Michael Schirner
Geburtsjahr, Ort
Rolle am ZKM
- Künstler:in des Archivs
Biografie
Michael Schirner studierte an der Hochschule für bildende Künste Hamburg bei Max Bense, Max Bill, Kilian Breier und Bazon Brock. Er arbeitete ab 1969 bei der Young & Rubicam Werbeagentur in Frankfurt/a.M. und wurde 1971 Partner der GKO&S Werbeagentur Hamburg. Ab 1974 leitete Schirner als Kreativdirektor und Geschäftsführer die Düsseldorfer GGK und machte die Agentur zum Kürzel für kreative Werbung. 1984 gründete er in Düsseldorf die KKG Projektagentur, die 1986 in Michael Schirner Werbe- und Projektagentur umbenannt wurde und aus der 2003 das IKM Institut für Kunst und Medien hervorging.
Ab 1988 lehrte Schirner als Professor für Visuelle und Verbale Kommunikation an der Hochschule für Künste Bremen und wurde dort 1989 zum Honorarprofessor ernannt. 1999 wurde er Professor für Kommunikationsdesign an der Staatlichen Hochschule für Gestaltung Karlsruhe / ZKM I Zentrum für Kunst und Medien Karlsruhe, 2002 Gastprofessor an der CAFA Central Academy of Fine Arts Beijing in China und 2004 Gastprofessor an der Universität Kyūshū Fakultät für Design in Japan.
Seit 2002 arbeitet Schirner mit Kexin Zang zusammen, einer chinesischen Künstlerin und Kommunikationsdesignerin, mit der er 2011 die Schirner Zang Institute of Art und Media GmbH und ein Jahr später die gemeinnützige Schirner Zang Foundation zur Förderung von Kultur, Kunst und europäisch-asiatischem Austausch gründete. Seit 2019 ist Schirner Geschäftsführer der Schirner Zang Werbeagentur Berlin.
Schirner ist Ehrenmitglied der ADC Artdirectors Club für Deutschland und Mitglied der Hall of Fame der Werbung.
2011 heirateten Michael Schirner und Kexin Zang. Sie leben und arbeiten in Berlin und Beijing in China.
Seit seinem Studium an der HFBK Hamburg setzt sich Michael Schirner für die Überwindung der Grenzen zwischen freier und angewandter Kunst ein. Mit der Gleichsetzung von Werbung und Kunst, der radikalen Reduktion von Bild und Text (schreIBMaschinen), der Sichtbarmachung des Unsichtbaren (Serie Pictures in our Minds), der Unsichtbarmachung des Sichtbaren (Serie BYE BYE), der Arbeit an der Selbstabschaffung des Künstlers als Autor (Mich gibt es gar nicht) gilt der Verfasser von Werbung ist Kunst, der Bibel der Kreativen, und Kurator der Ausstellung Art meets Ads – Avantgarde und Kampagne in der Kunsthalle Düsseldorf mit Arbeiten von Jeff Koons, Barbara Kruger, Damian Hirst, Jenny Holzer, Richard Prince u.a. und Kampagnen von Benetton, Marlboro, Levis, Nikon u.a. als „erfolgreichster Kreativer Deutschlands“, „Werbepapst“, „Werbeguru“ und „Beuys der Reklame“.
Medien- und Konzeptkünstler verbindet Schirner Massen- mit Hochkultur und setzt sich mit der Wahrnehmung medienvermittelter Bilder auseinander. Seine Bilder sind Bilder über Bilder. Seine Archive sind Zeitungen, Zeitschriften, Bücher, Filme, Fernsehen, Internet, Werbung und Kunst. Schirner experimentiert mit Bildern des kollektiven Gedächtnisses und transformiert sie zu künstlerischen eigenständigen Schöpfungen. Viele seiner Arbeiten sind wiederum Teil des kollektiven Gedächtnisses geworden.
Schirners Werk wird in internationalen Museen und Galerien gezeigt und umfasst Malerei, Fotografie, audio-visuelle Medien, Theater, Musik, Installation und Performance. Michael Schirner kooperierte mit Künstlern wie Werner Büttner, Kaus vom Bruch, Andreas Dorau, William Forsyth, Andreas Gursky, Ren Hang, Charline von Heyl, IMI Knöbel, Jörg Immendorff, Jonathan Meese, Marcel Odenbach, Albert Oehlen, Christopher Roth, Mayo Thompson und dem Pop-Theoretiker und Mitarbeiter Diedrich Diederichsen in GGK und KKG.
1985 wollte der STERN die Kraft gedruckten Mediums exemplarisch demonstrieren. Gesucht wurde die Idee für eine spektakuläre Ausstellung der stärksten Fotos, die je in Zeitungen und Zeitschriften gezeigt wurden. Michael Schirner entwickelte dafür das Konzept einer Fotoausstellung ohne Fotos. Statt der Bilder sehen die Besucher schwarze Tafeln, 120 x120 cm, auf denen die Beschreibungen bekannter Pressefotos zu lesen sind: „Willi Brandt kniet vor dem Denkmal der Warschauer Juden“, „Der Fußabdruck des ersten Menschen auf dem Mond“, „Albert Einstein streckt die Zunge raus“. Die Texte auf den Tafeln lassen die Bilder in den Köpfen der Betrachter entstehen. Titel der Serie: Pictures in our Minds. Die Serie zeigt, wie aus Auftragskunst Museumskunst wird und Straßenkunst auf Billboards in Toronto, Audio-Kunst im WDR-Hörfunk und imaginäre Kunst in der größten Tageszeitung: Zum 30järigen Jubiläum der Fotoausstellung ohne Fotos erschien die BILD-Zeitung ohne Bilder.
In Werbung ist Kunst schreibt Michael Schirner, wie es zu den Ölbildern der Serie Kisuaheli neumix kam: „Da es mir ernst war mit der Gleichsetzung von Werbung und Kunst, musste ich noch den letzten Schritt tun und die bildende Kunst mit zu meiner Domäne erklären. Ich habe, um das Problem der Autorenschaft in den Mittelpunkt zu stellen und um die Herkunft guter Ideen aus der Werbung zu belegen, eine Idee aus meiner Düsseldorf-Kampagne aufgegriffen: die Anzeige mit den Signaturen berühmter Maler. Diese Signaturen habe ich, immens vergrößert und mit dem Originalhintergrund in Öl gemalt, dort ausgestellt, wo ich vor Jahren meine Ausstellung Werbung als Kunst gemacht hatte. Die Gemälde zeigen, dass aus Kunst Werbung wird, aus der schließlich Kunst wird, wobei wir am Ende dieser Geschichte wieder bei ihrem Anfang angelangt wären. So habe ich bewiesen, dass Kunst nur Werbung ist und Werbung nur Kunst, also beides nichts Besonderes, aber das Höchste und Erhabenste.“
Für die Ölbildern der Serie Lorem ipsum, der Weiterentwicklung von Kisuaheli neumix, hat Michael Schirner das zentrale Element seiner Kampagne für Berlin 2000 – das stilisierte Bärengesicht – zum Hauptelement seiner Ölbilder gemacht. Die Bilder zeigen die Aura von Personen der Weltgeschichte, die sich hinter der Maske des Berlin-Bärchens verbergen. Die Bilder lassen die Portraits der Persönlichkeiten im Kopf der Betrachter entstehen, z.B.: Ohne Titel (Shakespeare), Ohne Titel (Aristoteles), Ohne Titel (Albert Einstein), Ohne Titel (Winston Churchill), Ohne Titel (Konrad Adenauer), Ohne Titel (Pablo Picasso), Ohne Titel (Michail Gorbatschow), Ohne Titel (Konfuzius), Ohne Titel (George Washington).
Mit den Bildern der Serie BYE BYE, seiner Weiterentwicklung der Pictures in our Mind, geht Schirner in der Kommunikation des Imaginären noch einen Schritt weiter: Er fotografiert Jahrhundertfotos aus Zeitungen ab, entfernt aus ihnen alles, was das ursprüngliche Bild bekannt gemacht hat: den Protagonisten, das zentrale Bildmotiv der Fotografie. Das aus dem Bild Weggenommene fordert die Gedankenarbeit des Betrachters heraus. Was auf dem Bild nicht gezeigt wird, entsteht in seinem Kopf. Schirner setzte auf Phantasie und Mitarbeit des Betrachters und mache ihn so zum eigentlichen Autor des Werkes, der in das Bild eintritt und selbst zum Protagonisten der abgebildeten Szene wird. Die Bilder der Serie BYE BYE machen uns zu Protagonisten historischer Szenen, zum spanischen Freiheitskämpfer, der im Sprung von Kugeln getroffen wird, zum ersten Menschen auf dem Mond, zu James Dean, der mit hochgeschlagenem Kragen gebückt über den regennassen Time Square geht. 2010 zeigt das Haus der Photographie der Deichtorhallen Hamburg in einer Einzelausstellung die Serie BYE BYE. Am Tag der Ausstellungseröffnung sind in der aktuellen Ausgabe der FAZ 17 redaktionelle Beiträge mit Arbeiten der Serie BYE BYE bebildert. Auf Großflächenplakaten und City Light Poster in Hamburg, Berlin, Düsseldorf und Frankfurt werben BYE BYE – Bildmotive als Street Art für die Ausstellung in den Deichtorhallen.
2019 entwickelte Michael Schirner für den Bookstore der Galerie Esther Schipper Berlin ein Billboard mit 247 DIN A3 auf Stoß gehängten Fine Art Prints von Doppelseiten seines Buchs Mich gibt es gar nicht. Albert Oehlen empfiehlt Michael Schirner, die Fine Art Prints seiner Werke zufällig wie bei Gerhard Richters Serie Colours anzuordnen. 2019 produzierte Schirner 1.024 Werke, Version I, 475 x 641 cm, Fine Art Print auf Alu-Dibond. 1.024 Werke besteht aus 256 Tafeln, die je 4 Werke zeigen. Die Tafeln können in 11 Versionen angeordnet werden, wobei jeweils alle 256 Tafeln verwendet werden. Die Versionen reichen von mehreren kleineren Rasterkombinationen in verschiedenen Größen bis hin zu einem einzigen großformatigen Werk. Die Reihenfolge der einzelnen Werke Schirners wird durch einen Zufallsgenerator ermittelt. Mit 1.024 Werke folgt Schirner dem Konzept von Gerhard Richters Serie 4.900 Farben. Für Version XII plant Michael Schirner, 1.024 Werke als Serie, in der das großformatige Bildmotiv der Version I jeweils unterschiedlich monochrom eingefärbt wird.
Seit Mitte der 70er Jahre entwickelte Michael Schirner mit seinen Kreativen in Werbeagenturen nicht nur Kampagnen mit den Methoden von Konzeptkunst, konkreter Poesie, Minimalismus und Pop Art, sondern auch Formen von Aktionskunst, Happening, Performance, womit Schirner angefangen hatte, als er Ende der 60er an der Hochschule für bildende Künste Hamburg studierte. Schirner gilt als Vorreiter moderner Plakatwerbung auf Großflächen, die er nach den Prinzipien der Reduktion und des Minimalismus als Straßenkunst gestaltete und damit die Medienkommunikation maßgeblich beeinflusste. Vielfach ausgezeichnete Exempel sind Großflächenkampagnen wie die für Pfanni mit der Abbildung des 2 Meter großen Kartoffelpuffers und ständig wechselnden Headlines wie „Das jüngste Gericht“, „12 Uhr mittags“, „Panni Pfuffer“, die Großflächenplakate für Creme 21 mit der Abbildung eines schönen Bauchs mit Cremetupfer und Headline: „Taille 59. Hüfte 88. Creme 21.“, die Kampagne zur Einführung der IBM-Schreibmaschine mit der Korrekturtaste mit weißen Plakatflächen, auf denen nur ein einziges Wort steht: schreIBMaschinen“, die Plakatkampagne zur Einführung von Polo, Scirocco, Golf und Passat, über denen groß steht: „VW, VW, VW, VW.“, die Plakate zur Einführung des 8 Minuten-Zeittaktes der Post mit der Headline: „Was man in 8 Minuten am Telefon alles sagen kann:“, darunter lange, kleigedruckte Texte, die man in 8 Minuten lesen kann z.B.: 8 Minuten Luther-Bibel, 1. Buch Moses, 8 Minuten Speisekarte des Düsseldorfer Restaurants Nippon Kan gegenüber der Agentur, 8 Minuten „Jason und Medea“ von Grillparzer, 8 Minuten „Tischlein deck Dich“ der Gebrüder Grimm, 8 Minuten Lexikon von Fuchsjagd bis Fühlung, 8 Minuten Volkslieder, 8 Minuten Witze. Die Kampagne zur Einführung des neuen Werbemediums „Superposter“, ein Musterbeispiel konzeptueller Kunst im öffentlichen Raum, wo das Medium des Mediums das Medium selbst ist und Aussagen über sich macht z.B.: „4 x 5 Meter“, „Wird nachts beleuchtet“, „Hängt quer zum Verkehr“, „Liebe Hunde, ich hänge höher, als ihr pinkeln könnt“, „GGK was here“.
Ein Beispiel partizipativer Kunst ist die „Ich trinke Jägermeister, weil …“-Kampagne, die vom Publikum gemacht wurde: Auf jedem Anzeigenmotiv wirbt ein Jägermeister-Trinker für den Schnaps. Im Laufe von 13 Jahren wurden 3.162 Unikat-Anzeigen mit Leuten, die in der Kampagne auftreten wollten, veröffentlicht. Der Erfolg der Kampagne ist auch dem Publikum, das für Jägermeister warb und sich Jägermeister-Sprüche ausdachte, zu verdanken. Ein weiteres Beispiel partizipativer Kunst ist Schirners Aktionskampagne für Photo Porst. Motto der Aktion: „Die Minute des Jahres. Oder eine Nation knipst sich selbst“. Über Anzeigen und Plakate wurden 14 Millionen Deutsche, die einen Fotoapparat besaßen, aufgefordert, an einem Tag des Jahres, dem 21.6.1980, während einer Minute dieses Tages, von 16.00 Uhr bis 16.01 Uhr, dort ein Foto zu machen, wo sie gerade waren und es mit Kommentar auf der Rückseite an Photo Porst zu schicken. Am 21.6.1980 knipste die Nation sich selbst. Der Lärm vom Klicken war ohrenbetäubend.
Mit zahlreichen Kampagnen warb Schirner für Kunstausstellungen. Dem Kurator Kasper König schlug er vor, seine Ausstellung zeitgenössischer Kunst seit 1939 in den Kölner Messehallen Westkunst zu nennen und auf Großflächenplakaten mit Zitaten der Künstler der Ausstellung zu werben z.B. „Unser Kopf ist rund, damit das Denken die Richtung wechseln kann“ Francis Picabia, „Ich denke sowieso mit dem Knie“ Joseph Beuys, „Was mich interessiert, ist Geld“ Salvador Dali. Für die Ausstellung Heaven, An Exhibition, That Will Break Your Heard 1999 in der Kunsthalle Düsseldorf entwickelte er nicht nur Werbung und Design, sondern zeigte seine Audio-Installation Salvation mit gepredigten Werbe-Slogans als Pictures in our Minds. 1992 entwickelte Michael Schirner Ausstellungskonzept, Werbung, Design und kuratierte mit Jürgen Harten die Ausstellung Art Meets Ads – Avantgarde und Kampagne in der Kunsthalle Düsseldorf mit Arbeiten von Jeff Koons, Barbara Kruger, Damian Hirst, Jenny Holzer, Richard Prince u.a. und Kampagnen von Benetton, Marlboro, Levis, Nikon u.a.
2022 schenkte Michael Schirner sein audiovisuelles Archiv dem ZKM I Zentrum für Kunst und Medien Karlsruhe. Es umfasst 4,5 Regalmeter Archivalien und 287 Videobänder mit Fernseh-, Kinofilmen und Radio-Spots, freien künstlerischen AV-Arbeiten, Kooperationen mit Künstlern und Studierenden, Dokumentationen über Aktionen, Ausstellungs- Musik- und Theaterprojekte, Performances, Lecture Performances, Interviews, Podiumsdiskussionen und Beiträge über Michael Schirner und seine Arbeit, aufgezeichnet von ARD, ZDF, RTL, dctp etc.