Paul Ryan: Selbst-Prozessierung

View of the exhibition »Radical Software«

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Paul Ryan, "Self-Processing», in: »Radical Software«, Vol. 1, Nr. 2, 1970
Paul Ryan, "Self-Processing», in: »Radical Software«, Vol. 1, Nr. 2, 1970
© Raindance

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Solange wir die narzisstische Haltung einnehmen und die Ausweitungen unseres eigenen Körpers als in Wirklichkeit draußen befindlich und von uns unabhängig betrachten, werden wir bei allen Herausforderungen der Technik immer wieder die gleiche Bananenschalenpirouette drehen und dann zusammenbrechen.
––– Marshall McLuhan, »Understanding Media«, 1964

 

McLuhan versteht alle Erweiterungen des Menschen als etwas, das eine entsprechende Betäubung und Schließung hervorruft. Das Spiegelbild von Narziss im Teich ist eine Art Selbstamputation, die von irritierenden Spannungen verursacht wird. Um dem Reiz der Amputation entgegenzuwirken, produziert sein Spiegelbild im Teich in Narziss eine Betäubung, die es ihm unmöglich macht, sein eigenes erweitertes Selbst zu erkennen.

Dieser Mechanismus ist am Werk, wenn Menschen sich selbst im Video sehen. Das aufschlussreichste Beispiel, das ich kenne, ist die Wiedergabe eines Videos, das ich für ein dreijähriges Mädchen in ihrer familiären Umgebung gedreht hatte. Sie fühlte sich genötigt, das zu imitieren, was sie sich selbst auf dem Bildschirm tun sah. Wenn ihr auf Video aufgenommenes Selbst sang, sang auch sie; wenn es tanzte, tanzte auch sie. An einer Stelle des Videobandes ging sie eine Treppe herunter – sobald sie diesen Ausschnitt sah, rannte sie die Treppe hoch und ging wieder hinunter. Diese Dreijährige schien Spiegelbildgrundregeln in Echtzeit zu benutzen, um mit ihrer Videobanderfahrung umzugehen. Anscheinend spielte sie den Part des Spiegelbilds für ihr Videobild – also den Part, den der Spiegel für gewöhnlich für sie spielt. Dadurch wurde sie zu einem betäubten Servomechanismus ihres erweiterten Bildes. Als ich das nächste Mal meine Kamera mitbrachte, lief sie davon. Sie weigerte sich, von ihrem durch das Videoband erweiterten Selbst verzaubert zu werden. Im Gegensatz dazu hörte ich einmal einen führenden Vertreter der kindlichen Sensitivität damit prahlen, dass er so viel von sich selbst auf Videoband gesehen habe, dass er dafür unempfindlich geworden sei.

Das Möbius-Videoband ist eine Taktik, mit der man sowohl die servomechanistische Schließung als auch die Desensibilisierung bei der Verwendung von Videotape vermeiden kann. Video kann eine sanfte Art und Weise sein, um mit sich selbst in Kontakt zu treten. Im Privatbereich, mit der vollständigen Kontrolle über den Prozess, kann man die Erweiterung dort draußen auf dem Videotape als Teil von sich selbst akzeptieren. Es besteht die Möglichkeit, die Erweiterung wieder zurückzunehmen und die eigene persönliche Zeitschleife immer wieder erneut aufzubereiten.

Es wird Videotape geben, es wird Zeit geben. Um ein Gesicht vorzubereiten, um den Gesichtern zu begegnen, die du triffst.

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Paul Ryan, "Self-Processing», in: »Radical Software«, Vol. 1, Nr. 2, 1970, illustration by Ira Cohen
Paul Ryan, "Self-Processing», in: »Radical Software«, Vol. 1, Nr. 2, 1970, illustration by Ira Cohen
© Ira Cohen, Raindance

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Redaktion: Beryl Phyllis, Korot Gershuny
Redaktionelle Beratung: Michael Shamberg
Verleger:  Ira Schneider
Produktion: Phyllis Gershuny, Beryl Korot