Jean Baudrillard: Pataphysik

Black-and-white photograph: Jean Baudrillard smokes a cigarette

Ubu, der gasförmige und karikaturenhafte Zustand, der Dünndarm und der Glanz der Leere. Denn hier, wo vielleicht alles Stuck und Talmi ist, selbst ein Baum aus Holz - und dieser große Bluff, der den Teig der Phänomene aufgehen läßt -, spricht nichts dagegen, daß der katabatische Abwind zum Stuck und Blabla schon lange vor der Form eingesetzt hat, die die angeblich wirklichen Gegenstände heute angenommen haben - und daß alles, bevor es im krebsartigen und imaginären Zustand zur Welt kommt - nur im krebsartigen und imaginären Zustand zur Welt kommen kann - was die Dinge nicht daran hindert, weniger falsch zu sein, als man denkt, das heißt...

Die Pataphysik ist die höchste Versuchung des Geistes. Der Schrecken des Lächerlichen und der Notwendigkeit führt zur enormen Selbstgefälligkeit, zum enormen Gefurze von Ubu.

Der pataphysische Geist ist der Nagel im Reifen - die Welt ein stinkiger Riesenbovist. Die Wampe ist ebensogut eine Montgolfiere, ein Sternennebel oder auch die vollkommene Sphäre der Erkenntnis. Die Darmsphäre der Sonne. Vom Tod ist nichts zu erwarten. Kann ein Reifen etwa sterben? Er gibt seine Reifenseele auf. Der Furz ist der Ursprung des Atemhauchs.

Das Prinzip muß noch hinzugefügt werden, nämlich daß auf diese Weise die Realität zerstört wird. Durch die übertriebene Selbstüberschätzung von Ubu werden der Wille, die Bedeutung, der Glaube und alle Dinge zum Höhepunkt gebracht, auf dem man ganz natürlich gewahr wird, daß sie aus dem Atemhauch bestehen, aus dem man Furze macht, aus dem Fleisch, aus dem man Fett und Asche macht, und aus Knochen, aus denen man künstliche Zähne und künstliche Welten macht. Das ist nicht lächerlich. Das ist eine Aufblähung, der plötzliche Übergang in einen leeren Raum, der nicht das Denken von irgend jemandem ist - denn es gibt kein pataphysisches Denken, es gibt nur eine pataphysische Säure, die das Leben sauer werden und duften läßt wie Milch, anschwellen wie einen Ertrunkenen und explodieren wie den fahlgrünen Rüssel eines schwachköpfigen Pfahlgeistes. Pataphysik: Philosophie im Aggregatzustand des Gases. Sie läßt sich nur in einer neuen Sprache definieren, die noch nicht gefunden wurde, weil sie allzu evident ist: die Tautologie. Mehr noch: sie kann sich nur durch ihr eigenes Ende ausdrücken, sprich: es gibt sie nicht. Sie dreht sich um sich selbst und käut, ohne zu lächeln, die fäulige Inkongruenz von Pfifferlingen und verweslichen Träumen wieder.

Die Spielregeln der Pataphysik sind schrecklicher als alle anderen. Sie ist ein Narzißmus des Todes, eine tödliche Exzentrizität. Die Welt ist eine eitle Pestbeule, eine sinnlose Wichserei, ein Wahn aus Talmi und Pappmaché, aber Artaud, der so denkt, denkt noch, daß aus diesem wegen nichts und wieder nichts geschwenkten Schwanz eines Tages ein echtes Sperma emporschießen könnte, daß aus einer karikaturhaften Existenz das Theater der Grausamkeit auferstehen könnte, das heißt eine reale Virulenz. Wohingegen die Pataphysik nicht einmal mehr an Sex und ans Theater glaubt.

Es gibt die Fassade und nicht nichts dahinter. Die bauchrednerische Geschwätzigkeit von Blasen und Gedärmen ist absolut. Jedes Ding ist selbstgefällig, imaginär entstanden, ein Ödem, vielgliedriges Krebsgeschwür, ein Trauergesang. Es gibt nicht einmal die Möglichkeit, geboren zu werden und zu sterben. Das ist reserviert für den Stein, das Fleisch, das Blut, für das, was ein Gewicht hat. Für die Pataphysik sind alle Phänomene absolut gasförmig. Selbst die Anerkennung dieses Zustands, selbst das Bewußtsein des Pupses und des Juckreizes und des sinnlosen Koitus ist in keiner Weise seriös... und das Bewußtsein dieses Bewußtseins, etc. Ohne Ziel, ohne Seele, ohne Worte, und selber imaginär, aber auch notwendig, ist das pataphysische Pardox schlichtweg am Krepieren.

Wenn sich Artaud, zum Äußersten getrieben von der Leere, die sich erneut vor ihm und um ihn herum ausbreitete, nicht umgebracht hat, dann deshalb, weil er irgendwo an eine Inkarnation glaubte, an eine Geburt, an eine Sexualität, an ein Drama. All das auf der Bühne der Grausamkeit, weil die Realität es nicht aufnehmen konnte. Es gab einen Einsatz und Artauds Hoffnung war immens. Am Rand der Blase roch es wie eine Chinesische Laterne [Hibiscus schizopetalus]. Ubu hat alle Laternen mit seinem gewaltigen Furz ausgeblasen. Und überdies hat er überzeugt. Er hat alle Welt vom Nichts und von der Verstopfung überzeugt. Er beweist, daß wir eine Darmreizung des Herrn dieser Vorhölle sind. Und wenn der gefurzt hat, wird, das sehen Sie ja wohl ein, alles gelöst sein, alles in Ordnung sein.

Wir sind nichts anderes als im Zustand des virtuellen Furzes. Der Begriff der Realität wird uns gegeben durch einen bestimmten Zustand der Unterleibskonzentration des Windes, der noch nicht losgelassen wurde. Die Götter und die Morgende, die singen, sind aus diesem obszönen Gas hervorgegangen, das angesammelt wurde, seitdem die Welt Welt ist und seitdem der pyramidale Ubu uns verdaut, bevor er uns pataphysisch in die Leere herausschleudert, die verdunkelt wird beim Geruch des erkalteten Furzes - der das Ende der Welt und aller möglichen Welten sein wird...

Der Humor dieser Geschichte ist grausamer als die Grausamkeit Artauds, der nur ein Idealist ist. Und vor allem ist er unmöglich. Er beweist, daß es unmöglich ist, pataphysisch zu denken, ohne sich umzubringen. Er ist, wenn man so will, der Aktionsradius einer unbekannten sphärischen Wampe, die nur durch die Dummheit der Sphären begrenzt wird, die aber unendlich wie der Humor wird, wenn sie explodiert. Aus dieser Explosion von schwachköpfigen Pfahlgeistern entsteht der Humor, aus ihrer kriecherischen und naiven Art und Weise, als Furze und Angsthasen zur Natur zurückzukehren - sie, die sich für so schlau hielten, die Wesen, und nicht nur Gas - und einer nach dem anderen legen sie den Funken an den unermeßlichen Humor, der am Ende der Welt erstrahlen wird - die Explosion von Ubu selber. Somit ist die Pataphysik unmöglich. Muß man sich umbringen, um das zu beweisen? Etwa, weil sie nicht ernst ist. Aber wenn gerade darin ihr Ernst liegt... Schließlich ist es, um die Pataphysik zu rühmen, besser, Pataphysiker sein, ohne es zu wissen - was wir alle sind. Denn der Humor verlangt nach Humor angesichts des Humors, etc. Die Pataphysik ist die Wissenschaft...

Artaud ist der vollkommene Gegensatz. Artaud will die Neubewertung der Schöpfung und der Geburt. Wie Soutine aus seinem verdorbenen Rindfleisch reißt er ein Bild heraus und nicht mehr eine Idee. Er glaubt, wenn er diesen Abszeß der Hexerei aufsticht, wird mehr Eiter fließen, aber am Ende, verdammt noch mal, und wenn die ganze Welt zuckt wie Soutines Rindfleisch, kann der Dramaturg ausgehend von unseren Knochen wieder ein großes ernstes Fest feiern, bei dem es keine Zuschauer mehr geben wird.

Die Pataphysik ist dagegen ausgeblutet und mischt sich nicht ein. Sie entwickelt sich in einem parodistischen Universum, da sie die Resorption des Geistes in sich selbst ohne eine Spur von Blut ist. Und ebenso: jeder pataphysische Ansatz ist ein Teufelskreis, in dem die Formen, die verrückt geworden sind, ohne daran zu glauben, wie Krebse tief im Schilf aufgefressen werden, verdaut werden wie Stuckbuddhas und überall nur ein Fäkaliengeräusch aus Bimsstein und ausgetrockneter Langeweile verbreiten.

Deshalb erreicht die Pataphysik eine derartige Vollkommenheit des Spiels, und weil sie allem, von dem sie letztlich so wenig hat, so wenig Bedeutung beilegt. In ihr scheitern alle feierlichen Nichtigkeiten, alle Gestalten der Nichtigkeiten werden scheitern und vor dem Gorgonenauge Ubus zu Stein werden. In ihr werden alle Dinge künstlich, giftig und führen zur Schizophrenie, durch die rosigen Stuckengel, deren Extremitäten sich in einem gewölbten Spiegel vereinen... Loyola - möge die Welt zugrunde gehen, Hauptsache, ich kann sie beherrschen. Wenn eine Seele dem Einfluß der Voluten, der Spiralen und gedruckten Formen des Rausches, die im Moment der paroxistischen Tartüfferie fixiert werden, nicht widerstehen kann, dann wird sie dem prächtigen Ubu übergeben, dessen Lächeln alle Dinge zu ihrer schwefeligen Nutzlosigkeit und zur Frische von Latrinen zurückführt...

Das ist die einzige imaginäre Lösung für nicht vorhandene Probleme.

Paris, 2002

[Aus dem Französischen von Ronald Voullié]