Hans-Jürgen Lannoch

Geburtsjahr, Ort

1939

Rolle am ZKM

  • Künstler:in der Sammlung

Biografie

Nach Studium des Maschinenbaus an der Technischen Hochschule in Karlsruhe und der Wirtschaftswissenschaften an der Ruprecht-Karls-Universität in Heidelberg begann Hans-Jürgen Lannoch (*1939) sein Studium der Produktgestaltung an der Hochschule für Gestaltung in Ulm, das er 1966 mit dem Diplom abschloss. Es folgte ein einjähriges Forschungsstipendium des British Council am Royal College of Art in London. Nach seiner Rückkehr gründete er 1967 als Partner mit Helga Lannoch in Karlsruhe und ab 1977 auch im französischen Nizza LANNOCH PRODUKTDESIGN, wo zahlreiche Designprojekte mit namhaften Firmen entstanden, die zum Teil Designpreise erhalten haben und in die Sammlung des Landesmuseums Baden-Württemberg aufgenommen wurden. Ab 1970 lehrte Hans-Jürgen Lannoch 16 Jahre im Rahmen einer Gastprofessur Industriedesign am Nationaal Hoger Instituut voor Bouwkunst en Stedebouw in Antwerpen, dem heutigen Henry van de Velde-Instituut, in der neu gegründeten und im Aufbau befindlichen Fakultät für Produktentwikkeling, Pate stand die Designphilosophie der Hochschule für Gestaltung Ulm. In Antwerpen entstanden die ersten Überlegungen zu einem designtheoretischen und methodischen Ansatz, der etwa zehn Jahre später Produktsemantik genannt wurde. 1996 wurde Hans-Jürgen Lannoch als Professor an die Fachhochschule Pforzheim berufen um die Produktsemantik zur Grundlage des Studiums von Industrial-Design und Transportation-Design zu machen.

1966 beginnt die gestalterische, künstlerische und theoretische Zusammenarbeit mit Helga Lannoch in Form eines Zweierkollektivs, das gemeinsame Projekte veröffentlicht und signiert. Großen Einfluss auf diese Entwicklung hatten die gemeinsamen Aufenthalte an der Hochschule für Gestaltung Ulm anlässlich des Studiums von Hans-Jürgen Lannoch und in London während seines Forschungsstipendiums am Royal College of Art und das Zusammenspiel mit Helga Lannochs Heidelberger Soziologie.

Vergleichbar mit dem Bauhaus in Dessau war die Hochschule für Gestaltung Ulm in den 1950- und 60er Jahren für eine ganze Generation von Gestaltern in Design, Kommunikation, Industrialisiertem Bauen und Film prägend. Nachdem Max Bill mit noch vom Bauhaus abgeleiteten Konzepten, wie der gemeinsamen einjährigen Grundlehre, die Hochschule begründet hatte entwickelte Tomás Maldonado mit Max Bense und anderen einen wissenschaftsbasierten Gestaltungsansatz, der bis heute als »the Ulm model« weltweit  viele  Hochschulen beeinflusst. Ausgehend von der überwiegend in der Linguistik angesiedelten Semiotik wurden Produkte als Zeichenträger verstanden. Neben den als selbstverständlich angenommenen praktischen Funktionen, »form follows function«, konnten nun auch wertbegründete kulturelle Gesichtspunkte in den Gestaltungsprozess eingeführt werden. Vermutet und gehofft wurde, dass damit neben aller Brauchbarkeit und Ästhetik auch eine gesellschaftliche Verantwortung, eine ethische Komponente formbestimmend werden könnte. Es gab bereits Überlegungen, an der Hochschule für Gestaltung den Studiengang Produktgestaltung in Environmental Design umzubenennen – es war die Zeit des sogenannten Club of Rome. 

Nachdem Helga und Hans-Jürgen Lannoch ihr Designbüro einige Jahre betrieben hatten, stellten sie sich die Frage, inwieweit sie solche Hoffnungen auch praktisch einlösen konnten. Der Philosoph Wolfgang Fritz Haug hatte 1971 in seiner »Kritik der Warenästhetik« die Dominanz der Verkäuflichkeit von designten Produkten, die als Waren in Erscheinung treten, entschlüsselt, die konsequenterweise zu einem entfesselten Konsumismus führen musste. Um zu verstehen und um darzustellen, welche Rolle Design tatsächlich bereits dabei spielte, entschieden sie sich für das ihnen als Gestalter von Artefakten vertraute künstlerische Mittel der Skulptur. Kunst erschien ihnen, neben der Auseinandersetzung in Texten, wie zum Beispiel in der Fachzeitschrift »form«, als das für das Verstehen von komplexen Zusammenhängen geeignetere Mittel, und so schufen sie eine Werkgruppe, die sie »FOR SALE – Metamorphosen des Glücks« nannten. Das Versprechen von Glück durch den Konsum von Produkten wurde in den siebziger Jahren in der Werbung, vor allem durch das verführerische Medium Fernsehen, sehr stark mit erotisch-sexuellen Wünschen und Versprechungen verknüpft, an dem man auch das damalige Rollenverständnis der Geschlechter ablesen kann. In einigen der Skulpturen durchdringen oder überlagern deshalb erotische und auch die männliche Dominanz demonstrierende Formelemente eine scheinbare perfekte Sachlichkeit. Pralles Testosteron in der Skulptur »GTX«, sich aus dem »Big Brother« mächtig emporhebende phallische Macht, kussbereite weibliche Lippen im »Supersanft«, wie Barren gestapelte weibliche Brüste als ideale Ware in »FOR SALE«. Andere Skulpturen verweisen auf die zunehmende Bedeutung der medialen Verbreitung der Glücksbotschaft durch die neuen Kommunikationsmedien oder wie im »Bumerang« auf die zunehmende Verbindung der mikroelektronischen Produkte mit dem menschlichen Körper. Dass dieser Versuch der Entschlüsselung der Widersprüchlichkeit von Design Wirkung zeigte, konnte man neben zahlreichen Veröffentlichungen auch daran ablesen, dass die Ausstellung der Werkgruppe »FOR SALE« im Karlsruher Künstlerhaus anlässlich des Deutschen Designertages 1980 in Karlsruhe zu einem Skandal führte.

Die Auseinandersetzung mit der Semiotik und den damit verbundenen Möglichkeiten, auch Bedeutung neben der Funktion im Gestaltungsprozess wirksam werden zu lassen, hat bei einigen Absolventen der Hochschule für Gestaltung Ulm jenseits und diesseits des Atlantiks, übrigens ohne voneinander zu wissen, zu Überlegungen geführt, wie dies ganz konkret methodisch bewerkstelligt werden könnte. Aus ihnen entstand schließlich die Produktsemantik.  In den USA waren es Klaus Krippendorff und Reinhard Butter, dem der Begriff »product semantics« zugeschrieben wird,  und in Europa Helga und Hans-Jürgen Lannoch und die Offenbacher Hochschule für Gestaltung, aber auch andere, die in Publikationen und Kongressen die Produktsemantik als Erweiterung des traditionellen Funktionalismus der Moderne in den Designdiskurs eingeführt haben. Es entstanden unterschiedliche Ansätze, wie Bedeutung in den Formfindungsprozess eingebunden werden könnte, über Metaphern, Assoziationen, schematische Merkmalanalysen, Attributauflistungen, Funktionserläuterungen, Interpretationen oder Analogiebildungen.

Helga und Hans-Jürgen Lannoch setzten mit ihrem »Semantischen Transfer« dem dreidimensionalen geometrischen Raummodel, in dem man gewohnt ist sich Gegenstände vorzustellen, also auch zu gestalten, ein sechsdimensionales sprachliches Raummodell gegenüber. Sprachen haben sechs Kategorien von Wörtern, die alle möglichen Eigenschaften und Möglichkeiten von räumlichen Gebilden erfassen. Diese bilden die sechs Dimensionen des semantischen Raumes: Beschaffenheit - Orientierung – Zustand – Relation – Handlungsmöglichkeit – Bewertung. Ein Gegenstand ist zum Beispiel: hart – oben – stehend – schwer – drehbar – ungemütlich. Alle diese Dimensionen beziehen sich auf die Wahrnehmung durch den Menschen, also auch auf die Bedeutung für ihn. Wenn sie im Gestaltungsprozess beachtet werden, können auch alle Aspekte des möglichen Umgangs mit dem Produkt angesprochen werden. Mit der Methode des »Semantischen Transfers« wird eine Übertragung von Bedeutungen von einem Medium in ein anderes, von Sprache in Räumlichkeit vorgenommen. Dazu werden umgangssprachliche Wörter gewählt, die bei dem zu gestaltenden Produkt aus Sicht des Menschen eine Rolle spielen könnten. Diese werden in einer »Semantischen Analyse« auf Bedeutungen untersucht, wobei sowohl praktische als auch sozio-kulturelle Implikationen hineinspielen und unterschiedliche Interpretationen in verschiedenen Sprachen und damit Kulturen wirksam werden können. Das deutsche Wort scharf ist im Englischen hot, im Französischen piquant und wahrscheinlich im Chinesischen oder in afrikanischen Sprachen wieder anders, was zu sehr unterschiedlichen Interpretationen führen und die Dominanz unseres Kulturraumes in Frage stellen kann. Der eigentliche Semantische Transfer findet dann durch das schöpferische Übertragen von sprachlichen Vorstellungen in räumliche Gestalt statt und entzieht sich einer systematischen Vorgehensweise um seine Komplexität zu bewahren. Tendenziell können auf diesem Weg Produkte entstehen, die in ihrer Vielfalt von Bedeutungselementen den menschlichen Umgang mit ihnen erleichtern und sinnvoller machen und gleichzeitig kulturelle Aspekte einbeziehen, was über eine Bedienung oder Benutzung weit hinausgeht.

Der »Semantische Transfer« und viele andere Strategien zur Einbindung semantischer Aspekte in Gestaltungsprozesse haben zu sehr unterschiedlichen Auswirkungen auf die heutige Produktwelt geführt, und man kann davon ausgehen, dass sie auch in Zukunft mit allen möglichen Absichten angewendet werden. Auf der einfachsten Ebene wird der Gebrauch für den Benutzer verständlicher gemacht, was noch sehr nahe an dem Gedanken »form follows function« ist. In der konkurrierenden Warenwelt wird sie aber vielfach verwendet, um Produkte über ihren Status wünschenswerter zu machen. Helga und Hans-Jürgen Lannoch haben deshalb 2011 in einem Aufsatz mit dem Titel Produktsemantik zwischen Erklärung und Widerstand auf einen sich daraus ergebenden Zwiespalt hingewiesen.

Hans-Jürgen Lannochs Lehrtätigkeit an der FHG-Pforzheim gestattete es ihm, neben vielen Elementen der Designphilosophie der Ulmer HfG , das von Helga Lannoch und ihm entwickelte Gestalten im Semantischen Raummodell zur Grundlage des Studiums von Industrial-Design und Transportation-Design zu machen.  Im ersten Semester wurden mit der Methode des Semantischen Transfers Objekte gestaltet, die keinerlei Funktion haben sollten, aber jeweils ein Wort aus einer der sechs Dimensionen des semantischen Raumes wahrnehmbar machten. Hintergrund war, dass durch diese Prozesse das intuitive Formfinden mehr und mehr von geometrischen hin zu semantischen Vorstellungen gehen sollte. In den Erläuterungen sollten diese dann sprachlich beschrieben werden, um auch ein verbales Repertoire zu entwickeln. Im zweiten Semester sollte ein niedrig komplexes Produkt gestaltet werden, bei dem alle Merkmale neben der direkten Funktionalität auch semantisch zu beschreiben waren. In den weiteren Semestern, wo sich Industrial-Design und Transportation-Design trennten, sollten die semantischen Überlegungen dann implizit in die Gestaltungsprozesse einfließen, in der Annahme, dass das Semantische Raummodel in den Köpfen das Geometrische Raummodel sinnvoll ergänzen würde. 

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