Christoph Poetsch: Ort und Original

Zwei Ortsansichten am Beispiel von Paul Thek

Dauer
25:10
Kategorie
Vortrag/Gespräch
Erstellungsdatum
20.10.2011
Beschreibung

Der Goldene Löwe für den deutschen Pavillon auf der Biennale in Venedig ist wohl das aktuellste Beispiel: Wenn heute von einem neuen religiösen Impetus der Kunst gesprochen wird (1), so ließe sich dies als Umkehrung jener Entwicklung lesen, die Hans Belting im Wandel von Kultbild zum Kunstbild für die angehende Neuzeit im 15. Jahrhundert beschreibt. Mit Blick auf ortsspezifsche Arbeitsweisen seit Mitte des 20. Jahrhunderts lassen sich Vergleiche zu jener Zeit ziehen, in der sich in der Kunst ein Übergang vom Sakralen ins Ästhetisch-Profane vollzieht. Hierbei stehen die Mobilität des Kunstwerkes als Sammel- und Tauschobjekt und die Mobilität des Künstlers in spannungsreichem Verhältnis.
Die beiden Aspekte Mobilität und Sakralität bilden die Einsatzpunkte meines Vorschlags. Über das Charakteristikum der Sakralität, welches mit dem Moment des Ortes verwoben ist, lassen sich über diesen historischen Vergleich neue Blickwinkel auf die aktuelle Kunstproduktion gewinnen. Der Ort des Kunstwerkes und sein sakraler, authentisch-originärer Charakter stehen gerade dort zur Disposition, wo Beweglichkeit von Werk und Künstler gefordert sind. Abgeschlossenheit, Autonomie, Beweglichkeit und Handhabbarkeit des Kunstobjektes und der Kunstbegriff selbst werden dort aufschlussreich befragbar, wo sich der ökonomische Aspekt, der dem Kunstwerk neben seinem diskursiven Anspruch zukommt, an den Ort koppelt.
Kunstschaffende als Feldforscher ebenso wie als ortsspezifisch Arbeitende müssen jene Mobilität an den Tag legen, die auch Arbeitsweisen wie die Freskomalerei implizieren. Verlangt die physische Verbundenheit mit dem Ort der Ausführung einen mobilen Künstler, so ermöglicht das mobile Sammlerbild als Objekt und Ware die Produktion am immer gleichen Ort des Ateliers. Auch der Übergang von öffentlichen Institutionen auf private Sammler als Hauptziel der Kunstproduktion findet hier im historischen Rückblick eine Parallele. Konstatiert Michael Baxandall für das 15. Jahrhundert einen Rückgang der Betonung des Materialwertes, dann ist Damien Hirsts For the Love of God (2007) neuerdings eine exzessive Ausformung desselben: Eine Wiedereinführung des Goldstandards in die Kunst. Wurde dieses Werk gleichzeitig ein weltweit medial vermitteltes Spektakel, so behalten Hirsts Arbeiten, bei aller Gigantomanie, in ihren Aquarien eine Abgeschlossenheit und ihren Status als bewegliche Marktobjekte.
Mit The Tomb (1967) ist eine Arbeit des Amerikaners Paul Thek gegeben, in der sich die Installation in situ, die Mobilität des Werkes und der sakrale Charakter in aufschlussreicher Weise mit ökonomischen Fragestellungen des Kunstwerkes kreuzen und in dem die Aspekte dieses Vorschlags beispielhafte Ausformung finden. Ebenso ist die Tatsache von Interesse, wie die Reststücke der größtenteils zerstörten Installationen Theks heute relikthaft auf Authentizität verweisen, wie sie in unseren Tagen im Rückblick ver- und behandelt werden. Thek als American man in Europe legte mit der Artists Coop eine programmatisch vertretene Beweglichkeit an den Tag, die mit einer Mobilität des Künstlers heute – nach Miwon Kwon ein Paradigma für die heutige Kunstszene (2) – interessante Vergleichsmöglichkeiten bieten. Auch die Art und Weise, wie sich die ortsgebundene Praxis der Land-Art exemplarisch bei Walter de Marias Lightning Field (1977) wallfahrtsartig geriert, kann als Ausgangspunkt dienen. Quasi-lithurgisch sind Ort und Ablauf der Kunsterfahrung hier strukturiert, wenn eine ausgewählte Gruppe in mönchischer Abgeschiedenheit bei karger Kost dem Kunstkonsum frönt, der bezeichnenderweise auch noch die Verbindung zum Himmel in spektakulärer Weise vor Augen führt. Dass Fotografieren hierbei verboten ist, dass die Produktion von Artefakten und Souvenirs also unterbunden wird, dass der Ort bei aller Popularität weltweit einmalig bleibt, redet der hier angeführten Thematik nur das Wort.
Wie verhalten sich also, so wäre die Frage, eine globale Kunstwelt, ihre Werke und Akteure im Spannungsfeld von Vernetzung, Austausch- und Tauschbarkeit, Delokalisierung und Authentizität wenn Marfa Mekka ist und der Prada-Shop irgendwo da draußen? Dieser Frage soll über den genannten Vergleich, wobei die Schwelle von Kult- und Kunstbild ex negativo die Folie abgibt, an Hand der Momente von Mobilität und Sakralität nachgegangen werden.
Dem Interferenzfeld von ästhetischen und gesellschaftlichen Fragestellungen nähere ich mich in meiner Arbeit sowohl von theoretischer, als auch von künstlerischer Seite her. Meiner künstlerischen Arbeit liegt als Konzept die Erstellung fiktiver Künstlerpositionen zu Grunde. Indem in dieser Arbeit Maßstäbe wie Authentizität, Autorschaft, Stil und Medium variabel werden und sich gleichzeitig in künstlerisches Material umwandeln, werden zentrale Punkte der Legitimierung künstlerischer Produkte befragbar gemacht. Die Fiktion wird nicht verborgen, sondern im Ausstellungskontext selbst über die Vermittlung der Positionen in den Katalogen der KünstlerInnen offen gelegt. Schreiben sich diese Aspekte in die Produktion ein oder sind sie Konstruktion? In welchem Verhältnis stehen Kunstbegriff und die Koppelung von Werk und Autor? Ist es die phänomenale Gegebenheit des Kunstwerkes oder eher der künstlerische Habitus, sind es die Rahmenbedingungen und die Vermittlung von Künstlerperson und -position die ein Eintreten des Kunstwerkes in ein ökonomisches und ein diskursives Feld ermöglichen?
Meine derzeitigen theoretischen Überlegungen beziehen sich auf den Themenkomplex von künstlerischen Arbeitsweisen im Kontext der Ortsspezifk. Aus philosophischer Sicht stehen hierbei gegenwärtig vor allem die begriffliche Auseinandersetzung mit dem Verhältnis von Raum und Ort, sowie die Befragung der Grenze von Werk und Nicht-Werk im Vordergrund. Diese Überlegungen haben sich mit der Zeit in einen größeren historischen Vergleichskontext gestellt: Unter den Gesichtspunkten von Mobilität, Autorschaft, Ökonomie und Sakralität erscheint mir ein Vergleich von ortsspezifischen Praktiken und der Kunst ab dem Ende der 60er Jahre des 20. Jahrhunderts mit der Situation an der Schwelle zur Neuzeit im 15. Jahrhundert gewinnbringend. Zwangsläufig bieten diese Überlegungen die Möglichkeit, die Einbettung der Kunst in einen größeren kulturellen Kontext zu reflektieren.

1 Vgl. exemplarisch die Beiträge von Andreas Beyer und Beat Wyss in: Holger Liebs (Hrsg.): Die Kunst, das Geld und die Krise, Verlag der Buchhandlung Walther König, Köln 2009. 2 Vgl. hierzu: Miwon Kwon, One place after another. Site-specific art and locational identity, MIT Press, Cambridge 2004; v.a. S, 156f

Audio