Von der Munitionsfabrik zur »Kulturfabrik«
Der Hallenbau A der IWKA – Industriewerke Karlsruhe-Augsburg
-
Den 30. Geburtstag der Staatlichen Hochschule für Gestaltung in Karlsruhe im Jahre 2022 hat das Literaturseminar der HfG zum Anlass genommen, sich in einem Podcast mit der Geschichte des Gebäudes, das heute für die enge Verbindung von Kunst, Medien und innovativer Lehre steht, näher zu beschäftigen.
1872 wird die Patronenhülsenfabrik Henri Ehrmann & Cie. in Karlsruhe als offene Handelsgesellschaft eingetragen; Teilhaber sind Henri Ehrmann (Kaufmann) und Leopold & Wilhelm Holtz (Hauptmann a.D.).
1878 übernimmt ein neuer Firmeninhaber: Wilhelm Lorenz (Ingenieur); das Werk wird umbenannt in Deutsche Metallpatronenfabrik Lorenz.
1883 erfolgt die Genehmigung zur Herstellung scharfer Munition. W. Lorenz konstruiert eigene Maschinen zur Patronenfabrikation. Die Maschinenfabrik Lorenz Karlsruhe-Baden geht in die Massenproduktion über.
1889 wird die Firma an Ludwig Loewe & Co verkauft und es entsteht – zusammen mit der Pulverfabrik Rottweil-Hamburg sowie den Vereinigten Rheinisch-Westfälischen Pulverfabriken – die Aktiengesellschaft Deutsche Metallpatronenfabrik, die von nun an das preußische Heer mit Geschossen beliefert.
1896 wird der Firmensitz nach Berlin verlegt und eine Zweigniederlassung in Karlsruhe errichtet. Es erfolgt eine Umbenennung der Firma in Deutsche Waffen- und Munitionsfabrik (DWM).
Bis 1914 entwickelt sich die Aktiengesellschaft durch Zukauf und Übernahme zu einem Unternehmen, das rund um das Produkt »Kriegsgerät« eine nahezu lückenlose Palette zu bieten hat.
1914 erfolgt der Mobilmachungsbefehl durch Kaiser Wilhelm II. Bei der DWM, die im Kriegsfall einen Liefervertrag mit dem Deutschen Reich hat, bricht Hochkonjunktur an.
1914 ergeht an den Architekten Philipp Jakob Manz der Auftrag für eine Erweiterung des DWM-Werks in Karlsruhe. Es entstehen erste Pläne und der Bau wird zur »Eilsache« erklärt.
Für den Hallenbau A werden 10 Lichthöfe geplant. Obgleich im Dezember 1914 nur 8 Lichthöfe mit einem achsenmittig gesetzten Wasserturm genehmigt sind, werden dennoch 10 Lichthöfe ohne Wasserturm gebaut.
Form follows function
Das architektonische Konzept des Hallenbaus A und seine Umsetzung entsprechen den Prinzipien der damals fortschrittlichen Industriearchitektur. Basierend auf einem Stahlbetonskelett nimmt der Hallenbau eine Grundfläche von 312 m x 56,4 m und 25,8 m Höhe und eine Nutzfläche im Erdgeschoss von ca. 16.500 qm ein.
Der Industriebau erfüllt im Wesentlichen zwei Funktionen: Er fungiert als Nutzbau und Produktionsstätte, die eine effektive Produktion von Gütern ermöglichen soll. Darüber hinaus ist er eine Möglichkeit zur Selbstdarstellung der Fabrikbesitzer.
Der Grundriss ist verblüffend einfach und in Form bis dato einzigartig:
- zwei Langbauten, parallel in Nord-Süd-Richtung verlaufend.
- elf Querspangen, die die Langbauten miteinander verbinden und die Lichthöfe einschließen.
Um die gewaltige Baumasse zu gestalten, gibt der Architekt Manz dem Gebäude eine rhythmische Gliederung. Sechs Risalite von je 12m Breite im Abstand von acht Rasterfeldern (je 48 m) werden errichtet, in die die Treppenhäuser ausgelagert werden. Das wesentliche Konstruktionselement des Baus – die Außenpfeiler – werden rhythmisch gereiht, die Geschosshöhen verjüngen sich schrittweise nach oben hin. Durch große Fensterflächen flutet Tageslicht durch die Hallen.
Durch die architektonische Konzeption ergibt sich ein Doppelkammgrundriss, der große Vorteile für den Betriebsablauf eröffnet: in den als Rückgrat fungierenden Längsbauten wird der Material-, Personen- und Informationsfluss abgewickelt, während in den Querbauten die Materialbe- und verarbeitung vorgenommen werden.
Die Schienentrasse für die Werksbahn (in der Sie jetzt stehen und die sich auch heute noch durch das ganze Gebäude zieht), ermöglicht Lieferung und Abtransport von schweren Gütern.
Die Baupläne für den ersten Bauabschnitt (acht Lichthöfe) sehen 750 Personen pro Geschoss vor (davon 500 Frauen), dabei betreten die ArbeiterInnen das Gebäude dezentral.
Eine enorme Produktionssteigerung schlägt sich von 1914 bis 1918 in einer schnell wachsenden Zahl von ArbeiterInnen nieder: Sind es im Jahre 1915 6.000 ArbeiterInnen, wächst die Zahl nur ein Jahr später auf 9.000, wobei mehr Frauen als Männer eingesetzt werden.
1915–1918 errichtet Manz auf einer Fläche von 62.000 qm neue Fabrikgebäude; bei der Werkserweiterung handelt es sich um insgesamt 8 Neubauten.
Erst 1918 erfolgen die Bauabnahme sämtlicher Neubauten und die offizielle Inbetriebnahme. Für die Rüstungsproduktion ist es damit zu spät. Grund für die Verzögerung sind insbesondere Lieferschwierigkeiten und, wie in Kriegszeiten üblich, der Mangel an Arbeitskräften.
1922 erfolgt – um den Auflagen des Friedensvertrags von Versailles nominell zu entsprechen – die Umbenennung der Firma in Berlin-Karlsruher Industrie-Werke AG (BERKA).
1928 übernimmt Günther Quandt die AG. Im Vorwort zur Jubiläumsschrift 50 Jahre Aktiengesellschaft schreibt er: »So aber war es möglich, im Augenblick der Machtergreifung dem Führer ein Werk zur Verfügung zu stellen, in dem Herstellung von Wehrgeräten in größerem Umfang sofort wieder aufgenommen werden konnte.«
1936 kommt es zum offenem Bruch des Versailler Vertrags: Die Firma trägt wieder den Namen »Deutsche Waffen- und Munitionsfabrik AG« (DWM).
Zahlreiche ZwangsarbeiterInnen müssen während des Dritten Reichs in der Munitionsproduktion unter menschenunwürdigen Bedingungen den Dienst verrichten.
1949 – nach dem Zweiten Weltkrieg übernimmt Harald Quandt den Vorstand. Die Firma trägt den Namen »Industrie-Werke Karlsruhe AG« (IWK).
Ab 1970 nennt sich die Firma »Industrie-Werke Karlsruhe Augsburg AG« (IWKA). Aus den Anfangsbuchstaben des zugekauften Unternehmens »Keller und Knappich Augsburg« wird IWKA später zu KUKA umfirmiert (2007).
Aufgrund der Verlagerung der Produktion in die Peripherie der Stadt Karlsruhe wird das Gelände in den 1970er-Jahren zur Industriebrache.
Ab 1981 wird der Hallenbau auf Initiative von Reinhard Wonner für das Kammertheater genutzt und 1983 von Georg Schalla für die Verwirklichung seiner Ideen und Konzepte entdeckt.
Die Nutzung der Räumlichkeiten erfolgt zunächst mit Genehmigung der diversen Eigentümer, dann auch ungenehmigt und kann damit als kulturpolitische Aktion verstanden werden: zahlreiche Ausstellungen, Konzerte und Performances werden von nun an veranstaltet.
1989 wird das ZKM von der Stadt Karlsruhe und dem Land Baden-Württemberg als Stiftung des öffentlichen Rechts gegründet. Die Gründung geht auf die Idee zurück, die zeitgenössische Kunst mit zukunftsweisenden Technologien zusammenzuführen.
Als Domizil des »elektronischen Bauhauses« (Gründungsdirektor Heinrich Klotz) soll zunächst ein zukunftsweisender Neubau errichtet werden. Im Rahmen der Neugestaltung des Areals südlich des Hauptbahnhofes wird ein internationaler Architekturwettbewerb ausgeschrieben, den Rem Koolhaas mit seinem Entwurf eines 60m hohen Würfels mit Medienfassade für sich entscheiden kann. Das Projekt scheitert allerdings aus Kostengründen.
Als alternativer Standort wir der historische Hallenbau A der ehemaligen Industriewerke Karlsruhe-Augsburg (IWKA) auserkoren.
1993 erfolgt der symbolische Spatenstich. Die Renovierung des inzwischen denkmalgeschützten Gebäudes übernimmt das Architekturbüro Schweger + Partner aus Hamburg. Die Struktur des Baus wird dabei kaum angetastet, hinzu kommen leicht konstruierte Brücken und Stege für die Durchwegung des gewaltigen Baus, eine Blue-Box (heutiges Medientheater) und ein High-Tech-Kubus vor dem Haus für das Musik- und Tonstudio.
1997 erfolgt die offizielle Eröffnung des ZKM | Zentrum für Kunst und Medientechnologie Karlsruhe.