Rafael Lozano-Hemmer

»Vocal Folds« führt den Blick ins Innere des menschlichen Körpers. Ein endoskopisches Werkzeug, ausgestattet mit einer hochwertigen Miniaturkamera, wurde bei vier Probant:innen durch die Nase bis hinunter zu den Stimmlippen geführt. Alle Sprecher:innen sind ausgebildete Schauspieler:innen und rezitieren denselben Text: Auszüge aus dem Ninth Bridgewater Treatise (1838) von Charles Babbage, dem Erfinder eines Vorläufer des modernen Computers.

Rafael Lozano-Hemmers laryngoskopische Rundprojektion vergrößert die Anatomie des Kehlkopfes um ein Vielfaches. Der Anblick der feuchten, bewegten Höhle erzeugt den Eindruck von obszöner Hyperrealität. Auch könnte man meinen, ein Lovecraft’sches Monster spräche zu den Betrachter:innen.

Der rezitierteText ist ein bedeutsames Dokument der sogenannten Naturtheologie, die mit rationalen Argumenten und Naturbeobachtung die Existenz Gottes zu beweisen suchte. Babbage vertritt darin die These, dass alles, was je auf der Welt gesprochen wurde, in der Luft bewahrt bleibt: „Die Luft selbst ist eine riesige Bibliothek, auf deren Seiten für immer alles verzeichnet steht, was der Mensch je gesagt oder auch nur geflüstert hat.“

Lozano-Hemmer, der die Stimme mit medico-technischen Mitteln beobachtet und zu Gehör bringt, erzeugt nicht in erster Linie eine wissenschaftliche Abhandlung. Der theo-philosophische Vortrag darf als selbstreferenzieller Hinweis gehört werden; mit ihm wird das Bild des Kehlkopfes mit Erhabenheit ausgestattet. Die Kunst hat – wie die Luft bei Babbage – die Funktion etwas aufzubewahren und damit wiederentdeckbar zu machen.