»Technisch furchtlos«: Die weibliche Seite des Codens
Das historische Vermächtnis der Computerpionierinnen scheint im heute männlich dominierten Silicon Valley völlig in Vergessenheit geraten zu sein.
VON STEPHANIE FEZER
Dieser Artikel von Stephanie Fezer verknüpft, anlässlich der aktuell im ZKM zu sehenden Ausstellungen »FEMINISTISCHE AVANTGARDE der 1970ER-Jahre« und »Open Codes. Leben in digitalen Welten«, die Wirkungsmacht der Computergirls der 1950er bis 1970er Jahre!
Jedes Jahr im April findet in Deutschland der Girls’ Day statt, und Mädchen ab der 5. Klasse aufwärts können einen Tag lang in einen »geschlechts-untypischen« Arbeitsbereich hineinschnuppern. Also alles, was mit Technik, Mechanik und IT zu tun hat; Berufsfelder, in denen Fachkräftemangel herrscht, die Mädchen aber trotzdem nicht auf dem Schirm haben. Die Hürden, die Ausbildung für einen sogenannten »Jungsberuf« zu beginnen, sind hoch. Doch wie ist das Programmieren – das historisch die Domäne der Frauen war – bloß zum Jungsberuf geworden?
– Grace Hopper in »Cosmopolitan«, 1967
»Es ist, wie ein Dinner zu planen. Frauen sind Naturtalente im Programmieren.«
»Es ist, wie ein Dinner zu planen«, erzählte die Programmiererin Grace Hopper 1967 einer Journalistin der Zeitschrift Cosmopolitan, »Frauen sind Naturtalente im Programmieren«. Vorausplanung, Umdisponierung, Detailversessenheit: Eigenschaften, die Frauen, so Hopper, liegen und im Computerwesen elementar sind. Hopper (1906-1992) konzipierte die Programmiersprachen »Flow-Matic« und das noch heute gängige »COBOL« sowie den ersten Compiler. Die nach ihr benannte »Grace Hopper Celebration« ist die weltweit größte Veranstaltung für Frauen in Technikberufen.
In einen Job als Programmierer – oder Coder, wie man es bis in die frühen 1950er nannte – konnten Frauen in der Pionierzeit der Datenverarbeitung leicht hineinrutschen. Anders als in den meisten anderen technisch-orientierten Berufen gab es lange keine spezifische Ausbildung und es war kein physisch anstrengender Job; die intellektuellen Anforderungen wurden lange unterschätzt.
Außerdem konnte man ihn unter Umständen auch zu Hause ausführen, also mit Kinderbetreuung und Haushaltsführung verbinden. Der erste Mensch, der einen PC zu Hause hatte, war eine junge amerikanische Programmiererin, die noch bei ihren Eltern lebte. Der »Linc«, an dessen Betriebsystem Mary Allen Wilkes im Auftrag des Massachusetts Institute of Technology (MIT) arbeitete, ging 1962 in Serie und verkaufte sich immerhin 50 mal.
Der Begriff des »Computers« oder »menschlichen Computers« bezeichnete seit mindestens dem frühen 17. Jahrhundert Menschen, die langwierige Rechenaufgaben ausführten. Zunächst nur für navigatorische und wissenschaftliche, später auch für militärische Zwecke. Das waren vor allem Frauen. Während des Zweiten Weltkrieges arbeiteten alleine im britischen Bletchley Park um die 8.000 Frauen als menschliche Computer, genauer gesagt: als Kryptoanalytikerinnen. Den meisten dieser Frauen war durch eine Geheimhaltungsverpflichtung eine ihren Fähigkeiten angemessene Karriere in der Nachkriegszeit verwehrt. Kinofilme wie »Bletchley Park« oder Serien wie »The Bletchley Project« widmen sich diesen frühen Coderinnen.
Als nach dem Krieg die ersten Großrechner in Forschungseinrichtungen wie der NASA ankamen, brauchte es wiederum Menschen, die sie bedienten – und auch, wie sich schnell herausstellte, Betriebsprogramme sowie jede Menge Unterprogramme, die ihre Bugs und viel zu kleinen Datenspeicher überlisten konnten. Die Software zu schreiben war eine quasi unsichtbare Frickelarbeit, die eher mit niedriggestellter Büro- als mit höher bewerteter Ingenieurstätigkeiten konnotiert wurde. Also eine Arbeit für Frauen.
»ENIAC«, der erste rein elektronische, turingmächtige Universalrechner, wurde von sechs Frauen programmiert, den »ENIAC Six«. Ihre bahnbrechende Rolle wurde jahrzehntelang verschwiegen oder heruntergespielt. Es gibt einige Fotos von dem 1946 in der Öffentlichkeit vorgestellten raumgroßen Rechner, auf denen die Coderinnen zu sehen sind, das Gesicht dem Betrachter ab- und der Maschine zugewandt. Heute stehen in den Bildunterschriften ihre Namen.
Im Kinofilm »Hidden Figures« von 2016 werden drei Afroamerikanerinnen vorgestellt, die bei der NASA bzw. der Vorgängerorganisation NACA an Raumfahrtprojekten mitarbeiteten. Diese Frauen gab es wirklich. Die Mathematikerin Dorothy Vaughn, eine der drei, erkennt, dass der neue IBM-Großrechner die Arbeitsplätze ihrer Arbeitsgruppe bedroht. Sie beschäftigt sich heimlich wochenlang mit der faszinierenden Maschine und derem unzulänglichen Handbuch und findet so heraus, wie sie sie beherrschen kann. Sie bringt sich und ihren Mitarbeiterinnen die Programmiersprache »FORTRAN« bei; so kriegt sie den leitenden Job. Geek Girls revolt!
Programmieren, stellte sich in den späten 1960er Jahren heraus, war eine lukrative Tätigkeit. Und der Bedarf war riesig. Eignungstests und Persönlichkeitsprofile wurden zunehmend auf Männer zurechtgeschnitten, die Zugänge erschwert, der mathematisch-naturwissenschaftliche Aspekt des Berufs hervorgehoben. Das Frickelnde, die fehlende Sozialkompetenz – war das nicht typisch Mann? Frauen wurden nach und nach aus der Sparte gedrängt, auch durch sexistische Plakatkampagnen der Computerindustrie.
Der Geek war geboren. Dass Bill Gates, Steve Jobs oder Steve Wozniak, die Gründer von Microsoft und Apple, diesem Bild tüpfelgenau entsprachen, verdichtete das Bild. Erst in den 1990er entwickelten sich, mit dem Aufkommen des Internets, feministische Programmierinnen-Netzwerke, Kongresse, Preise, die sich an Frauen richteten. Ellen Ullman, scharfsinnige Autorin und lange Jahre Programmiererin im Silicon Valley, spricht in ihrer gerade erschienenen Essaysammlung »My life in Code« vom »Kult der jungenhaften Ingenieure« [Cult of the Boy Engineer]: Wer die Mega-Geek-Sitcom »Big Bang Theory« kennt, weiß, wovon sie spricht.
»Sie benehmen sich wie Kinder. Sie verbieten sich gegenseitig den Mund. Sie beschimpfen sich gegenseitig als Idioten. Sie werfen mit Papierkügelchen. Es ist, als ob man versehentlich in einer Kindertagesstätte hereinschneien würde.«
Ellen Ullman, die heute im Start-Up-Viertel SOMA in San Francisco lebt, und dort täglich Dutzenden typischen Programmierern begegnet – weiß, männlich und zwischen 22 und 34, wie sie schreibt – plädiert in ihrem neuen Buch für mehr Vielfalt in der IT-Szene, und für weniger Berührungsängste: »Die Macht liegt in der Verweigerung, sich einschüchtern zu lassen. In technischer Furchtlosigkeit […] Stecht eine Nadel in die schimmernde Blase der tradierten Meinungen der Technikwelten. Lasst sie platzen.« Jede und jeder sollte ein bisschen programmieren lernen, findet Ullman. Einfach, um besser durchzublicken. Und vielleicht auch, um das historische Vermächtnis der Computerpionierinnen zu würdigen.
Über die Autorin
Stephanie Fezer lebt als freie Autorin und Redakteurin in Berlin. Sie studierte deutsche und englische Literaturwissenschaften in Freiburg, Köln und Berlin. 2015 erschien ihre Übersetzung des Romans »Torpor« von Chris Kraus im b_books Verlag.
Im Rahmen des »Tag der Offenen Tür« am ZKM hielt Stephanie Fezer am 06. Januar 2017 einen Vortrag zum Thema: »Als Programmieren noch ein Frauenberuf war…«.
FEMINISTISCHE AVANTGARDE der 1970ER-Jahre
Sa, 18.11.2017 – So, 08.04.2018
ZKM_Lichthof 1+2
Kosten: Museumseintritt
Open Codes. Leben in digitalen Welten
Sa, 20.10.2017 – So, 05.08.2018
ZKM_Lichthof 8+9
Kosten: Eintritt frei
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