Guy Debord
Agent der Kritik gegen ihre Anerkennung
Sa, 29.09.2001 – So, 03.02.2002
Die Situationistische Internationale (S.I.) war eine revolutionäre Organisation, die 1957 von Künstlern und Theoretikern gegründet wurde und bis 1972 in Europa agierte. Ihre Schriften und Aktionen trugen zur Radikalisierung des Aufstands im Mai 1968 in Frankreich bei, wirkten aber auch vorher und nachher in allen Bereichen der Kultur. Neuere Architekturströmungen verweisen auf die S.I.; die Erfindung des Punks orientierte sich an ihr; der Experimentalfilm entdeckt in ihrer Geschichte einige der radikalsten Realisierungen und auch in der Kunst werden situationistische Konzepte immer öfter integriert, wenn nicht sogar direkt kopiert. Die Ausstellung und eine hochkarätig besetzte Tagung widmen sich Guy Debord, der als einer der Gründer und ihr Nachlassverwalter zunehmend im Zentrum des Interesses steht, wenn es um die S.I. geht.
Seit Anfang der 1990er Jahre wird die S.I., eine revolutionäre Organisation, die von 1957 bis 1972 in Europa tätig war, von einer breiteren Öffentlichkeit zur Kenntnis genommen, allerdings zumeist nur um sie als die letzte Avantgarde der Moderne in die Vergangenheit zu verbannen und Guy Debord als einzige und zentrale Figur festzuschreiben. Wenn das ZKM nun dem 1931 in Paris geborenen Franzosen eine Ausstellung widmet, so geht es zunächst um die Praxis und das Denken eines Einzelnen, der seit den frühen 1950er Jahren die radikale Kritik des modernen gesellschaftlichen Lebens wie ein ungreifbarer Agent vorangetrieben hat.
Er war mit der Situationistischen Internationalen tief in die Radikalisierung des Mai 1968 in Frankreich verwickelt, ist aber auch bei wichtigen Bewegungen in anderen Feldern beteiligt. So gelten seine wenigen Filme mittlerweile als erste Entwürfe eines radikalen Umgangs mit dem Medium; aus der extremen formalen und inhaltlichen Skelettierung organisierten die Filme den Angriff auf das Kino als Medium der Herrschaft schon 1952. Debords gemeinsam mit Gil Wolman 1956 veröffentlichter Text »Gebrauchsanweisung für die Zweckentfremdung« liest sich im Rückblick auf die 80er Jahre wie eine zwanglose Einführung in die Kunst jener Jahre, während die Kritik des künstlerischen Revisionismus, die zwischen 1957 und 1964 die Konflikte in der S.I. bestimmte, gern als Beispiel einer möglichen Radikalität herangezogen wurde, wenn in den 1990er Jahren die »institutionelle Kritik« vorangetrieben werden sollte. Das gemeinsam mit dem dänischen Maler Asger Jorn hergestellte Buch »Fin de Copenhague« (1957) zeigt sich heute als ein wichtiges historisches Scharnier, enthält es doch die Signale der New York School zusammen mit denen der Pop-Art, die ihre Zeichen allerdings erst entdecken sollte. Wichtiger jedoch ist das Konzept der »Konstruktion von Situation«, das vor allem von Debord in der Mitte der 1950er Jahre in die Diskussion über die künstlerischen Mittel eingeführt wurde und das später – zum Beispiel als Happening – nur in Formen zur Anwendung kam, die weit hinter den Vorstellungen der Situationisten zurückblieben. Debords theoretisches Hauptwerk »Die Gesellschaft des Spektakels« (1967) ist schließlich nicht nur einer der ersten umfassenden Versuche, das revolutionäre Denken nach dem 2. Weltkrieg auf die Höhe seines Gegenstand zu bringen. Die 221 Thesen waren erwiesenermaßen eine Art Lehrbuch für Freunde und Feinde des revolutionären Projekts. Sie wurden von den radikalsten Gegnern der modernen Mediengesellschaft ebenso genau studiert wie von einigen erfolgreichen Erneuerern.
Die Ausstellung im ZKM wird das Werk von Guy Debord als inszenierte Dokumentation vorstellen, also seine Bücher, Filme, Plakate, Collagen oder Konzepte in Erinnerung rufen, wohl wissend, dass er selbst die Repräsentierbarkeit seiner Person oder die Vergegenständlichung als »sein Werk« und insbesondere ihre Musealisierung zeitlebens auf schärfste bekämpft hat. Aus der Vereinzelung seiner Person zu einem Heroen muss Debords Wirken also zurückprojiziert werden in den Zusammenhang, aus dem er hervorging, dessen Lebensgrundlagen er immer verteidigte und dessen Utopie für ihn in der Vergesellschaftung jener Freizügigkeit lag, die er mit ihnen erlebt oder gesucht hatte.
Debord hat in den letzten Jahren seines Lebens die ersten Anzeichen jener Glorifizierung kennenlernen können, die ihm nach seinem Tod 1994 in Frankreich entgegengebracht werden sollte. Er lebte seit der Mitte der 1970er Jahre sehr zurückgezogen und hat nur mehr als Einzelner darauf reagiert; der Film »Guy Debord – son art et son temps« (1994) bezeugt dies in ausgesprochen düsterer Form und seine letzten Bücher sprechen davon in jener vorsätzlich anmaßenden Virtuosität, aus der heraus er die unbedingte Souveränität des Individuums behauptet: so ist vor allem der »Panegyrikos« (1989) ein von ihm selbst vorgetragenes Lob auf die einzigartige Unabhängigkeit, mit dem er sein Leben ohne das geringste Zugeständnis an das Elend der herrschenden Zustände und gegen jeder Art der Anerkennung geführt hat.
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Barbara Könches (Projektleitung)