Portrait eines Mannes

30.01.2014

Fashion Victims

Kunstaktivismus und die Maske der Institution

VON JOHN JORDAN

„Wir werden möglicherweise noch erleben, wie sich die allgemeine Bedeutung der Kunst grundlegend verändert – sie wird vom Selbstzweck zum Mittel; sie verspricht nicht länger Perfektion in einer anderen Sphäre, sondern zeigt vielmehr eine andere Lebensweise innerhalb der hiesigen Sphäre auf.“ [1]

Zu Beginn des 21. Jahrhunderts ist es stark in Mode gekommen, an Institutionen der Gegenwartskunst Politik zu betreiben. Doch trotz der Vielzahl an Biennalen, Festivals und Ausstellungen in Museen, die mit Wörtern wie Aktivismus, Social Change, Widerstand und politisch regelrecht zugepflastert sind und öffentlichkeitswirksam werben, handelt es sich beim Großteil dieser Werke schlichtweg nur um Darstellungen von Aktivismus, um Bilder von Politik, um fiktionale Aufstände und Mikrogesten, die nur wenig Zeit auf die Entwicklung von Strategien verwandt haben, wie ein sinnvoller, gesellschaftlicher Wandel herbeizuführen wäre. In den kalten, weißen Hallen und tristen Black Boxes dieser Institutionen macht man sich nur selten die Mühe, Kunst und Kreativität zu nutzen, um effektive Formen des Widerstands zu etablieren – man betreibt jedoch sehr viel Aufwand, um Taktiken des Protests in den Bereich der Kunst zu verbannen, als handele es sich dabei um einen Zoo für exotische Arten: die „echten AktivistInnen“. In einem solchen Zeitalter der extremen ökologischen und sozialen Krisen müssen sich KünstleraktivistInnen wohl die folgenden entscheidenden Fragen stellen: Können diese Institutionen Werkzeuge sein, die unser Potenzial verstärken, eine Veränderung des Status quo herbeizuführen? Oder sind sie Paläste, die eigens dafür errichtet wurden, damit wir darin den Hofnarren geben, während die Könige und Königinnen weiter Russisch Roulette mit unserer Zukunft spielen und sich an uns bereichern?
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Im vergangenen Jahrzehnt haben Isabelle Fremeaux und ich gemeinsam das Laboratory of Insurrectionary Imagination (Labofii) [Laboratorium für aufständische Vorstellungskraft] aufgebaut, ein Kollektiv, das KünstlerInnen und AktivistInnen zusammenbringt, um neue Werkzeuge des Widerstands zu entwickeln und zum Einsatz zu bringen, während man gleichzeitig mit Formen des postkapitalistischen Lebens experimentiert. Manchmal findet diese Arbeit in Protestbewegungen eingebettet statt; so ersannen wir beispielsweise die Methodologie der Rebellenclowns und zogen durch das Vereinigte Königreich, während wir eine mehrere hundert Kopf starke Clownsarmee gegen den G8-Gipfel um uns scharten.

Zwei Polizisten stehen vor einer Gruppe Clowns
© John Jordan

Manchmal arbeiten wir auch als LehrerInnen und halten Workshops über Permakultur-Design und Kunstaktivismus für junge KünstlerInnen und AktivistInnen. Manchmal fangen wir an einem institutionalisierten Theater an und nehmen das Publikum dann mit nach draußen, damit sie zu ungehorsamen AkteurInnen/SchauspielerInnen im öffentlichen Raum werden ­– unter anderem haben wir das Publikum mit Ameisen ausgestattet, um Computer zu sabotieren und die Tiere im Eingang von Banken auszusetzen, die den Abbau fossiler Brennstoffe unterstützen, und wir haben die Bühne auf einer Horde Fahrräder verlassen, die mit mobilen Piratensender-Soundsystemen ausgerüstet waren, um Straßen in der Stadt zu besetzen.

Manchmal muss man einfach nur eine amüsante Schneeballschlacht zwischen den Leuten und den Bankern im Bankenviertel Londons organisieren. Manchmal muss man eine Rebellen-Raft-Regatta organisieren (einschließlich vergrabener Boote und Schatzkarten), um die Abschaltung eines Kohlekraftwerks von EON zu erreichen. Manchmal sind es auch langfristige und langwierige Pläne, wie etwa der Aufbau einer Kommune in der Bretagne, zu der auch ein ökologischer Bauernhof und eine Schule für Kunstaktivismus gehören.

Inspiriert von Joseph Beuys’ Idee der Sozialen Plastik sind unsere Werkstoffe die sozialen Bewegungen selbst: Bewegungen, an denen wir als OrganisatorInnen und AktivistInnen ebenso wie als KünstlerInnen mitarbeiten. Eigentlich versuchen wir, uns abseits solcher Bezeichnungen zu definieren. Die Idee des Künstlers, der Künstlerin setzt ein gewisses Kreativitätsmonopol voraus, das von einer kulturellen Elite gehalten wird, wodurch die Kreativität im alltäglichen Leben – beim Kochen, in der Landwirtschaft, bei der Erziehung von Kindern, beim Lehren etc. ­– verneint wird, wohingegen die Idee des Aktivisten, der Aktivistin die Vorstellung der Existenz eines spezialisierten Kaders von Menschen bestärkt, die für gesellschaftlichen Wandel zuständig sind, wodurch die politische Dimension des alltäglichen Lebens verneint wird.

Der Schlüssel zu den Praktiken des Labofii ist es, sich der Darstellung von Politik zu verweigern. Anstatt nur Videos, Installationen oder Performances über Politik zu machen, versuchen wir, die künstlerischen Praktiken innewohnende Kreativität zu nutzen, um effektive neue Formen des Widerstands zu entwickeln. Alle politischen Formen – angefangen beim Protestzug bis zum Streik, vom Plakat bis zum Boykott, vom Occupy-Lager bis zur Industriesabotage – sind Früchte eines kreativen Gedankens, die durch den Mut, sie direkt in der materiellen Realität des alltäglichen Lebens in die Tat umzusetzen, eine Bereicherung erfahren.

Die Philosophie der direkten Aktion ist die Wurzel unserer Arbeit. Bei direkten Aktionen geht es nicht um Verunglimpfungen; es geht nicht darum, dass wir PolitikerInnen dazu bringen wollen, etwas Bestimmtes für uns zu tun. Es geht nicht darum, ein Verständnis für Probleme zu vermitteln, weil man hofft, andere dadurch dazu zu bringen, sich zu ändern; es geht nicht darum, auf etwas aufmerksam zu machen, sondern darum, direkt etwas zu tun: das Leben hier und jetzt gemeinsam zu gestalten.

Die Kunst der direkten Aktion bietet direkte Lösungen für Probleme: Wenn man merkt, dass Menschen obdachlos sind, dann „erkundet“ man das Problem nicht. Man macht keinen Dokumentarfilm oder eine Ausstellung darüber; stattdessen eröffnet man eine Unterbringung für diese Menschen oder baut eine Gegenbewegung auf, die sich überteuerten Formen der Unterbringung widersetzt. Wenn man miterlebt, wie einer der ältesten Wälder Europas von RWE vernichtet wird, um einer Tagebaumine für Kohle Platz zu machen ­– so wie es momentan im Hambacher Forst nahe Köln geschieht –, dann besetzt man die Bäume und stellt sich mit dem eigenen Körper vor die Kettensägen und Bulldozer. Es ist eine Kunstform, für die man ebenso viel Mut wie Kreativität braucht.
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Was unsere Generation durchlebt, ist die Endschlacht zwischen der Gier des neoliberalen Kapitalismus nach unendlichem Wachstum und den begrenzten Ressourcen des Planeten – und ganz gleich, wie viel dieses System auch an den Börsen spekuliert und wie viel es in Hightech-Erfindungen investiert, dem unausweichlichen Zusammenbruch kann es nicht entgehen.

Das Labofii glaubt nicht daran, dass diese Kultur irgendwie aus freien Stücken zu einer geistig gesunden, gerechten und nachhaltigen Lebensweise finden wird. Wir glauben, dass wir diese Kultur vollständig auflösen und andere Formen des Daseins und Wege, unsere Lebenswelten zu teilen, etablieren müssen. Von unseren Machthabern wird es keine echten Lösungen für diese Krise geben, solange sie aus ihr noch Profit schlagen können. Der entflohene Sklave Frederick Douglass wusste dies nur allzu gut, als er im Zuge seines Kampfs gegen die Schrecken des Sklavenhandels erklärte: „Ohne dass man es von ihr verlangt, gibt Macht nicht das Geringste von sich auf. Das hat sie nie getan, und das wird sie auch nie tun.“

Das Ziel des Aktivismus lässt sich für uns in einem Satz zusammenfassen: Er soll den Reichen die Fähigkeit nehmen, die Armen zu berauben, und die Fähigkeit der Mächtigen verringern, unsere Biosphäre zu zerstören. Die Rolle der Kunst besteht nun darin, diesen Aktivismus so kreativ, erstrebenswert und effektiv wie möglich zu gestalten – und so den Krieg des Geldes gegen das Leben zu beenden.

In den Kriegen des letzten Jahrhunderts starben 100 Millionen Menschen, und weitere 100 Millionen werden vermutlich im Lauf der nächsten achtzehn Jahre durch das Klimachaos sterben – und hierbei handelt es sich mehrheitlich um solche Menschen, die in ihrem Leben nur sehr wenig CO2 produzieren. Die Klimakatastrophe ist nicht nur ein Krieg gegen die Biosphäre; es ist ein Krieg gegen die Armen, und viele der sogenannten „Lösungen“ – wie zum Beispiel der „grüne Kapitalismus“ und die Atomkraft – sind nichts als vergiftete Illusionen, die den Krieg unter einem anderen Namen fortführen. Es ist ein Krieg, dem keiner von uns entkommen kann und dessen Waffen überall sind, selbst hier auf der global aCtIVISm-Ausstellung, doch dazu später mehr.

Wo sich die Kunst der Darstellungen von Politik leicht von kulturellen Institutionen vereinnahmen lässt, ist die Kunst der direkten Aktion wesentlich schwerer zu verdauen, wie wir dank des Labofii selbst erfahren durften.
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2010 wurden wir eingeladen, einen zweitägigen, öffentlichen Workshop über Kunst und Aktivismus im Londoner Museum für zeitgenössische Kunst, der Tate Gallery of Modern Art, abzuhalten. Wir nannten ihn: „Disobedience makes history“ [Ungehorsam schreibt Geschichte]. Die Kuratoren wollten, dass der Workshop mit einer öffentlichen „Performance-Intervention“ endet. Sie waren stolz, den Workshop abzuhalten, und sie präsentierten ihn auf der Hauptwebseite der Tate. Eine Woche vor dem Workshop erhielten wir dann eine E-Mail: „Letzten Endes muss aber darauf hingewiesen werden, dass wir nicht als Gastgeber für einen Aktivismus dienen können, der sich gegen die Tate und ihre Sponsoren richtet.“ Woran der Kurator noch anfügte: „Debatten und Reflektionen über die Beziehung zwischen Kunst und Aktivismus sind uns jedoch natürlich sehr willkommen.“ Einer der Sponsoren der Tate ist der Ölriese BP. Uns wurde klar, dass man uns das beste Lehrmaterial an die Hand gegeben hatte, das man sich nur hätte wünschen können.

Jeden Tag wäscht die Tate das öffentliche Image von BP mit der Bleiche der coolen, progressiven Kultur rein. Doch es ist nichts Innovatives oder Modernes an einem Konzern, der sich trotz der Klimakrise wissentlich auf fossile Brennstoffe stürzt; an einem Konzern, dessen Gier in gerade einmal einem Jahr einundzwanzig Mitarbeiter das Leben gekostet hat; an einem Konzern, der nach wie vor in krebserregende Klimaverbrechen wie Teersande im kanadischen Alberta investiert.

Indem man die Worte „BP“ und „Kunst“ zusammenbringt, wird das zerstörerische und überholte Wesen der fossilen Brennstoffindustrie überdeckt und Verbrechen gegen die Zukunft ein makelloser, schmutzabweisender Anstrich verliehen.

Jedes Mal, wenn wir die Tate Gallery betreten, werden wir zu Komplizen dieser Taten – Taten, die uns eines Tages als ebenso archaisch erscheinen werden wie der Sklavenhandel und als ebenso anachronistisch wie öffentliche Hinrichtungen. Jedes Mal, wenn Nicholas Serota gefragt wird, weshalb ein Museum, das stolz darauf ist, sich dem Klimawandel entgegenzustellen, von einem Ölkonzern mitfinanziert wird, antwortet er, es gäbe keine Pläne, sich nicht mehr von BP sponsern zu lassen. Das hat aber natürlich rein gar nichts damit zu tun, dass der Vorsitzende des Verwaltungsrats der Tate der ehemalige CEO von BP ist!
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Der Workshop begann an einem kalten Wintertag, in einem dieser mit nacktem Glas und Holz getäfelten Räume oben im Museum. Wir projizierten die E-Mail des Kurators an die Wand und fragten die TeilnehmerInnen des Workshops, ob wir uns an die Anordnungen der Tate halten oder uns ihnen widersetzen sollten. Die Kuratoren versuchten, unsere wunderbar erhitzte Diskussion zu sabotieren. Es war eine tolle Show – und noch bessere Pädagogik.

Nach einer mehrstündigen Debatte entschieden sich die TeilnehmerInnen zum Widerstand; das weitere Vorgehen sollte beim nächsten Workshoptermin geplant werden. Am Vorabend des folgenden Workshoptermins wurde ich zu einem Treffen mit drei Kuratoren sowie den Leitern der Sicherheit und der Stadtwerke gerufen. Dort sagte man mir, dass man den Workshop abbrechen würde, falls wir irgendetwas gegen BP unternähmen. „Sie zensieren uns also?“, fragte ich. „Das ist ein sehr emotionsgeladenes Wort“, sagte man mir, „und wir respektieren natürlich den intellektuellen Inhalt ihres Werks.” Das Treffen dauerte etwas länger als zwei Stunden. Ich verließ es und war noch entschlossener als zuvor, Widerstand zu leisten.

In diesem Moment realisierte ich, dass das Labofii nie wieder an die Tate eingeladen werden würde. Doch wenn man Kunst schaffen möchte, die dem Leben dient, muss man sich von all den Verheißungen von Ruhm und Reichtum lösen, mit denen uns diese Institutionen ködern. Die indigenen Zapatista-Rebellen sagen dazu: „Wir sind schon tot, also kann man uns nicht mehr töten.“ Es gab nichts, was das Labofii noch von der Tate hätte wollen können, und die Freiheit, nicht mehr von dieser Institution abhängig zu sein, war berauschend. Damit hatten wir wirklich all unsere kulturellen Hoffnungen fahren lassen und fühlten uns tatsächlich befreit.

Am nächsten Tag setzten die Teilnehmerinnen eine einfache Aktion gegen BP als Sponsor des Museums um und bauten im Anschluss ein Kollektiv namens Liberate Tate [Befreit die Tate] auf, das auch heute noch daran arbeitet, die Tate Gallery von den Ölbaronen zu befreien. Ein paar Monate nach seiner Gründung sorgte es weltweit für Schlagzeilen, als es Hunderte Liter schwarze Melasse im und um die Tate verschüttete, während man dort das zwanzigjährige Sponsorentum von BP feierte und im Golf von Mexiko das Öl ausströmte.

Zwei Menschen schüttem auf der Straße Öl aus
Licence to spill, Performance, „Ölpest“ auf der Sommer-Party der Tate anlässlich der zwanzigjährigen Unterstützung durch BP, Juni 2010, Videostill
© You and I Films

Seit damals wurden mehr als ein Dutzend Aktionen durchgeführt, darunter ein nackter, ölverschmierter Körper auf dem Boden des Museums, ein 16,5 m langes Turbinen-Schaufelblatt, das hundert Leute trugen und der Tate als Geschenk des Landes überreichten, und eine alternative Audioguide-Führung.

Blick von oben in einen Ausstellungsraum der Tate Modern
The Gift, Performance, Video von Felix Goncalez und Stephanie Thieullent (Linkup Films), Videostill
© Linkup Films

Diese Aktionen zogen die Aufmerksamkeit der Medien auf sich, angefangen beim Titelblatt der Financial Times zu Artikeln in der Kunstpresse, von den Fernsehnachrichten der BBC bis zu Sendungen im Lokalradio. Es wurde eine öffentliche Debatte über die Ethik von Konzernsponsoren im Kunstbereich angestoßen, und das alles nur, weil die Tate einen plumpen Zensurversuch unternommen hatte!

Zwei Menschen schütten Öl über einen am Boden liegenden Menschen
Human Cost, Tate Britain Performance – Erster Jahrestag der Katastrophe im Golf von Mexico, 20. April 2011, Performance, 87 min, Kohle und Sonnenblumenöl, Videostill
© You and I Films

Das Argument lautet immer: „Wir nehmen nur das Geld solcher Sponsoren, die keinen Einfluss auf unser Programm haben, und wir können als Kuratoren frei agieren.“ Natürlich gab es keine direkte Anweisung von BP, den „Disobedience Makes History“-Workshop zu verhindern; es war eher ein Fall von vorauseilender Selbstzensur. Der Schutzmann in unseren Köpfen ist wesentlich mächtiger als jeder Befehl von oben.

Ein mit Öl übergoßener Mensch liegt auf dem Boden
Human Cost, Tate Britain Performance – Erster Jahrestag der Katastrophe im Golf von Mexico, 20. April 2011, Performance, 87 min, Kohle und Sonnenblumenöl, Videostill
© You and I Films

Ehe wir uns heute an eine Institution einladen lassen, werfen wir einen Blick auf deren Konzernpartner und treffen eine strategische Entscheidung darüber, ob wir die Einladung annehmen wollen oder nicht. Ich muss gestehen, dass ich total vergessen hatte, mir die Sponsoren des ZKM anzuschauen, als ich einwilligte, diesen Blogeintrag zu verfassen und für eine Diskussion nach Karlsruhe zu kommen. Erst in einer finsteren Nacht, als ich mit dem Schreiben dieses Eintrags begann, während draußen Stürme wüteten und Fluten Europa heimsuchten, dachte ich daran, mir die Liste einmal näher anzusehen. Und auf der ersten Seite der ZKM-Webseite prangte inmitten all der schön klingenden Worte und Phrasen wie „Global Activism“, „soziopolitische Bedeutung des zivilen Engagements im 21. Jahrhundert“ und „Zukunft der Aktivistenkünstler als Bürger“ ein Logo: EnBW.

Ich begann mich zu fragen, warum EnBW darauf aus sein könnte, sein Image mit der coolen Maske der „radikalen“ zeitgenössischen Kultur aufzupolieren. Vielleicht liegt es daran, dass sie immer noch ein halbes Dutzend Kohlekraftwerke betreiben, die nicht nur direkt für den Klimaholocaust mitverantwortlich sind, welcher unsere Welt in einen Ort mit wahrhaft höllischen Temperaturen verwandelt, sondern auch noch einen konstanten Strom an Quecksilber, Stickstoffoxid, Schwefeldioxid und einer Reihe anderer Giften freisetzen, die unser Körper aufnimmt und die unseren lebenswichtigen Organen schweren Schaden zufügen. Vielleicht liegt es aber auch an den drei Atomkraftwerken, deren Sicherheit nach der Katastrophe von Fukushima, wo auch drei Jahre nach der Kernschmelze noch krebserregende Strahlung ins Meer und ins Erdreich abgegeben wird, sehr viel fragwürdiger ist. Vielleicht liegt es auch daran, dass man gegen EnBW ermittelt, weil Morgan Stanley und die ehemaligen französischen Eigner durch ihre Geschäfte dem Land Baden-Württemberg geschadet haben könnten, als sie einen Preis von 780 Millionen Euro für ihre Anteile an dem Unternehmen verlangten. Vielleicht liegt es auch an den 280 Millionen Euro Bestechungsgeld, die an Andrej Bykow gezahlt wurden, der wiederum russische Behörden und Firmen bestach, damit diese EnBW Zugang zur russischen Gas- und Uranindustrie gewährten.

Es ist nicht überraschend, dass eine kulturelle Institution einem Unternehmen soziale Anerkennung und den Anstrich von Fortschrittlichkeit verleiht, auch wenn die toxischen Aktivitäten dieses Unternehmens nichts mit einer nachhaltigen und gerechten Zukunft zu tun haben – geschweige denn mit irgendeiner Form des Aktivismus. Vielleicht sollte man es eher so betrachten: Diese Firmen unterstützen nicht die Kunst, sondern die Kunst unterstützt die Lüge, dass diese Firmen sich um irgendetwas anders scheren würden als um ihren Profit, selbst wenn sie mit dieser Einstellung die Lebenserhaltungssysteme dieses Planeten zerstören. Diese Art von Sponsorentum ist eine Form der Narkose – etwas, das uns betäubt und uns von der Erkenntnis abhält, dass die Wurzel unserer vergifteten, kapitalistischen Kultur genau das Gegenteil eines jeden ästhetischen Wirkens ist; eines Wirkens, das es uns erlaubt, die Welt überhaupt erst zu spüren und sie tief in unseren Eingeweiden zu erfühlen.

Unter Umständen besteht die Rolle der KunstaktivistInnen heutzutage nicht mehr darin, unser kulturelles Kapital zu mehren, indem wir solche Institutionen unterstützen, und auch nicht mehr darin, mit diesen überholten und schädlichen Formen der Kultur zusammenzuarbeiten. Vielleicht liegt sie vielmehr darin, das Wirken dieser Institutionen zu sabotieren, um ihre magische Reinigungsmaschinerie als das zu enthüllen, was sie in Wahrheit ist, und um es so zu ermöglichen, Gegeninstitutionen der Solidarität mit den menschlichen und nicht-menschlichen Opfern der Kultur des industriellen Kapitalismus aufzubauen. Es ist an der Zeit, die Kunst wieder in den Dienst des Lebens und nicht den des Todes zu stellen.

Natürlich könnte auch dieser Blogeintrag vom ZKM zensiert und diese Worte nie gelesen werden (falls dieser Fall eintritt, wird man sie allerdings auf einem anderen Blog wie zum Beispiel http://art-leaks.org/ lesen können). Doch vielleicht sind diese Worte auch bereits Teil der Maschinerie geworden, sobald sie gelesen werden – zu schwach, um noch irgendeine Wirkung zu zeigen, und nur allzu leicht verdaulich. Womöglich aber werden sie uns wenigstens daran erinnern, dass wir aufhören müssen, so zu tun, als würden wir Politik machen, und dass Worte allein niemals ausreichen werden.

Weitere Informationen unter: www.global-activism.de

Über den Autor In John Jordans Wirken verschmilzt die Imaginationskraft der Kunst mit dem radikalen Engagement des Aktivismus, um anstelle von reinen Darstellungen des Politischen neue Formen des Widerstands zu erschaffen. Während die französische Zeitung Libération ihn als „einen Magier der Rebellion“ bezeichnete, ordnet ihn die britische Regierung als „innerstaatlichen Extremisten“ ein. Ihm persönlich gefällt am besten die Wortwahl Scotland Yards, als die Polizei eine Kunstmanagerin zur Absage einer beim Laboratory of Insurrectionary Imagination (Labofii) [Laboratorium für aufständische Vorstellungskraft] gebuchten Aufführung zu bewegen versuchte, jenem Kollektiv, in dem er inzwischen gemeinsam mit Isabelle Fremeaux arbeitet: „Das ist keine gewöhnliche Wandertruppe.“ Das Labofii ist für die Organisation einer Rebellen-Raft-Regatta zur Abschaltung eines Kohlekraftwerks, für die Verwandlung von Fahrrädern in Maschinen des zivilen Ungehorsams während der UN- Klimakonferenz in Kopenhagen und als Zensuropfer seitens der von BP gesponserten Tate-Gallery berühmt-berüchtigt. Derzeit baut das Labofii in der Bretagne eine Kommune, einen Bauernhof sowie eine Schule für kreativen Widerstand auf.

Als Kodirektor der Social-Art-Gruppe Platform [Plattform] (1987–1995) wurde er zum Mitbegründer von „Reclaim the Streets“ [Holt euch die Straßen zurück] (1995–2000). Nach einer Zeit als hauptamtlicher Dozent für Kunst an der Sheffield Hallam University (1994–2003) verließ er den Hochschulbereich, um mit Naomi Klein an dem Film The Take [Die Übernahme] zu arbeiten. 2004 war er eines der Gründungsmitglieder der Clandestine Insurgent Rebel Clown Army [Geheimarmee der aufständischen Rebellenclowns], die sich zu einem globalen Protest-Mem entwickelte – eine Truppe, von der er sich jedoch schon bald wieder unerlaubt entfernte.
Er ist Koautor von We Are Everywhere: the irresistible rise of global anticapitalism [Wir sind überall: Der unaufhaltsame Aufstieg des globalen Antikapitalismus] (2003, Verso), A Users Guide to Demanding the Impossible [Ein Benutzerhandbuch zum Einfordern des Unmöglichen] (2010, Autonomedia) sowie dem Filmbuch Les Sentiers de l’Utopie [Die Wege der Utopie] (2011, La Découverte).

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Anmerkungen Übersetzung aus dem Englischen von Christiansen & Plischke

[1] Alan Kaprow, Essays on the Blurring of Art and Life, herausgegeben von Jeff Kelley, University of California Press, Berkeley und Los Angeles, 2003, S. 218, übersetzt aus dem Englischen von Christiansen & Plischke.

Kategorie: Gesellschaft