Johannes Goebel: Verfallsdatum für digitale Bits
Archivierung zwischen magnetischen Feldern, der Cloud und dem Stein
Mi, 28.09.2016 18:00 Uhr CEST
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Familienfotos, wissenschaftlichen Daten, die Kunstvideos, Texte, Gedichte, Finanzdaten, Dokumentationen, Websites und Archive – wir sind gerne bereit zu glauben, daß alles, was digital oder digitalisiert ist, sich bestens für die Zukunft aufheben lässt, da es ja in einem »universalen Code« abgespeichert sei. Man könne es ja beliebig ohne Verlust kopieren, denn ein Bit sei ja ein Bit. Dies ist leider nicht der Fall. Einmal ganz abgesehen von der kontinuierlichen und forcierten Veränderung von Hard- und Software, ist alleine die physikalische Haltbarkeit eines Bits sehr viel begrenzter, als wir annehmen mögen.
Wir haben Jahrhunderte und Jahrtausende Erfahrung mit Materialien wie Stein, Holz, Papier, Leinwand, Schallplatten oder fotografischem Filmmaterial, um Geschichten, Bilder und Wissen weiterzugeben. Doch die Bits, in denen wir nun alles kodieren, und die Trägermaterialien, auf denen wir sie aufheben – wie etwa sich auf feinsten Kugellagern drehende magnetische Festplatten, magnetische Datenbänder, optische Speichermedien oder »solid state memory« – sind im Vergleich zu den anderen Materialien flüchtig, kaum zu kontrollieren und sehr aufwändig in ihrer langfristigen Sicherung.
Bei den meisten nicht-kommerziellen digitalen Archiven, die in den letzten 20 Jahren angelegt wurden, gibt es wohl keine Sicherung der kontinuierlichen Folgefinanzierung. Die allerdings ist absolut notwendig, um die gesammelten Bits zu erhalten. Damit haben diese Archive die Haltbarkeit der digitalen Generation, in der sie entstehen – also einen Bruchteil der Dauer einer menschlichen Generation. Ein digitales Archiv ist an keiner Stelle mit einer Bibliothek, einer analogen Filmesammlung oder einer Schallplattensammlung vergleichbar.
Neben einem kulturellen Zusammenhang und den gegenwärtigen technischen Archivierungsmöglichkeiten, stellt dieser Vortrag ein konkretes und sehr preisgünstiges technisches Archivierungskonzept für digitale Dokumente vor, das auf einer radikalen Einschätzung der gegebenen Situation digitaler Archive beruht sowie auf praktischen Erfahrungen mit digitaler Archivierung seit der Mitte der 80er Jahre. Dieses Konzept kann die Daten ohne Pflege und kontinuierliche Kosten viele Jahrzehnte wiederaufrufbar halten. Es ist kein Wundermittel, sondern ein völlig direkter »brute force approach«, den praktisch jeder, jede Institution oder Firma für die eigenen Daten einsetzen kann.
Dieses Konzept basiert auf der Forschung im Institut für Musik und Akustik des ZKM Karlsruhe für die Erstellung des IDEAMA (International Digital Electro-Acoustic Music Archive) zwischen 1989 und 1995. Es wurde 2014–2016 am Experimental Media and Performing Arts Center (EMPAC) am Rensselaer Polytechnic Institute in den USA weiter entwickelt und implementiert, um das Videoarchiv des EMPAC bestmöglich bei geringsten Kosten zu sichern.