Meredith Monk | »Femmes4Music«
Porträt von Meredith Monk
ein Digitalfeature
So, 20.11.2022 19:00 Uhr CET, Konzert
Online

Als Pionierin der erweiterten Gesangstechnik und der interdisziplinären Performancekunst gehört Meredith Monk zu den weltweit einflussreichsten und bedeutendsten Künstler:innen der Gegenwart. Die Musikerin, die sich selbst als Komponistin und Sängerin versteht, hat in ihrer mittlerweile 60-jährigen Karriere ein einzigartiges Werk geschaffen, das als Gesamtkunstwerk zu verstehen ist.

Playlist »Femmes4Music« – Meredith Monk

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Auf die Frage nach der Beschreibung ihres künstlerischen Schaffensprozesses antwortet die US-amerikanische Sängerin, Komponistin, Tänzerin, Performerin, Choreografin und Filmemacherin Meredith Monk (* 20. November 1942, New York): „Ich arbeite zwischen den Brüchen, an denen die Stimme zu tanzen beginnt, an denen der Körper zu singen beginnt, wo das Theater zum Kino wird.“ Als inter- und multidisziplinär arbeitende Künstlerin, die sich Zeit ihres Wirkens ganz bewusst über die in den Akademien artifiziell gesteckten Grenzen zwischen den einzelnen Kunstformen hinwegsetzt, sind es genau diese Bruchstellen, aus denen Monk Inspiration zieht. Obwohl sie die eigene, drei Oktaven umfassende Stimme als ihr Hauptinstrument und -ausdrucksmittel einsetzt, bewegt sich die Magierin der Stimme in ihren Arbeiten stets zwischen Musik und Bewegung, Licht und Klang, Bild und Objekt.

Monk wächst in vierter Generation innerhalb einer Familie auf, in der das Singen eine Tradition bildet – ihre Mutter undihr Großvater haben eine klassische Gesangsausbildung, der Urgroßvater ist Kantor. Von Kindesalter an erhält sie Gesangsunterricht und erlernt zusätzlich das Klavierspiel. Da Monk an Strabismus (Schielen aufgrund einer Augengleichgewichtsstörung) und damit zusammenhängenden Bewegungseinschränkungen leidet, absolviert sie einen auf den Schweizer Komponisten Émile Jaques-Dalcroze zurückgehenden Kurs in rhythmisch-musikalischer Erziehung (Dalcroze-Eurhythmics). Dadurch lernt sie auf spielerische Art und Weise ihre Körperbewegungen durch Musik zu kontrollieren. Diese den ganzen Körper miteinbeziehende Kombination von Klang, Raum und Bewegung ebnet ihr den Weg für ihre gesamte zukünftige künstlerische Entwicklung.

Sie studiert Gesang, Komposition, Tanz und Theater am Sarah Lawrence College, das zu den führenden Liberal-Arts-Colleges zählt. Nach erfolgreichem Abschluss im Jahr 1964 kehrt Monk zurück nach New York und taucht tief in die pulsierende innerstädtische Kunstszene ein, in der, durch das experimentelle Aufbrechen traditioneller Konventionen, eine höchst kreative Attitüde des »alles ist möglich« herrscht. Dort lernt sie die ortsansässige Fluxus-Bewegung um Dick Higgins und Jackson Mac Low sowie die in Greenwich Village befindliche Judson Dance Church kennen, in der Tänzer:innen, bildende Künstler:innen sowie Komponist:innen avantgardistische Performances geben, an denen sie selbst auch mehrfach teilnimmt. 

»Femmes4Music« – Komponistinnen im Fokus

Wie in der Videokunst sind Frauen auch in der Musik bei Weitem noch nicht ausreichend sichtbar. Dabei hat gerade die Klangkunst, deren Grenze zu Performance und Konzeptkunst fließend ist, viele herausragende Künstlerinnen hervorgebracht. Mit »Femmes4Music« stellt das ZKM die Komponistinnen vor, die zwischen den 1940er- und 1960er-Jahren geboren wurden und deren Werke international großes Renommee erfahren haben. 

Online im Livestream
Sonntags am 20.11. // 27.11 // 4.12 // 11.12. 2022 ab 19.00 Uhr

1966 veröffentlicht Monk ihre Solo Performance »16 Millimeter Earrings« für Stimme, Gitarre und Tonband. Diese multimediale Arbeit vereint erstmals Vokal- und Instrumentalmusik, aufgenommene Klänge, Licht, Bewegung, Text sowie Film als Verschmelzung verschiedener Wahrnehmungsmodi in einem Werk und verschafft ihr einen frühen Durchbruch. 

Zu dieser Zeit beginnt sie ihre eigene Stimme virtuos als Instrument zu entdecken und erforscht nach und nach durch das Experimentieren mit Atem, Zwerchfell und vokalen Lautgesten wie Flüstern, Schluchzen, Trillern und mikrotonalem Flackern, Obertönen, Summen, Krächzen, Keuchen, Lachen, Stöhnen sowie Kehlkopflauten (Obertongesang) das volle und für Monk universale Spektrum der menschlichen Stimme, in der sie den Ursprung der Musik sieht. Monk entscheidet sich in den meisten ihrer Kompositionen bewusst gegen die Verwendung konkreter Sprache und wählt stattdessen dieses abstrakte stimmliche Ausdrucksmittel, um dem Publikum einen direkten, phänomenologisch geprägten Zugang zu ihrer Musik zu geben, der nicht durch den limitierenden Filter der Sprache gefärbt ist. 

Dadurch entwickelt sie eine idiosynkratische, stark rhythmusbetonte, von Variationen lebende Gesangspraxis, die erst später unter dem Schlagwort »erweiterte Stimmtechnik« (extended vocal technique) in die Musikgeschichte eingeht. In der Folge komponiert sie eine ganze Reihe von Solostücken für unbegleitete Stimme sowie für Stimme und Tasteninstrumente, wobei jedoch meistens elektronische Orgeln zum Tragen kommen. 

1968 gründet Meredith Monk die Nonprofit-Organisation The House mit der Zielsetzung, interdisziplinäre Herangehensweisen an Performancekunst zu unterstützen. Obgleich visionäre Frauen in der zutiefst männlich dominierten Kunstwelt der ausgehenden 1960er Jahre als eine Art Bedrohung wahrgenommen werden, setzt sie sich mit beharrlicher Disziplin bei der Umsetzung ihrer künstlerischen Ideen stets durch und macht sich schnell einen Namen. 1969 realisiert sie als erste Künstlerin überhaupt eine Arbeit im Rundbau des Solomon R. Guggenheim Museums und führt dort ihr im gleichen Jahr verfasstes Werk »Juice: A Theater Cantata« für 85 Stimmen, Maultrommel und 2 Violinen auf. Im Verlauf der kommenden Jahre arbeitet sie sowohl ihre Gesangstechnik als auch ihre kompositorischen Fähigkeiten weiter aus. In dieser Phase werden ihre Werke zunehmend komplexer. 

»Quarry: An Opera« für 38 Stimmen, Harmonium, 2 Sopran-Blockflöten und Tonband (1976) steht exemplarisch für diese Entwicklung, die 1978 in der Gründung ihres Vokalensembles Meredith Monk & Vocal Ensemble mündet. Durch die Arbeit mit dem Vocal Ensemble erweitert sie ihr kompositorisches Handwerkszeug in Bezug auf musikalische Strukturen und Formen. Weitere wichtige große Ensemblearbeiten Monks sind »Vessel: An Opera Epic« für 75 Stimmen, elektronische Orgel, Dulcimer und Akkordeon (1971) sowie das fast durchgehend nonverbale Werk »Atlas: An Opera in Three Parts« für 18 Stimmen, 2 Tasteninstrumente, Klarinette, Bassklarinette, Sheng, Bambussaxophon, 2 Violinen, Viola, 2 Cellos, Horn, Schlagwerk und Schalmei (1991).

In den 1980er Jahren dreht Meredith Monk die Filme »Ellis Island« (1981) und »Book of Days« (1989). Im Verlauf ihrer Karriere verfasst sie ein reichhaltiges Repertoire an Instrumental-, Vokal-, und Ensemblewerken. Beginnend mit dem Album »Key« (1971) veröffentlicht sie bis heute zudem eine ganze Reihe international hochgelobter Studioalben, die meisten davon über das Münchner Label ECM in Zusammenarbeit mit dem Musikproduzenten und Label-Inhaber Manfred Eicher. Für das von der jahrtausendealten französischen Megalith-Anlage »La Roche-aux-Fées« inspirierte ECM-Debüt »Dolmen Music« (1981) erhält sie unter anderem den Preis der deutschen Schallplattenkritik, der von Musikkritiker:innen vergeben wird, die von der der Tonträgerindustrie unabhängig sind.

Viele Werke aus den 70ern und frühen 80ern besitzen einen stark politischen Unterton, da Monk sich in dieser Zeit viel mit dem Dasein in der amerikanischen Gesellschaft auseinandersetzt. Zu diesen Arbeiten gehören etwa die Reflexion über den Faschismus des zweiten Weltkriegs »Quarry« oder die Science-Fiction Oper »The Games« für 16 Stimmen, Dudelsäcke, flämische Dudelsäcke, Rauschpfeife, chinesische Schalmei und Synthesizer (1983). Beide Werke realisiert sie mit ihrem langjährigen Kollaborateur, dem Theaterregisseur, Video- und Installationskünstler Ping Chong.

»The Games« markiert zugleich einen Wendepunkt hinsichtlich der künstlerisch transportierten Inhalte, da sie sich ab 1985 dem Buddhismus zuwendet. Diesen praktiziert sie seither aktiv, wodurch sie einen anderen Blickwinkel auf die Weltund die elementaren Grundstrukturen des Lebens gewinnt. Musik soll für sie darum nicht mehr ein Spiegel der Gesellschaft sein. Vielmehr sieht sie darin eine heilende Macht, kraft derer die Möglichkeit der Transformation besteht, um eine bessere und im Einklang mit den Prinzipien der Natur stehende Welt zu schaffen. Besonders deutlich wird dies in ihrer aktuellen Musiktheatertrilogie »On Behalf of Nature« (2016), «Cellular Songs« (2018) und »Indra’s Net« (2021), letzteres eine Auftragsarbeit von Mills Performing Arts.

Bereits 2020 veröffentlicht sie während der Pandemie zusammen mit ihrem Vocal Ensemble und dem zeitgenössischen Musikensemble Alarm Will Sound das im Rahmen der Arbeiten zu »Indra’s Net« komponierte »Anthem«, welches auf den buddhistischen Konzepten von Wechselwirkung, Ursache und Folge basiert. Die mit Hilfe der speziell entwickelten Software »Jamulus« über das Internet gemachten Aufnahmen stellen für die sonst mit Vorliebe in physischer Interaktion arbeitende Monk eine gänzlich neue Herangehensweise dar, denn alle ausführenden Musiker:innen befinden sich zum Zeitpunkt der Aufnahme in jeweils lokal voneinander getrennten Räumen. 

Das ebenfalls im Rahmen von »Indra’s Net« komponierte »Rotation« realisiert sie zusätzlich als audiovisuelle Installation, die sie mit Hilfe einer Kickstarter-Kampagne finanziert und 2021 fertigstellt. In der Pandemie arbeitet die Künstlerin so hart wie nie zuvor in ihrem Leben. Nicht zuletzt ist diese Zeit für sie »eine unglaubliche Lektion in Sachen Geduld, Ausdauer und Flexibilität«, da diese Zeit die Unbeständigkeit des Lebens verstärkt in den Vordergrund rückt. 

Ihr derzeit jüngstes Album »Memory Game« (2020) veröffentlicht sie in Zusammenarbeit mit dem international renommierten New Yorker Ensemble für zeitgenössische Musik Bang On a Can All-Stars. Die Veröffentlichung beinhaltet einige ihrer Bühnenstücke aus den 1980ern und 1990ern, die sie zwar immer wieder live aufführt, von denen aber bis zum Zeitpunkt des Releases keine adäquaten Aufnahmen existieren.   

Obwohl Meredith Monk aufgrund ihrer meistens recht einfach gehaltenen und von Wiederholungen geprägten Instrumentalbegleitung in einem Atemzug mit Minimal Music Komponisten wie Philip Glass, Steve Reich, Terry Riley und La Monte Young genannt wird, verortet sie sich selbst eher nicht in diesem Feld. Vielmehr sieht sie den Ursprung ihrer musikalischen Denkweise in der Liedtradition der Folk Music, deren Körperlichkeit und der mündlichen Weitergabe des Repertoires. »Als ich also Wiederholungen verwendete (und das tue ich auch heute noch), dachte ich eher an die Art und Weise, wie Folk Music eine Strophe und einen Refrain hat und wie die darunter liegenden Instrumente, die sich wiederholende Muster spielen, begleitet werden« erklärt sie. 

Wenig verwunderlich also, dass Monk die Nähe zur aktuellen Populärmusik und -kultur nie scheut. So beschreibt sie sich selbst als die »ästhetische Mutter von Björk«. Diese entdeckt Monks Musik als junge Frau und zeigt sich besonders von »Dolmen Music« fasziniert. Später covert sie sogar das auf diesem Album befindliche »Gotham Lullaby« in Zusammenarbeit mit dem Brodsky Quartett. Der Hip Hop-Künstler DJ Shadow sampled »Dolmen Music« auf seinem ausschließlich aus Samples bestehenden Album »Endtroducing…..« (1996) in dem Song »Midnight in a Perfect World«. Monk selbst wiederum sieht große Parallelen hinsichtlich ihrer Kompositionsweise in der Klavierbegleitung von Radioheads »Everything In Its Right Place« aus deren Album »Kid A« (2000). Daneben findet ihre Musik auch Verwendung im Coen Brothers Film »The Big Lebowski« (1998), in Jean-Luc Godards Filmen »Nouvelle Vague« (1990) und »Notre Musique« (2004) sowie in »True Stories« (1986) von Regisseur und Talking Heads Sänger und Gitarrist David Byrne.

Für Monk ist es wichtig, dass ihre oftmals modal anmutende Instrumentalbegleitung einfach klingt und Raum entfaltet, damit sie ihren zwischen Prähistorik und Futurismus schwebenden Gesang so komplex wie möglich gestalten kann. Die überwiegende Mehrheit ihrer Kompositionen entsteht somit auch nicht auf der Grundlage von Partituren, da die Magie, Essenz oder Prinzipien ihrer Musik für sie nicht auf Papier festhaltbar sind, sondern zwischen den Notenlinien stehen. Stattdessen verwendet sie seismographisch anmutende Zeichnungen und/oder auf Tonband festgehaltene Ideensammlungen und arbeitet ihre Musik in einem aktiven Entstehungsprozess erst während der Proben aus. Ausnahmen bilden Arbeiten für Ensembles oder Arbeiten für andere Musiker:innen wie beispielsweise »Indra’s Net«, in denen sie nicht selbst als ausführende Sängerin musiziert. 

Monk erhält im Verlaufe ihrer nunmehr über 60 Jahre währenden Karriere zahlreiche Ehrungen und Anerkennungen. Dazu gehören unter anderem eine Grammy-Nominierung für »Impermanence« in der Kategorie Best Small Ensemble Performance (2008), ein MacArthur-Stipendium (1995), zwei Guggenheim-Stipendien (1972, 1982), drei Obie-Awards (1972, 1976, 1985), zwei Bessie-Awards (1985, 2005), einen Yoko Ono Courage Award for the Arts (2011), die Auszeichnung zum Composer of the Year der Zeitschrift Musical America (2012), einen Doris Duke Award (2012), die Ernennung zum Officer of the Order of Arts and Letters der französischen Republik (2015) und die von Barack Obama überreichte höchste amerikanische Auszeichnung für Künstler:innen mit besonderem Verdienst, die National Medal of Arts (2014). 

2014–15 wird sie als Residenzkünstlerin auf den Richard and Barbara Debs Composer’s Chair der Carnegie Hall berufen. Zusätzlich bekommt die 10 Ehrendoktortitel tragende Monk Kompositionsaufträge von Michael Tilson Thomas/San Francisco Symphony und New World Symphony, vom Saint Louis Symphony Orchestra, dem Los Angeles Master Chorale sowie dem Kronos Quartet. 

Zu Ehren ihres 80. Geburtstag soll eine umfangreiche CD-Box mit ihren gesammelten Vokalstücken erscheinen. 

Das ZKM | Karlsruhe gratuliert Meredith Monk herzlich zum runden Geburtstag.  

Autor: Dominik Kautz

Komponistinnen der Reihe »Femmes4Music«
Meredith Monk (*1942 in New York City, USA)
Kaija Saariaho (*1952 in Helsinki, Finland)
Ellen Taaffe Zwilich (*1939 in Miami, Florida, USA)
Jennifer Higdon (*1962 in Brooklyn, New York, USA)

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