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Veranstaltung

Enno Poppe: IQ

Fr, 27.04.2012 20:00 Uhr CEST

»Was hat all das auf einer Opernbühne zu suchen?«, fragt der vom diffusen, ungeordneten Geräuschkosmos unserer Wahrnehmung stets inspirierte Komponist Enno Poppe. In acht Akte gliedert er, »immer wieder von vorne beginnend«, die Situation eines Intelligenztests an verschiedenen Probanden. Das aber ist die Wirklichkeit – wer will sie heute noch immer aus dem ästhetischen Erfahrungsraum des Musiktheaters verbannen?
Ordnung resultiert aus der Angst vor dem Chaos. Sowohl die Natur als auch die Seele galten der Neuzeit als dessen undomestizierter Auswuchs. Ungerades war zu begradigen. Man schoss dabei übers Ziel. Thomas Mann ließ seinen Tonsetzer Leverkühn in Doktor Faustus die Formel dafür finden: »Sogar eine alberne Ordnung ist immer noch besser als gar keine.« Man dachte sich im 18. Jahrhundert das Gehirn als Maschine, heute gipfelt die Vorstellung im Hirn als Computer. Das ist nicht eben beeindruckend. Am Ziel, unaufhörliche Messergebnisse zu produzieren, hat sich in allen Zeiten nichts geändert: Monströse Archaik, im Laboratoriumskittel unserer Gegenwart. In Nordamerika kann ein zur Exekution bestimmter Delinquent nicht hingerichtet werden, wenn sein IQ unter 70 liegt.
Der Autor Marcel Beyer spürt seit langem den Konditionierungsprozeduren am Menschen nach, zeigt uns, wie dieser bereits im
Mutterleib von sprachlichen Rauschzeichen aus dem Messinstrumentarium attackiert wird. Beyers Faszination für Stimmen, auch
jenen aus dem Schattenreich – »die Toten halten das Maul nicht«, ist offenkundig. Aus Stimmen von ausmessenden Testern und ausgemessenen Probanden fügt er das Textbuch zu Enno Poppes Oper »IQ« zusammen. Darin mutieren Instrumentalisten wie Publikum zu integralen Bestandteilen eines hermetischen Versuchssystems, dessen Glücksanspruch eine Testerin auf die traurige Formel bringt, dass »mir meine Tage am Testgenerator doch die allerliebsten Tage« sind.
Poppes Klangwelt, in all seinen Werken interessiert an der Dialektik von Zahl und Zufall, Kontrolle und Zerfall, Technik und Freiheit, entsteht aus dem Zusammenwirken a l l e r Kräfte: Anna Viebrocks Regie, ausgerichtet auf »die Frage nach jener anonymen Instanz, die den Standard setzt«, ist – Raum und Licht eingeschlossen – bereits Teil des kompositorischen Prozesses, Beyers Worte gebären die Noten.


Veranstaltung in Zusammenhang mit: Schwetzinger SWR Festspiele 2012

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