100 Jahre Hallenbau
Das ZKM ist seit 1997 in einem ehemaligen, denkmalgeschützten Industriebau untergebracht. Baubeginn war 1915, also genau vor 100 Jahren.
VON CHRISTIANE RIEDEL
Dieses Datum nimmt das ZKM in seinem aktuellen Programm der GLOBALE zum Anlass, um sowohl die herausragende architektonische Qualität des monumentalen Baus zu würdigen, als auch der leidvollen Geschichte der ehemaligen Munitionsfabrik zu gedenken.
Architekturgeschichte
Der sogenannte »Hallenbau A« war zu seiner Entstehungszeit (1915–1918) einer der größten und architektonisch fortschrittlichsten Industriebauten Deutschlands. Auftraggeber war die Deutsche Waffen- und Munitionsfabriken AG (DWM). Als Architekt wurde Philipp Jakob Manz (1861–1936) beauftragt, der zu Beginn des 20. Jahrhunderts eines der größten deutschen Architekturbüros für Industriebauten in Stuttgart und Wien unterhielt.
Der denkmalgeschützte Produktionsbau der Rüstungsfabrik, in dem bis zu 4.500 Arbeiter tätig waren, ist das letzte Relikt einer Werksanlage, die einstmals die Größe eines Stadtviertels umfasste und die, wenn auch am Stadtrand gelegen, eine ähnlich städtebaulich prägende Funktion hatte wie die barocke Schlossanlage Karlsruhe.
Der viergeschossige Bau mit den gewaltigen Abmessungen von 312 m Länge, 54 m Breite sowie insgesamt 16.500 qm Grundfläche wurde als Stahlbetonskelettbau nach dem Konstruktionssystem des französischen Ingenieurs François Hénnebique erbaut. Die durchgehend offene, auf einem weiten Pfeilerraster ruhende Struktur ist in zehn Lichthöfe gegliedert, die Fassade wird durch große Fensterflächen strukturiert.
Nach der Nutzung als Munitionsfabrik bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs ging die Werksanlage in die zivile Nutzung durch die Industriewerke Karlsruhe-Augsburg (IWKA) über. Nach Aufgabe des Produktionsstandorts [in den 1970er-Jahren] blieb das Werksgelände als Industriebrache liegen. Erst über 20 Jahre später wurde entschieden, das Industriegebäude – das trotz des Denkmalschutzes vom Abriss bedroht war – einer neuen Nutzung zuzuführen.
Funktionell sowie ästhetisch
Nachdem bereits Künstlergruppen durch Besetzung von Räumen des Gebäudes in den Jahren 1981 bis 1989 auf eine mögliche kulturelle Nutzung hingewiesen hatten, beschloss der Gemeinderat Karlsruhe, den Hallenbau A zum Standort des neugegründeten ZKM | Zentrum für Kunst Medientechnologie und der ebenso neugegründeten Hochschule für Gestaltung (HfG) sowie der Städtischen Galerie Karlsruhe umzuwidmen. Das Architekturbüro Schweger + Partner konzipierte und verwirklichte den funktionell wie ästhetisch anspruchsvollen Umbau. 1993 erfolgte der symbolische Spatenstich, 1995 das Richtfest, 1997 zog das ZKM in den »Hallenbau A« ein.
Architektur und GLOBALE
Im 100. Jahr des Hallenbaus lässt das ZKM die herausragende Qualität der Industriearchitektur besonders eindrucksvoll zur Wirkung kommen. Zum Start des GLOBALE-Programms wurde in den Ausstellungsräumen auf museale Einbauten wie etwa White Cubes und Stellwände verzichtet, um die offene Weite des puristischen Stahlbetonskelettbaus in seiner Reinheit sichtbar zu machen.
In den leeren, komplett verdunkelten Lichthöfen 1 und 2 werden vom 21. Juni bis 9. August 2015 in der Ausstellung »micro | macro« drei riesige Installationen des japanischen Künstlers Ryokij Ikeda gezeigt. Seine audiovisuellen Werke basieren auf dem digitalen Datenrauschen, das uns im 21. Jahrhundert umgibt. Sie machen erlebbar, wie die Gleichung »Machinery, Material, and Men«, die der berühmte Architekte Frank Lloyd Wright für das 20. Jahrhundert aufstellte, im 21. Jahrhundert mit der Gleichung »Media, Data, and Men« fortgeschrieben wird: Die Industriehalle wird zum Datenraum.
Die Lichthöfe 8 und 9, deren Fensterfronten nach Jahrzehnten erstmals wieder freigelegt wurden, sind nun vom Tageslicht hell durchflutet. Die Außenhaut des Gebäudes scheint sich aufzulösen, die Leichtigkeit der Architektur tritt offen zutage. Von 20. Juni bis 27. September 2015 schwebt in den leeren Räumen allein eine große Wolke, die von Lichthof zu Lichthof zieht. Das Werk mit dem Titel »Cloudscapes« wurde von Transolar + Tetsuo Kondo speziell für die Dimensionen des Hallenbaus entwickelt.
Munitionsfabrik und GLOBALE
Das ZKM nimmt aber auch Bezug auf die Geschichte des Hallenbaus als Waffen- und Munitionsfabrik und auf das Leid der Zwangsarbeiter, die während des Dritten Reichs in der Munitionsproduktion unter menschenunwürdigen Bedingungen Dienst tun mussten. Eine Gedenktafel am Haupteingang des ZKM erinnert an diese unselige Zeit während des Zweiten Weltkriegs. Aufgrund dieser Historie hat das ZKM eine besondere Verantwortung und die Verpflichtung, den unumstößlichen Wert der Grund- und Menschenrechte zu thematisieren.
Auch deshalb beginnt die GLOBALE an diesem Ort der Menschenverachtung und der Produktion von Massenvernichtungswaffen am 19. Juni 2015 mit einem Prolog: dem »Tribunal«, einem Prozess gegen die Verfehlungen des 20. Jahrhunderts und seine Verbrechen gegen Mensch, Tier und Natur. Damit soll auch der Opfer der Menschenverachtung des 20. Jahrhunderts im Gebäude des ZKM gedacht werden.
Im Bewusstsein der Geschichte des Hallenbaus würdigt das ZKM auch die KünstlerInnen, die das geschichtsbeladenen Gebäude, das zwei Jahrzehnte als Industrieruine ungenutzt brach lag, durch ihre künstlerischen Arbeiten und Aktionen für die Kultur erschlossen haben. Ohne sie hätte die Transformation von einem Ort der Schrecken des 20. Jahrhunderts zu einem Ort der Freiheit und der Kunst, von einer Munitionsfabrik in eine Kulturfabrik, nicht stattfinden können. Als Zentrum für Kunst und Medientechnologien ist auch das ZKM der Technologie verpflichtet, aber nicht einer Technologie der Zerstörung, sondern einer der Zukunftsforschung und individuellen Freiheit.
Über die Autorin
Christiane Riedel ist gebürtige Karlsruherin und studierte Kunstgeschichte, Architekturgeschichte und Literaturwissenschaften. Seit 2002 ist sie Geschäftsführerin des ZKM | Zentrum für Kunst und Medien.
Bibliografie
Rolf Funck, Michael Heck, Peter Weibel (Hg.), »Das ZKM Karlsruhe. Die Anfänge der Zukunft«, Wilhelm Fink Verlag, 2014.
M.I.R. – Mobile Interface Radio (Staatliche Hochschule für Gestaltung Karlsruhe), »Hallenbau A«, Hörspiel, 2010. http://hallenbau-a.com/
Jörg Reimann, »99,9 % und mehr. Künstler-Gruppenprojekte ‚vor’ dem ZKM«, hgg. von Peter Weibel, ZKM | Zentrum für Kunst und Medientechnologie, Karlsruhe, 2009.
Kerstin Renz, »Philipp Jakob Manz (1861-1936) Industriearchitekt und Unternehmer«, Dissertation, Universität Stuttgart, Stuttgart, 2003. http://elib.uni-stuttgart.de/opus/volltexte/2003/1464/
Gerhard Kabierske, „Von der Waffenschmiede zum Kunstzentrum. Die Geschichte des Hallenbaus der ehemaligen Deutschen Waffen- und Munitionsfabriken in Karlsruhe“, in: »Badische Heimat«, Nr. 4, 2001, S. 678–688.
Axel Menges (Hg.) »Architekten Schweger + Partner - Zentrum für Kunst und Medientechnologie Karlsruhe«, Edition Axel Menges, Stuttgart, 1999.
Sebastian Drost, »Patronenwald«, Film, 75 Min., Staatliche Hochschule für Gestaltung Karlsruhe, 1998.
Sebastian Drost, »Patronenwald. Dokumente zur Zwangsarbeit im ‚Dritten Reich’«, Schriftenreihe der Staatlichen Hochschule für Gestaltung Band 9, hgg. von Heinrich Klotz, Cantz, Stuttgart, 1998.
Schweger + Partner (Hg.) »Ein Lesebuch zur Architektur von Schweger und Partner«, Gebrüder Mann Verlag, Berlin 1998.
Hermann Winkler, Karlsruhes neues Kulturzentrum, Bd. I: »Kunstfabrik im Hallenbau A. Zentrum für Kunst und Medientechnologie, Städtische Galerie, Museum für Neue Kunst, Hochschule für Gestaltung«, G. Braun, Karlsruhe, 1997.
Josef Werner, Karlsruhes neues Kulturzentrum, Bd. II: »Jenseits der Brauerstraße. Der Hallenbau A krönt eine neue Stadtlandschaf«t, G. Braun, Karlsruhe, 1997.
Manfred Koch, „Rüstungsproduktion zwischen Krieg und Frieden“, in: »Jenseits der Brauerstraße. Der Hallenbau A krönt eine neue Stadtlandschaft«, G. Braun, Karlsruhe, 1997, S. 25-41.
Gerhard Kabierske, „Der Hallenbau A als Teil der Deutschen Waffen- und Munitionsfabriken“, in: »Das Zentrum für Kunst und Medientechnologie und die Städtische Galerie im IWKA Hallenbau«, hgg. von der Stadt Karlsruhe, Zentrum für Kunst und Medientechnologie, Karlsruhe, 1993.
»Das Zentrum für Kunst und Medientechnologie und die Städtische Galerie Karlsruhe im IWKA-Hallenbau«, hgg. von der Stadt Karlsruhe, Zentrum für Kunst und Medientechnologie, Karlsruhe, 1993.
Kunstraum IWKA, »Projektgruppe 99,9999999999999 Prozent aus leerem Raum«, Kunstraum IWKA, Karlsruhe, 1992.
Rainer Beck, Wolfgang Hartmann u.a. (Hg.), »Industriearchitektur in Karlsruhe: Beiträge zur Industrie- und Baugeschichte der ehemaligen badischen Haupt- und Residenzstadt bis zum Ausbruch des Ersten Weltkrieges«, Veröffentlichungen des Karlsruher Stadtarchivs, Bd. 6, Karlsruhe: G. Braun, 1987.
Andrea Gnam, „Block A der IWKA - Industriewerke Karlsruhe-Augsburg“, in: Rainer Beck, Wolfgang Hartmann u.a. (Hg.), »Industriearchitektur in Karlsruhe: Beiträge zur Industrie- und Baugeschichte der ehemaligen badischen Haupt- und Residenzstadt bis zum Ausbruch des Ersten Weltkrieges«, Veröffentlichungen des Karlsruher Stadtarchivs, Bd. 6, Karlsruhe: G. Braun, 1987.
„Philipp Jakob Manz“, in: »Wikipedia«, https://de.wikipedia.org/wiki/Philipp_Jakob_Manz, letzte Änderung, 20. Dezember 2014, abgerufen am 17. Juni 15.
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