Veranstaltung
Ron Kuivila: Locus of Focus (Eröffnung)
The Beatification of the Facsimile Tone
Mi, 22.03.2000 18:00 Uhr CET
- Ort
- Kubus Subraum
»The Beatification of the Facsimile Tone« - die Seligsprechung des Faxtones - ist ein „gestimmter“ Raum mit einer Art melodischem Widerhall. Leiseste Klänge und zufällige Geräusche der Umgebung entlocken dem Raum anhaltende Feedback-Töne, während wiederholte Laute von dem System bald ignoriert werden. Die Feedback-Töne erklingen räumlich konzentriert in einem Punkt, der langsam und gelassen ohne Richtung und ohne Ziel durch den Raum wandert. Ebenfalls in diesem Raum befindet sich eine Kollektion von Antennen, die wie Zeiger auf den tönenden Punkt weisen und ihm auf seinem Weg durch den Raum folgen. So wie das Publikum eines Tennis-Matches kollektiv den fliegenden Ball verfolgt, so vollführen die Antennen ihr automatisches Tai Chi, das gelegentlich von plötzlichen Ausbrüchen des einen oder anderen Zeigers gestört wird. Zuweilen wenden sich die neugierigen Zeiger auch einzelnen Besuchern zu.
Ron Kuivila komponiert und entwickelt Klanginstallationen rund um seine ungewöhnlichen selbstkreierten elektronischen Instrumente. Er arbeitete mit Ultraschall und Live-Sampling, mit Algorithmen und Sprach-Synthese. In letzter Zeit widmete er sich in seinen Werken zunehmend der digitalen Signalverarbeitung. Seit Juni 1999 ist Kuivila Gastkomponist des Berliner Künstlerprogramms des DAAD, durch dessen freundliche Kooperation die Installation im ZKM entstehen konnte.
6 Roboter-Antennen, 8 Lautsprecher, 2 Computer Mac G4 mit 8-kanal Audio I/O und Mac G3, Software MAX/MSP und SuperCollider, Mikrofon, Videokamera
„Es ist ein alter Gag: Die Menge schaut hin, also guckst Du auch hin!
In meiner Reihe von Arbeiten mit dem gemeinsamen Obertitel »Locus of Focus« benutze ich diesen alten Gag, um die Auswirkung von konformem Gruppenverhalten auf unsere Wahrnehmung und unser Erleben zu untersuchen. Dabei richtet sich die Aufmerksamkeit der Gruppe bei der Klanginstallation »Locus of Focus: The Beatification of The Facsimile Tone« hier im ZKM auf den Aspekt Klang.
Gruppenverhalten
Meine Familie bekam das erste Fernsehgerät, als ich drei oder vier war. Ich erinnere mich gut an den ersten Abend. Ich konnte nicht verstehen, was sie dort anstarrten, und stattdessen faszinierte mich das Spiel von Farben und Lichtern, die das Gerät in unser Wohnzimmer warf. Und der Anblick meiner Familie, wie sie im Tanz der Lichter und Schatten gebannt auf das Gerät glotzte, machte mir Angst. Massen können dadurch kontrolliert werden, dass wir das Objekt ihres Interesses – ihr »Locus of Focus« – sind. Während des Falkland-Krieges entdeckten britische Soldaten, dass sie ganze Kolonien von Pinguinen in ihren Bann ziehen konnten, indem sie über ihnen hin und her flogen. Wenn sie Kurs auf eine Gruppe Pinguine hielten, hob einer nach dem anderen den Kopf, bis das Flugzeug über sie hinweg flog und die gebannten Tiere rücklings umfielen.
Klänge
Klängen und Geräuschen kann man nicht ausweichen, daher spielen sie eine besondere Rolle im Spiel um die Auf-merksamkeit innerhalb unserer Wahrnehmung. Permanent selektieren und unterdrücken wir Klänge und Geräusche in unserem Bewusstsein. Das plötzliche Verstummen von hintergründigem (Maschinen-)Rauschen bewirkt in unserer Wahrnehmung einen Moment von erhöhter auditiver Klarheit und ein merkwürdiges Gefühl der Erleichterung. Das Verstummen des Geräusches unseres Modems oder Faxgerätes weist auf eine erfolgreich hergestellte Verbindung hin – auch eine Art von Erleichterung, die auf einer Verdrängung unmittelbarer Umweltgeräusche zu Gunsten von Pixeltönen beruht. In der Installation »Locus of Focus: The Beatification of the Facsimile Tone« wird ein Ton generiert, dessen Grundfrequenz sich langsam ändert, und durch drei Kamm-Filter geschickt, die in den Verhältnissen 1/1, 3/2 und 7/8 gestimmt sind (entspricht den Tonhöhen d‘, a‘ und c‘ um etwa einen Viertelton erniedrigt). Es entstehen Unterschiede in der Lautstärke und Crescendi und Decrescendi durch Verstärkung, jedesmal wenn die Partialtöne von C, D oder A gestreift werden. Zusätzlich nimmt ein Mikrofon im Raum Umweltgeräusche auf, die durch weitere Kamm-Filter ähnlicher Stimmung bearbeitet werden und so einen ”gestimmten“ Raum kreieren. Zwei Töne mit wechselnder Wellenform und unterschiedlichen Frequenzen, die zur Teiltonreihe der Kamm-Filter-Frequenzen gehören, werden langsam ein- und ausgeblendet und wandern durch den Raum. Immer wenn sich ihre Wellenformen in bestimmtem Maße annähern, tauschen sie ihre Position im Raum. Dadurch entsteht ein Modulations-Muster, das dem Frequenzwechsel bei Faxgeräten und Modems ähnelt – mit dem Unterschied, dass sie ”gestimmt“ sind. Feedback – Rückkopplung – ist das akustische Pendant zu „die Reichen werden reicher, die Armen werden ärmer“. Wie jedes Resonanz-Phänomen entsteht es durch Anhäufung von Lautstärke bei bestimmten Frequenzen bzw. durch Auslöschung bei anderen. Die harmonischen Proportionen des architektonischen Raums spiegeln sich in der Farbe des dort ertönenden Klangs, weil bestimmte Frequenzen widerhallen und andere unterdrückt werden. Alvin Lucier z. B. nutzte dieses physikalische Phänomen in I am Sitting in a Room von 1969, das im Januar dieses Jahres auch im ZKM gespielt wurde. In »Locus of Focus« wird eine spektrale Gleichförmigkeit innerhalb des Feedback-Prozesses mit Hilfe von digitaler Signalverarbeitung angestrebt. Ein offenes Mikrofon – empfindlich genug, um Rückkopplung zu erzeugen – nimmt die Geräusche der Umwelt auf, die dann über acht im Raum verteilte Lautsprecher schwenken. Wiederum durch Filterungsprozesse werden Klänge, die in ihrer Lautstärke eine bestimmte Schwelle überschreiten, sofort von der Verstärkung ausgeschlossen und ignoriert – akustischer Sozialismus.
Antennen
16 Antennen im Raum weisen wie Zeiger auf den tönenden Punkt und folgen ihm auf seinem Weg durch den Raum wie in einem Ritual. Der Besucher der Installation gerät in eine Situation ähnlich wie ein Tourist in einer Kathedrale, der hoffentlich beobachten und nicht stören will. Aber das ist nicht immer möglich, denn eine Videokamera meldet den Antennen, dass jemand im Raum ist. Hin und wieder mögen sie vielleicht neugierig herüber schielen.“
(Ron Kuivila, Karlsruhe im März 2000, aus dem Amerikanischen von Kerstin Jaunich)
Locus of Focus: The Beatification of the Facsimile Tone wurde erstmals gezeigt in der Arizona State University in Tempe, Arizona im September 1999.
Ron Kuivila komponiert und entwickelt Klanginstallationen rund um seine ungewöhnlichen selbstkreierten elektronischen Instrumente. Er arbeitete mit Ultraschall und Live-Sampling, mit Algorithmen und Sprach-Synthese. In letzter Zeit widmete er sich in seinen Werken zunehmend der digitalen Signalverarbeitung. Seit Juni 1999 ist Kuivila Gastkomponist des Berliner Künstlerprogramms des DAAD, durch dessen freundliche Kooperation die Installation im ZKM entstehen konnte.
6 Roboter-Antennen, 8 Lautsprecher, 2 Computer Mac G4 mit 8-kanal Audio I/O und Mac G3, Software MAX/MSP und SuperCollider, Mikrofon, Videokamera
„Es ist ein alter Gag: Die Menge schaut hin, also guckst Du auch hin!
In meiner Reihe von Arbeiten mit dem gemeinsamen Obertitel »Locus of Focus« benutze ich diesen alten Gag, um die Auswirkung von konformem Gruppenverhalten auf unsere Wahrnehmung und unser Erleben zu untersuchen. Dabei richtet sich die Aufmerksamkeit der Gruppe bei der Klanginstallation »Locus of Focus: The Beatification of The Facsimile Tone« hier im ZKM auf den Aspekt Klang.
Gruppenverhalten
Meine Familie bekam das erste Fernsehgerät, als ich drei oder vier war. Ich erinnere mich gut an den ersten Abend. Ich konnte nicht verstehen, was sie dort anstarrten, und stattdessen faszinierte mich das Spiel von Farben und Lichtern, die das Gerät in unser Wohnzimmer warf. Und der Anblick meiner Familie, wie sie im Tanz der Lichter und Schatten gebannt auf das Gerät glotzte, machte mir Angst. Massen können dadurch kontrolliert werden, dass wir das Objekt ihres Interesses – ihr »Locus of Focus« – sind. Während des Falkland-Krieges entdeckten britische Soldaten, dass sie ganze Kolonien von Pinguinen in ihren Bann ziehen konnten, indem sie über ihnen hin und her flogen. Wenn sie Kurs auf eine Gruppe Pinguine hielten, hob einer nach dem anderen den Kopf, bis das Flugzeug über sie hinweg flog und die gebannten Tiere rücklings umfielen.
Klänge
Klängen und Geräuschen kann man nicht ausweichen, daher spielen sie eine besondere Rolle im Spiel um die Auf-merksamkeit innerhalb unserer Wahrnehmung. Permanent selektieren und unterdrücken wir Klänge und Geräusche in unserem Bewusstsein. Das plötzliche Verstummen von hintergründigem (Maschinen-)Rauschen bewirkt in unserer Wahrnehmung einen Moment von erhöhter auditiver Klarheit und ein merkwürdiges Gefühl der Erleichterung. Das Verstummen des Geräusches unseres Modems oder Faxgerätes weist auf eine erfolgreich hergestellte Verbindung hin – auch eine Art von Erleichterung, die auf einer Verdrängung unmittelbarer Umweltgeräusche zu Gunsten von Pixeltönen beruht. In der Installation »Locus of Focus: The Beatification of the Facsimile Tone« wird ein Ton generiert, dessen Grundfrequenz sich langsam ändert, und durch drei Kamm-Filter geschickt, die in den Verhältnissen 1/1, 3/2 und 7/8 gestimmt sind (entspricht den Tonhöhen d‘, a‘ und c‘ um etwa einen Viertelton erniedrigt). Es entstehen Unterschiede in der Lautstärke und Crescendi und Decrescendi durch Verstärkung, jedesmal wenn die Partialtöne von C, D oder A gestreift werden. Zusätzlich nimmt ein Mikrofon im Raum Umweltgeräusche auf, die durch weitere Kamm-Filter ähnlicher Stimmung bearbeitet werden und so einen ”gestimmten“ Raum kreieren. Zwei Töne mit wechselnder Wellenform und unterschiedlichen Frequenzen, die zur Teiltonreihe der Kamm-Filter-Frequenzen gehören, werden langsam ein- und ausgeblendet und wandern durch den Raum. Immer wenn sich ihre Wellenformen in bestimmtem Maße annähern, tauschen sie ihre Position im Raum. Dadurch entsteht ein Modulations-Muster, das dem Frequenzwechsel bei Faxgeräten und Modems ähnelt – mit dem Unterschied, dass sie ”gestimmt“ sind. Feedback – Rückkopplung – ist das akustische Pendant zu „die Reichen werden reicher, die Armen werden ärmer“. Wie jedes Resonanz-Phänomen entsteht es durch Anhäufung von Lautstärke bei bestimmten Frequenzen bzw. durch Auslöschung bei anderen. Die harmonischen Proportionen des architektonischen Raums spiegeln sich in der Farbe des dort ertönenden Klangs, weil bestimmte Frequenzen widerhallen und andere unterdrückt werden. Alvin Lucier z. B. nutzte dieses physikalische Phänomen in I am Sitting in a Room von 1969, das im Januar dieses Jahres auch im ZKM gespielt wurde. In »Locus of Focus« wird eine spektrale Gleichförmigkeit innerhalb des Feedback-Prozesses mit Hilfe von digitaler Signalverarbeitung angestrebt. Ein offenes Mikrofon – empfindlich genug, um Rückkopplung zu erzeugen – nimmt die Geräusche der Umwelt auf, die dann über acht im Raum verteilte Lautsprecher schwenken. Wiederum durch Filterungsprozesse werden Klänge, die in ihrer Lautstärke eine bestimmte Schwelle überschreiten, sofort von der Verstärkung ausgeschlossen und ignoriert – akustischer Sozialismus.
Antennen
16 Antennen im Raum weisen wie Zeiger auf den tönenden Punkt und folgen ihm auf seinem Weg durch den Raum wie in einem Ritual. Der Besucher der Installation gerät in eine Situation ähnlich wie ein Tourist in einer Kathedrale, der hoffentlich beobachten und nicht stören will. Aber das ist nicht immer möglich, denn eine Videokamera meldet den Antennen, dass jemand im Raum ist. Hin und wieder mögen sie vielleicht neugierig herüber schielen.“
(Ron Kuivila, Karlsruhe im März 2000, aus dem Amerikanischen von Kerstin Jaunich)
Locus of Focus: The Beatification of the Facsimile Tone wurde erstmals gezeigt in der Arizona State University in Tempe, Arizona im September 1999.
Organisation / Institution
ZKM
Kooperationspartner
DAAD
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