-Mütze trägt. Er stöpselt gerade an den Geräten. Ich wende mich nun an Euch drei, Dich und die beiden, die Dich besuchen und beunruhigen, wenn sie dich besuchen - aber auch wenn sie Dich nicht besuchen - weil ich mich entschuldigen muss für die Verwirrung, die ich in Deinem mentalem Haushalt angerichtet habe und die sich bestimmt auch, auf Eure Umgangsformen niedergeschlagen hat. (Todays, tight before teatime). Ich bin mit einem selbst gebauten Sprachprogramm beschäftigt, dessen Folgen ich nicht absehen konnte (mutterseelenallein, Sternanis, Alfredusbad). Versehens habt Ihr Gedanken über Kunst und Mode hineingespielt (den reinen Konsonanten erfinden, Ardono attraverso la notte). Lasst mich vorher noch sagen, dass ich Euch in Gedanken mit den abstrakten Namen Kunst und Mode anspreche, ohne sagen zu können, warum das so ist (Mona being sempre). Ausserdem muss ich gestehen, dass mein Programm Fehler hat. Bestimmte Worte wie Mona being sempre, Schwarzer Hafen hätten nur einmal auftauchen dürfen. (Africolaphilosoph). Ich war unpräzise. (Atlantis , Seelenlage). In der menschlichen Sprache sind solche Versehen entschuldbar (zarthopfig und goldhell). Geschehen sie in Computerprogrammen, dann können Kernreaktoren schmelzen, Raumsonden im All verschwinden und Polkappen schmelzen (Falzbein, Glocke von Bremen)... Jetzt draussen Knackkaskaden, Klangraspel, würde mich übrigens freuen, wenn Du mit meinen Worten etwas machen würdest. Musiker würden die Wortlisten als Einladung zum Sampling verstehen... Jetzt hört auch der Mützenmensch wieder auf... Noch einmal zurück zu einem Anliegen, das eine Frage bezüglich der exakten Voraussage Euerer Zusammentreffen betrifft (Kanalklinker, Eisfresser). Das Verhalten von Menschen bestimmen zu können, es im Idealfall so zu kalkulieren, dass man ihre Bedürfnisse vorwegnehmen kann, das ist das Anliegen von computergestützten Simulationen und Prognosen, die für die Wirtschaft wichtig sind (Kantine). Die Modeindustrie, auch die Kerzenhersteller würden gerne möglichst weit im voraus wissen, wann welche Formen und Farben nachgefragt werden (Kunstmarkt, Langhalslaute). Die Rolle der Medien in den Prozessen der Vorhersage ist zweifelhaft, sie verstärken oder schwächen Trends, einig sind sich alle Forscher, dass die Medien bewusstseinsverändernd sind (Linienkranich, Anita: Laura des Films, Strahl in Strahl verliebte Farben). Nur kann niemand genau sagen wie, auch wenn es gewiefte Macher gibt (Eisen klirrt verschlafen, Capri-Boy, Sinustonjünger, Perlenhafen). An dieser Stelle würde ich sagen, dass die Kunst den Machern ein Strich durch die Rechnung machen kann, während die Mode abhängiger von den Machern ist (Seeigeleier, Palastmitarbeiter). Der Unterschied zwischen Kunst und Mode ist nicht nur graduell, sondern vielmehr relational (in einem seltsam bernsteinhaften Schein, Regenschauer). Kunst verhält sich zur Mode, wie der Blitz zum Himmel in der Nacht, den er durch sein Leuchten wahrnehmbar macht (Christus-Dampfmaschine, Vog(e)l-Perspektive). An meinen Aufenthalt in Peru knüpfe ich grosse Hoffnungen.(Moses’ Ersatzmann, Annalen Einhards). Ich hoffe, dass der Vergleich zwischen zwei Kulturen, Chancen für die Kunst bietet, und damit für die Freiheit(Jongleur-Bücher, Heidegemeinheit). Kulturen sind meiner Ansicht von Medien geformt, vermutlich werden wir zu einer Weltkultur zusammenwachsen, damit werden die Chancen für die Kunst sinken. (akutalisiert/akutualistisch, untertageberechtigt). Die Medienakademie in Cuzco, die wir hier planen, möchte den Sinn für die feinen Unterschiede bewahren, indem sie zwischen den schriftlosen Kulturen der Inkas, der europäischen Schriftkultur und der Computerkultur Vergleiche anstellt(Autohaus ). Ich beschäftige mich mit der Zukunft des Worts, weil ich glaube, dass Worte Freiheitsräume eröffnen können. (Medien-Unfall). Ich würde gerne mit Euch zusammenarbeiten und Wortkostüme und –moden entwerfen (Tuwatt). In diesen Brief habe ich wie in alle anderen mails Worte eingeschleust, die das Bewusstsein durch ihre Fremdheit irritieren und erfrischen sollen (Mitteldeutschland, Leichtmatrose). Nun musste ich aber feststellen, dass darunter meine Freundschaft Schaden genommen hat (Erwartungs-Religion, Linderung). Das bedauere ich, denn ein Programm, das eigentlich neue Möglichkeiten schaffen sollte, ist zu einem Panzer geworden, mit dem ich meine Interesse von denen der anderen abschotte (das unlebendige Allgemeine). Das führt mich auf den Gedanken, dass Kunst und Mode weiche Puffer sein können, die programmatische Angriffe lindern (Ortsforscher). Aber das klingt so nett und Kunst und Mode und Philosophie und Dichtung sollten nicht nett sein, oder doch ein bisschen (Brezel Göring, Seilabstürze)? Mein Wortvorrat ist nun verbraucht, Fragen zu Kunst und Mode und zum Verhältnis der Sprache zu den Medien und zu Naturwissenschaft sind aber offen geblieben sind und so hoffe ich, dass wir bald eine Chance haben, gemeinsam weiter zu arbeiten (unitalienisch).

S.

P.S. Wellenlehre, das Konzert heute abend. Erst haben microstoria mit ihren Klängen die Gegend grüsst, sie als Gastgeber gewürdigt, indem sie Klangorganismen in die Luft setzten, die mit den Atomen hier herumtollten. Dann gab es einen Kampf zwischen dem Mützenmusiker und peruanischen Elektronikern (http://www.geocities.com/el_aire_jjc/nota3.htm): Flüsse sind angeschwollen, Wolken gebrochen, Wind fetzte ... dachte daran, dass sich zwei Catcher mit den Namen Natur und Kultur treffen. Die Klänge haben ihre Kampfanzüge abgelegt, als ein hagerer blonder Mann mit Gitarre kam. Das ist der, von dem es hiess, er wolle ein Kanu verwenden. Seine Name ist Joseph Suchy. Er hatte nur eine Gitarre und Effektgerät dabei und hat seine Klänge zwischen die Kontrahenten geschoben, indem er die Forderungen und wechselseitigen Muskelzerrungen musikalisch gebrochen hat. Mir fehlen die musikalischen Begriffe, ob es Riffs, Breaks - wie auch immer seine Saitenbehandlung zu bezeichnen ist - waren, das kann ich Dir nicht angeben; mein Eindruck war, dass er mit seiner Gitarre eine Klangspannung gebildet hat, an die sich die anderen so angeschlossen haben, dass sie gemeinsam einen luftigen Turm bauen konnten. Und während der Turm entstand, hatte ich das Gefühl, mit ihm zu schwanken und mich in allen Richtungen den Bergen hinzuwenden, die sich wie grosse dunkelgrüne Tiere wohlwollend mir auf dem Turm entgegen neigten, in freudiger Anerkennung des gelungenen Versuchs, durch Klangspannungen ein stabiles Verhältnis zwischen den Streitenden zu schaffen. Ich müsste anders schreiben... Es liegt nicht an den Worten, sondern ich müsste eine Grammatik entwickeln, um Worte mit Gitarrengriffen zum Klingen zu bringen, eine Grammatik, die Hallgeräte und Verzerrungen zur Verfügung stellt. Oder vielleicht Metaphern, die mit einer bestehenden Grammatik ein Sprachfeld innerhalb der Sprache separieren ... ein Wortschwarm verdichtet sich zu einen Turm, den andere Worte umfliegen, der Ausblick auf entfernte Berge und die darunterliegenden Flächen bietet. Hast Du Dich einmal mit Feld- und Wellentheorie beschäftigt?

P.S.S. Habe noch mit Joseph gesprochen, habe nun das Gefühl, seiner Musik nicht gerecht geworden zu sein. Du findest etwas von ihm unter www.entenpfuhl.com.