Nam June Paik

ohne Titel [Wurzel aus Fragezeichen = Silence]

1980
Künstler:in / Künstlergruppe
Nam June Paik
Titel
ohne Titel [Wurzel aus Fragezeichen = Silence]
Jahr
1980
Kategorie
Zeichnung
Format
Handzeichnung
Material / Technik
Buntstift auf Papier
Maße / Dauer
21 x 29,8 cm
Sammlung
ZKM | Zentrum für Kunst und Medien Karlsruhe
Beschreibung
Nam June Paik (1932 Seoul, Südkorea – 2006 Florida, USA), gilt als einer der bedeutendsten Wegbereiter der Videokunst. Bereits in den 1960er Jahren begann er mit neuen Medien zu experimentieren und entwickelte mit Werken wie »TV Cello« (1971) oder »TV Buddha« (1974) eine neuartige und bis heute einflussreiche gestalterische Sprache. Mit seinen Arbeiten prägte er die Verschränkung von Kunst, Musik, Technologie und Performance maßgeblich. Paiks Œuvre ist vielfältig: Es reicht von frühen Tonbandcollagen über TV-Installationen bis hin zu konzeptuell angelegten Grafiken, Roboterskulpturen und satellitengestützten Medienprojekten. Immer wieder griff er bestimmte Motive auf, die er in seinen Werken variantenreich umsetzte und in neue Kontexte setzte. Auf spielerische und oft auch humorvolle Weise hinterfragte Paik die Beziehung zwischen, Mensch und TV, Religion und Technik, zwischen Alltag und Bildschirm. Dabei verstand er Technik nie isoliert, sondern viel mehr als integralen Bestandteil eines kulturellen, biologischen und geistigen Gesamtsystems. Seine Werke werfen dabei Fragen auf, die die Betrachter zum inneren Zwiegespräch einladen und eigene Deutungen zulässt. Auch in dieser Druckgrafik sind verschiedene Bedeutungsebenen denkbar. Denn Nam June Paik reduziert in ihr das komplexe Thema der Kommunikation auf zwei einfache Gleichungen. Was auf den ersten Blick wie eine simple Rechenaufgabe erscheint, offenbart sich bei genauerem Hinsehen als tiefgreifende Reflexion über zwischenmenschliche Prozesse wie Verständigung, Perspektive und menschliche Verbindung. So sehen wir im oberen Teil die Division zweier Fragezeichen, Symbole für Unsicherheit, und Zweifel, die in einer jeden menschlichen Beziehung auftreten. Als Quotient seiner Gleichung erhält er präsumtiv das Kanji 無 (mu), welches für „Nichts“ steht. Bei diesem Zeichen handelt es sich um ein sehr altes Kanji, welches besonders in buddhistischen Schriften verwendet wird. Diese Referenz fügt sich in Paiks wiederkehrender Auseinandersetzung mit Religion und Philosophie, wie sie auch in Werken wie »Buddha« oder »Arche Noah« auftritt. Im Zen-Buddhismus ist mu eine bekannte Antwort auf paradoxe Fragen. Solche Fragen werden als Kōan bezeichnet, kurze, oft widersprüchliche Aussprüche oder Dialoge, die dazu dienen, das gewöhnliche, rationelle Denken herauszufordern und intuitives Erkennen zu fördern. Ein berühmtes Kōan lautet: „Hat ein Hund Buddhanatur oder nicht?“ Die Antwort des Meisters lautet: Mu. Das mu steht weder für ein ja noch ein nein. Mu beschreibt vielmehr, dass es auf eine Frage keine logische Antwort geben kann.  Wenn Paik zwei Fragezeichen durch Division miteinander verknüpft und als Ergebnis das Kanji 無 (mu) setzt, spielt er mit Logik und Philosophie. In der Mathematik würde die Division zweier Gleichen zum Ergebnis „1“ führen, bei Paik aber entsteht „Nichts“. Dieses mu ist nicht bloß Leere im westlichen Sinn, sondern verweist auf die buddhistische Vorstellung eine offene Dimension. So wird aus der Gegenüberstellung zweier Fragen keine Antwort gewonnen, sondern Möglichkeiten für Spekulation und Reflexion. Und in diesem Raum liegt das Potenzial, neue Erkenntnisse zu gewinnen. Die darunterliegende Rechnung führt diesen Gedanken weiter. Für den Wurzelexponenten sowie den Radikanden gibt Paik ebenfalls ein Fragezeichen an. In der Mathematik verweist das Ziehen einer Wurzel auf die Suche nach dem verborgenen Kern einer Zahl. Übertragen auf Paiks Bild wird nun das Fragezeichen als Metapher auf sein Innerstes geprüft. Doch wie bereits in der Gleichung zuvor erhält Paik keine Zahl als Ergebnis, sondern das Wort „silence“ (Stille). Paik deutet damit an, dass Fragen in der Kommunikation oft aus Momenten der Stille hervorgehen. Wer nicht spricht, lässt Raum für Zweifel. Zugleich lässt sich diese Formel auch anders lesen. Wer sich mit den eigenen tiefen Fragen und Zweifeln auseinandersetzen will, benötigt die Bereitschaft zur stillen Reflexion. Nur wer innezuhalten vermag und vorschnelles Handeln durch Nachdenken ersetzt, kann zu jener Ruhe und Erkenntnis finden, die es benötigt um seine Irritationen am Ende zu überwinden.

Autor:in

Lara
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