Formationen der Neuen Aktivisten

Durch den regen Austausch von Informationen über das Internet entstand im Laufe der letzten Jahre eine gemeinschaftliche, globale Kultur der Autonomie und der Solidarität.
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Im Lauf des letzten Jahrzehnts wurde das Internet zu einem Labor nicht nur für technische, sondern mehr noch für soziale Innovationen, die zum großen Teil auf dem Austausch von Informationsressourcen beruhten.

VON FELIX STALDER

Diese Erfahrungen stellen inzwischen die Grundlagen für neue Praktiken der Kooperation bereit, für die „Open Source“ die meistgenannte Metapher ist. Obschon nicht alle Formen des Sharings [Teilens] für die Gesamtgesellschaft von Vorteil sind (denn auch Terroristen sharen Wissen), ist die Erfahrung des „Beisammenseins“ dennoch ein Schlüsselelement für die neuen Formen des politischen Aktivismus. Sie verlangt, in Begriffen wie Teilhabe und Kollektivität mehr zu sehen als nur hohle Phrasen, fußen diese doch auf konkreten Alltagserfahrungen und sind von kollektivem Handeln sowie der Überzeugung geleitet, dass die eigenen persönlichen Ziele und Wünsche nicht gegen andere, sondern nur mit und durch sie zu verwirklichen sind.

Eine solche Solidarität, die in neue Narrative eingebettet ist und neue, geteilte Handlungshorizonte schafft, kann den Ausgangspunkt für neuartige kulturelle, ökonomische und politische Formationen darstellen. Und selbige wiederum beschränken sich nicht ausschließlich auf das Internet, auch wenn sie vor allem aus Online-Erfahrungen entstehen.

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Commons und darüber hinaus

Die umfassendsten dieser neuen Formationen organisierter Solidarität entstehen durch die Wiedergeburt der Idee der Commons und deren Anwendung in der Praxis, die maßgeblich von Free-Software-Communities, Wikipedia und der Open Data-Bewegung vorangetrieben wird; sie entstehen aber auch über die Artikulation neuer Ansätze in Bezug auf geteilte urbane Räume, Gärten, Wälder und so weiter.

Die gemeinsame Kernidee aller an dieser Strömung beteiligten Akteure ist, dass eine Gemeinschaft sich selbst um die Schaffung, den Erhalt und die Entwicklung einer Ressource herum organisiert. Der Schwerpunkt liegt dabei klar auf dem Gebrauchswert. Wenn überhaupt, so spielt der Marktaustausch erst sehr viel später eine Rolle. Commons sind langfristige soziale und materielle Prozesse. Sie können nicht über Nacht angestoßen werden, und um Bedeutung zu besitzen, müssen sie über einen längeren Zeitraum hinweg Bestand haben. Das bedeutet auch, dass sie eine Art institutionellen Rahmen brauchen, der sowohl beständig als auch flexibel genug ist, um sich wechselnden Bedürfnissen und Bedingungen anzupassen.

Für die betreffenden Institutionen gibt es kein verbindliches Modell. Im Gegenteil: Eines ihrer charakteristischen Merkmale besteht darin, dass sie für die Besonderheiten der gemeinsam genutzten Ressource ebenso sensibel sind wie für die Zusammensetzung der Gruppe, die die fragliche Ressource ihres Gebrauchswerts wegen verwaltet, sowie für den Gesamtzusammenhang, in dem das jeweilige Gemeingut existiert.

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Commons sind die umfassendste, aber bei Weitem nicht die einzige Formation, die sich bei einer vorläufigen Bestandsaufnahme neuer gesellschaftlicher Ausprägungen politischer Organisationen ausmachen lässt. Neben den Commons gibt es auch Versammlungen im Sinne nicht-hierarchischer und zumeist physisch stattfindender Treffen, die sich auf eine konsens-basierte Entscheidungsfindung konzentrieren, wie etwa auf den Plätzen, die von der Occupy-Bewegung besetzt wurden.

Und dann wären da noch die Schwärme: spontane, selbststeuernde kollektive Akteure wie „Anonymous“ oder ultraschnelle Protestbewegungen auf der Straße. All diese Konstrukte sind durch die Schaffung einer „neuen Norm sozialer Interaktionen“ geeint, die ihnen zugrunde liegt und sich über sie hinweg ausdehnt; es handelt sich hierbei um schwache Netzwerke, also Netzwerke und Kollektive, die sich durch eine intensive, aber dennoch lockere und begrenzte soziale Interaktion auf Social-Network-Seiten wie Facebook, Twitter, File-Sharing-Seiten und ähnlichem auszeichnen.

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Auch wenn diese neuen sozialen Formen sich als Idealtypen voneinander unterscheiden mögen, da sie alle in einer schier unendlichen Zahl an konkreten Formen, Größen und Ausrichtungen existieren, erwächst aus ihnen dennoch so etwas wie eine gemeinschaftliche Kultur: eine Kultur der Autonomie und der Solidarität, die auf Beteiligung statt Repräsentation, auf Vielfalt statt Homogenität und bezüglich der verschiedenen Ebenen des Engagements auf Offenheit statt auf Uniformität beruht.

Dies sind die ersten Anzeichen sozialer Institutionen, die einen entscheidenden Bruch mit den institutionellen Mustern der modernen Politik (und des Widerstandes) darstellen und neue Wege in die Zukunft aufzeigen. Ein ausführlicher Aufsatz zu diesem Thema findet sich in meiner jüngsten Publikation Digital Solidarity, PML Books, Mute, London, 2013.

Alle Artikel zur Blog-Diskussion im Rahmen von „global aCtIVISm“ Weitere Informationen unter: www.global-activism.de

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Anmerkungen

Übersetzung aus dem Englischen von Christiansen & Plischke.

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Über den Autor

Felix Stalder lehrt Digitale Kultur an der Züricher Hochschule der Künste und forscht am World-Information Institute in Wien. Seit 1995 ist er auch Moderator bei „nettime“, einem kritischen Knoten des Diskurses über Netzkultur. Der Großteil seiner Arbeit befasst sich mit den Schnittmengen kultureller, politischer und technologischer Dynamiken, insbesondere mit neuen Formen einer am Gemeingut orientierten Produktion, dem Urheberrecht und der Transformation der Subjektivität. Seine jüngsten Publikationen, Vorträge und Interviews findet man auf felix.openflows.com.

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